Die Bildungszeit für Arbeitnehmer im Südwesten ist beschlossene Sache. Der Landtag hat das Gesetz am Mittwoch mit den Stimmen von Grünen und SPD verabschiedet. Damit können sich Beschäftigte ab 1. Juli an fünf Tagen im Jahr weiterbilden. Die Wirtschaft tobt.

Stuttgart - Arbeitnehmer in Baden-Württemberg können sich ab 1. Juli an fünf bezahlten Tagen im Jahr weiterbilden. Der Landtag beschloss am Mittwoch mit den Stimmen der grün-roten Koalition die Bildungszeit für Beschäftigte. Damit hat die Regierung - gegen den massiven Widerstand der Wirtschaft - als eines der letzten Bundesländer den individuellen Anspruch auf berufliche, politische oder ehrenamtliche Qualifizierung eingeführt.

 

Die CDU-Opposition sprach von einem auf Diskussionen in der 70er Jahren fußendem „Willy-Brandt-Gedächtnisgesetz“, die FDP wetterte über den „Bürokratiemoloch“. Auch der Städtetag meldete Kritik an, weil die Kommunen als Arbeitgeber erneut ohne finanziellen Ausgleich durch das Land erheblich belastet würden.

Dagegen betonte Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD), mit dem Beschluss beginne eine „neue Ära für die Weiterbildung“ im Südwesten. „Damit sorgen wir dafür, dass die Menschen dem Ziel des lebenslangen Lernens nachkommen können. Und wir tragen dazu bei, dass unser Standort stark und attraktiv bleibt.“ Breite Zustimmung kam von den Gewerkschaften.

Darum geht es beim Bildungszeitgesetz

Die Wirtschaft war gegen den Zwang zur Weiterbildungs-Freistellung Sturm gelaufen und hatte in letzter Minute die Abgeordneten aufgerufen, das Gesetz zu stoppen. Schmid reagierte mit der Bereitschaft, „im Zweifel untergesetzlich nachzujustieren“. Er versprach, sein Ressort werde rasch entsprechende Gespräche führen. Er habe aber grundsätzlich auf die Balance zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen geachtet.

Die Arbeitgeber fühlen sich nach eigenen Angaben hintergangen, weil zugesagte Anrechnungen von betrieblicher Weiterbildung nach dem Gesetz nun doch nicht immer möglich seien. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger bezichtigte Grün-Rot eines Wortbruchs und geißelte die „Taschenspielertricks“ der Landesregierung.

Aus Sicht der CDU im Landtag schmälert die Bildungszeit die globale Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft im Südwesten. Schöpften die Arbeitnehmer alle fünf Tage im Jahr für Weiterbildung aus, koste das die Unternehmen vier Milliarden Euro im Jahr, sagte der CDU-Abgeordnete Reinhard Löffler. Auch bei den Landesbeschäftigten müsse mit 247 Millionen Euro im Jahr kalkuliert werden. Dabei stehe Baden-Württemberg im Bundesvergleich schon am besten da, und das ohne Gesetz: 61 Prozent der Unternehmen hätten im Jahr 2012 in die Weiterbildung investiert.

DGB begrüßt den Beschluss

Nach Ansicht des SPD-Abgeordneten Hans-Peter Storz ist der gesamtgesellschaftliche Nutzen höher als die Kosten für die Unternehmen. Der Grüne Jörg Fritz zeigte sich überzeugt, dass der von der Opposition unterstellte Missbrauch der Bildungszeit gar nicht möglich sei, denn die Angebote müssten von zertifizierten Bildungsträgern kommen. Mit dem „Tauchkurs auf Mallorca“ habe die Opposition einen Popanz aufgebaut.

Der DGB begrüßte den Beschluss als großen Erfolg für die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften würden sich mit eigenen Angeboten zur politischen Bildung und ehrenamtlichen Qualifizierung an der Umsetzung des Gesetzes beteiligen. Löffler bezeichnete das Gesetz als „Konjunkturförderprogramm für klamme gewerkschaftliche Schulungsanbieter“.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte: „Wirtschaftsminister Schmid bekommt für sein Bildungszeitgesetz sicher ein rotes Sternchen in sein Gewerkschafts-Fleißheftchen.“

Verdi-Landeschefin Leni Breymeier nannte die Verabschiedung des Gesetzes „eine sehr gute Nachricht“ für alle Arbeitnehmer in Baden-Württemberg. Dagegen erteilte die Geschäftsführerin des Städtetags, Gudrun Heute-Bluhm, der Neuregelung eine Absage. Die Abwesenheiten infolge der Bildungszeit müssten entweder von den übrigen Beschäftigten durch Überstunden oder aber durch zusätzliches Personal ausgeglichen werden, kritisierte sie. Wenn zehn Prozent er Beschäftigten der Kommunen die Freistellung in Anspruch nähmen, seien jährlich rund 14 Millionen Euro strukturelle Mehrkosten zu erwarten.