Feigenblatt oder echte Mitbestimmung? Auch für ihr neues Klimaschutzkonzept holte Grün-Rot Meinungen von Bürgern ein. Doch was wird davon umgesetzt und was aus Kostengründen beiseitegelegt?

Stuttgart - Mehr Barrierefreiheit in Bussen und Bahnen, mehr Sicherheit an Bahnhöfen und mehr Abstellanlagen für Fahrräder: Das sind einige der Vorschläge, die Bürger der grün-roten Regierung bei der Erstellung des neuen Klimaschutzkonzeptes mit auf den Weg gegeben haben. Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) nahm am Donnerstag in Stuttgart mehr als 1000 Empfehlungen entgegen - unter anderem dazu, wie der öffentliche Nahverkehr attraktiver werden könnte. Grün-Rot will die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 im Vergleich zu 1990 um 90 Prozent reduzieren und hatte dazu einen Strategieentwurf vorgelegt. Dieser wurde in den vergangenen Monaten vor allem bei sogenannten Bürgertischen diskutiert.

 

Untersteller wies die Kritik von CDU, FDP und dem Steuerzahlerbund an Bürgerbeteiligungen zurück. Diese hatten bemängelt, die Verfahren seien zu teuer und führten am Ziel vorbei. Die FDP-Landesvorsitzende Birgit Homburger bekräftigte am Donnerstag, zwar würden auch beim Energie- und Klimaschutz viele Meinungen gehört und aufwendige Veranstaltungen organisiert. „Doch wann immer den Ankündigungen auch Taten hätten folgen müssen, wie bei den Mehrkosten zum verbesserten Flughafenbahnhof oder der Entwicklung des Nationalparks im Nordschwarzwald zeigte sich, dass die grün-rote Landesregierung die Wünsche der Bürger ignoriert, wenn sie nicht in ihr Weltbild passen.“

Den Bürgern werde Mitsprache versprochen - sie erhielten aber nur einen „Kummerkasten“ nach dem Motto: Gut, dass wir darüber geredet haben, meinte Homburger. Die Bürgerbeteiligung zum neuen Klimaschutzgesetz schlug mit rund 270.000 Euro zu Buche, wie Untersteller einräumte. Selbstverständlich koste Bürgerbeteiligung Geld - aber im Gegenzug bekomme man besser informierte Bürger und mehr Akzeptanz in der Bevölkerung für die Projekte. Ob die Vorschläge Eingang in das Klimaschutzkonzept finden, hängt nach Angaben des Ministers davon ab, ob sie umsetzbar sind, welchen Beitrag zum Klimaschutz sie leisten können und ob sie finanziert werden können.

Grün-Rot schreibt sich „Politik des Gehörtwerdens“ auf die Fahnen

Petra Demuth, die in Waiblingen mit am „Bürgertisch Verkehr“ saß, mahnte, die Landesregierung werde sich daran messen lasse müssen, was sie an Vorschlägen der Bürger umsetze. „Vorher ist es reine Spekulation zu sagen, es hat sich gelohnt oder nicht.“ Auch Thomas Bürkle, der für den Fachverband der Elektro- und Informationstechnik Baden-Württemberg am „Verbändetisch Gewerbe, Handel Dienstleistungen“ mitdiskutierte, erklärte, es bleibe zu hoffen, dass die Empfehlungen zügig umgesetzt würden. Und für die nächste Bürgerbeteiligung wünschte er sich etwas weniger Zeitdruck.

CDU-Fraktionschef Peter Hauk beteuerte, seine Partei sei nicht gegen mehr und frühere Bürgerbeteiligung. Aber bei Grün-Rot falle auf, dass die Bürgerbeteiligung zunehmend dafür herhalten müsse, dass Regierungsprozesse immer länger dauerten oder ganz scheiterten. CDU-Energieexperte Paul Nemeth bemängelte, Untersteller sei in Sachen Klimaschutz „im Schlafwagen“ unterwegs. Nach der Auswertung der Vorschläge bis zur Sommerpause komme noch die Anhörung mit den Verbänden und die Auswertung von deren Stellungnahmen. Baden-Württemberg werde wohl erst drei Jahre nach dem Atomunglück in Japan endlich ein Energie- und Klimaschutzkonzept haben.

Grün-Rot hat sich eine „Politik des Gehörtwerdens“ auf die Fahnen geschrieben. Nach der 250.000 Euro teuren Bürgerbeteiligung im Zusammenhang mit dem Flughafenbahnhof bei Stuttgart 21 ist seit einigen Wochen aber klar, dass die Bahn doch die ursprünglich vorgesehene Trasse umsetzen wird. Die Landesregierung hatte abgelehnt, sich an Mehrkosten für eine bessere Variante zu beteiligen, nachdem die Bahn nicht auf die „Sprechklausel“ aus dem Finanzierungsvertrag für S21 verzichten wollte. Im Konflikt um einen Nationalpark Nordschwarzwald befragen einige Kommunen ihre Bürger. Die grün-rote Landesregierung ist aber entschlossen, das Nationalparkgesetz noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen, nachdem sie ihre Haltung in einem Gutachten bestärkt sieht.