Exklusiv Die grün-rote Landesregierung strebt zusammen mit den Wirtschaftsverbänden eine Ausbildungsgarantie für Jugendliche in Baden-Württemberg an. Wer keine Lehrstelle bekommt, kann das erste Lehrjahr an der Ganztagsberufsschule absolvieren.

Stuttgart - Zu wenigen Jugendlichen gelingt in Baden-Württemberg direkt der Übergang von der Schule in den Beruf. Zu viele von ihnen bleiben zu lange in schulischen Übergangssystemen. Gleichzeitig sind in diesem Herbst im Südwesten fast 5000 Lehrstellen unbesetzt geblieben. 15 Prozent eines Jahrgangs schließlich bleiben ohne jede Ausbildung.

 

Das Bündnis zur Stärkung der beruflichen Ausbildung im Land will nun den Übergang von der Schule in den Beruf neu gestalten. In ihrer gestrigen Sitzung haben die Vertreter der Ministerien, der Wirtschaftsverbände und der Kommunalen Spitzenverbände ein Eckpunktepapier verabschiedet, das der Stuttgarter Zeitung vorliegt. Die Neugestaltung folgt der Leitlinie, „alle Jugendlichen erhalten eine Chance auf eine berufliche Ausbildung“. Die Eckpunkte sollen als Modellversuch in ausgewählten Regionen vom Schuljahr 2014/15 an erprobt werden.

Neues Schulfach Berufsorientierung

Dem Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) liegt daran, dass mehr Jugendliche direkt aus dem Klassenzimmer in die Betriebe wechseln. Als Schlüssel dazu gilt die Information. An allgemeinbildenden Schulen wird die Berufsorientierung intensiviert und systematisiert. Das soll von 2015 an durch die neuen Bildungspläne gewährleistet werden. Dann wird ein neues Schulfach „Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung“ eingeführt.

Die größere Herausforderung dürften die Jugendlichen werden, die sich erfolglos beworben haben, oder die keinen Schulabschluss geschafft haben. Hier will das Bündnis die bisherigen Übergangssysteme straffen und transparenter gestalten. Das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) und das Berufseinstiegsjahr (BEJ) sollen in einem neuen einjährigen Bildungsgang an beruflichen Schulen aufgehen. Eine neue Überschrift heißt Ausbildungsvorbereitung in dualer Form (AV dual) und wendet sich an Jugendliche ohne Schulabschluss oder mit speziellem Förderbedarf. Die Ausbildungsvorbereitung soll konsequent dual ausgestaltet sein. Von Anfang an sind Betriebspraktika vorgesehen. Nach den ersten Wochen entscheidet sich, ob jemand ein halb- bis einjähriges Betriebspraktikum macht, oder ob die Ausbildungsvorbereitung im Ganztagsbetrieb an beruflichen Schulen erfolgt. Schmid hofft durch die hohen betrieblichen Anteile auf „Klebeeffekte“, also darauf, dass die Praktikanten im Betrieb als Lehrlinge „haften“ bleiben.

Notfalls außerbetriebliche Ausbildung

Wer einen Schulabschluss aber keine Lehrstelle hat, erhält für das erste Lehrjahr ein Ganztagsangebot an beruflichen Schulen. Diese duale Berufsqualifizierung (BQ dual) bildet in einem konkreten ausbildungsmarktrelevanten Beruf aus. Auch sie enthält zahlreiche betriebliche Anteile. Die Berufe werden vom Landesausschuss für Berufsbildung ausgewählt. Notfalls könne die gesamte Ausbildung außerbetrieblich absolviert werden, erklärte Nils Schmid. Generell hofft er, dass die betriebliche Einbindung die Motivation der Jugendlichen erhöht. Überhaupt lobt der Wirtschaftsminister, dass die zahlreichen Bündnispartner die Weiterentwicklung des Übergangssystems im Konsens beschlossen hätten.

Entsprechend einmütig fallen die Würdigungen der neuen Bildungsgänge aus. Gabriele Frenzer-Wolf, die stellvertretende DGB-Vorsitzende im Land lobt, die duale Berufsqualifizierung komme einer Ausbildungsgarantie „sehr nahe“. Mit neuen Managementformen würden erstmals die Voraussetzungen geschaffen, bestehende Hilfen besser zu koordinieren. Eva Strobel, die Leiterin der Bundesagentur für Arbeit im Südwesten, setzt ganz auf die frühe Berufsorientierung. Je besser die Jugendlichen informiert seien, desto nachhaltiger gelinge der direkte Übergang.

„Brachliegende Potenziale erschließen“

Für die Landesvereinigung der Arbeitgeberverbände unterstreicht ihr Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick, „der Trend zur Höherqualifizierung macht es notwendig, für die duale Ausbildung brachliegende Potenziale zu erschließen“. Zielgruppengerechte Berufsvorbereitung und hohe Durchlässigkeit in eine duale Ausbildung seien dafür von zentraler Bedeutung. Oskar Vogel vom Handwerkstag weist darauf hin, das derzeitige System sei demotivierend, ineffizient und teuer und begrüßt die Reformvorschläge ausdrücklich. Andreas Richter von der IHK bemängelt, die bisherigen Systeme böten keine Berührung mit den Betrieben. Künftig wolle die IHK durch die verbindlichen Praktika „jedem persönlich eine konkrete Chance geben, aus dem Übergangssystem einen direkten Einstieg in eine Ausbildung zu finden“.