Am Wochenende mit dem Zug hinaus aufs Land zu fahren, das empfiehlt Eisenbahn-Experte Gerhard Schnaitmann, der das Schienennetz in Baden-Württemberg wie kaum ein Zweiter kennt. Und er weiß, wo die Freizeitbahnen rollen.

Stuttgart - Der Eisenbahn-Experte Gerhard Schnaitmann weiß, dass Bahnfahren im Freizeitverkehr entschleunigt und gibt im Interview einen Überblick über Ausflugs- und Dampfzüge in Baden-Württemberg.

 
Herr Schnaitmann, warum sollte eine Familie manche Stunde am Wochenende in einem Ausflugszug verbringen?
Der besondere Reiz ist, dass das Auto allenfalls bis zum Bahnhof genutzt wird. Das Baden-Württemberg-Ticket – oder bei großen Verkehrsverbünden das netzweit gültige Gruppenticket – machen es möglich, zu überschaubaren Preisen schöne Reisen zu unternehmen. Bahnfahren im Freizeitverkehr entschleunigt, zudem ist die Mitnahme von Fahrrädern meistens möglich.
Warum sind so viele Menschen von der Eisenbahn derart fasziniert, dass sie in ihr nicht nur ein reines Transportmittel sehen?
Da spielen die Erinnerungen an die eigene Jugend eine große Rolle, das Gefühl der guten alten Zeit kommt hinzu. Wir neigen ja dazu, die Vergangenheit zu verklären, ähnlich wie bei der Eisenbahn ist das ja mit der Begeisterung für nostalgische Autos. Man will den Alltag verlassen. Das gelingt mit der Fahrt in einem historischen Zug besonders gut. Hinzu kommt, dass sich diese Züge sehr gut in das Landschaftsbild einfügen.
Nennen Sie uns bitte ein gutes Beispiel. . .
Nehmen wir eine Familie aus Tübingen. An Sonn- und Feiertagen um 9.30 Uhr startet der Radwandershuttle der Hohenzollerischen Landesbahn von Tübingen über Hechingen nach Engstingen. Wenn man in den richtigen Wagen einsteigt, gelingt das sogar umsteigefrei, und die Fahrradbeförderung gehört auch dazu. In Engstingen kann die Familie auf demselben Bahnsteig in den MAN-Schienenbus der Schwäbischen-Alb-Bahn einsteigen und Richtung Schelklingen über eine der landschaftlich attraktivsten Abschnitte der Schwäbischen Alb rollen. Wer mag, verlässt den Triebwagen in Münsingen, steigt auf das Fahrrad und hat durch das Schmiechtal eine wunderbare Strecke bis Schelklingen vor sich. Zurück geht es dann wieder mit dem Zug. Alles in allem erlebt die Familie einen abwechslungsreichen und ereignisreichen Tag, ohne viel Geld für die Reise ausgeben zu müssen. Genauer gesagt: Die Naldo-Tageskarte kostet 14,40 Euro für eine Person oder 19,50 Euro für bis zu fünf Reisende.
Wie viele Freizeitverkehre gibt es im Land?
Da müssen wir unterscheiden. Zum einen gibt es dampfbetriebene Museumsbahnen, so ganz im Süden die Kandertalbahn, die Sauschwänzlebahn, in Oberschwaben die Öchsle-Schmalspurbahn, da wären auf der Alb der Dampfbetrieb der Schwäbischen- Alb-Bahn und die Dampfzüge zwischen Amstetten und Gerstetten, im Raum Stuttgart das Sofa-Zügle der GES. Auch im Karlsruher Albtal und im Murgtal verkehren Dampfzüge. Für diese nostalgischen Dampfzüge gilt ein gesonderter Tarif. Da der Unterhalt dieser Maschinen sehr teuer ist, muss eine Familie mit einem durchaus spürbaren Fahrpreis rechnen. Ich kann nur raten, sich vor einer Zugfahrt über die jeweiligen Billettpreise zu informieren.
Das ist bei den Ausflugsverkehren anders?
Genau, die meist dieselbetriebenen Triebwagen gehören Eisenbahngesellschaften, die oft eigene Strecken unterhalten. Dort gilt der wesentlich günstigere Verbund- oder der DB-Tarif. Hier haben wir die beiden oberschwäbischen Strecken nach Bad Wurzach und Pfullendorf, die Schwäbische- Alb-Bahn rund um Münsingen, wir haben den Eyachtäler rund um Haigerloch, und zwischen Amstetten und Gerstetten gilt im wunderschönen Fuchs-Triebwagen T06 von 1956 ebenfalls der reguläre Tarif. Im Falle der Tauberbahn von Weikersheim über Bad Mergentheim und Tauberbischofsheim nach Wertheim wird vom Tourismusverband Liebliches Taubertal schon seit 1951 ein konsequentes Rad-Tourismus-Konzept verfolgt. Dieses hat mittlerweile mit einem Premium-Radweg eine überall gelobte Ergänzung gefunden.
Finanziert das Land Baden-Württemberg auch Züge, die nur zum Vergnügen der Reisenden fahren?
Die Ausflugsverkehre werden vom Land bestellt, also in Auftrag gegeben und auch bezahlt. Deswegen gilt der reguläre Tarif. Noch etwas kommt hinzu: Das Land hat damit auch manchen Erhalt von Schieneninfrastrukturen ermöglicht.
Wo ist das gelungen?
Ein gutes Beispiel ist die Schwäbische-Alb-Bahn, deren Stilllegung schon beschlossen war. Im Sommer 1998 haben sich engagierte Vertreter von kommunaler Seite und einige Eisenbahnfreunde zusammengesetzt und ein Konzept für die nachmilitärische Nutzung erarbeitet. Schon im Sommer 1999 fuhr der Ulmer Spatz von Ulm über Schelklingen und Münsingen bis Engstingen. Aus den ersten Sonntagsfahrten zwischen Mai und Oktober wurde ein enger Fahrplan, der das ganze Jahr abdeckt. Und sogar Züge für Schüler und der Güterverkehr sind hinzugekommen.
Was tut sich in der Gegenwart?
Im Norden des Landes gibt es eine Ausflugsstrecke mit bemerkenswerter Geschichte: die Krebsbachtalbahn von Neckarbischofsheim-Nord nach Hüffenhardt. Die landeseigene Eisenbahngesellschaft SWEG hatte schon die Stilllegung ins Auge gefasst. Bevor es so weit kommen konnte, übernahm die Enag, also die Erms-Neckar-Bahn, die Strecke. Bis heute wird sie nur im Ausflugsverkehr betrieben. Es gibt aber durchaus Planungen, einen regelmäßigen Schülerverkehr einzurichten. Untersucht wird darüber hinaus, ob es sinnvoll ist, die Krebsbachtalbahn mit dem Heilbronner Stadtbahnnetz in Bad Rappenau zu verbinden.
Wie haben sich die Angebote für Ausflügler in den letzten Jahrzehnten entwickelt?
Mit der Abschaffung der Sonntag-Rückfahrkarte in den achtziger Jahren wurde im Ausflugsverkehr ein Tiefpunkt erreicht. Die Wiederbelebung gelang erst, als die Verantwortung für den Nahverkehr im Zuge der Bahnreform 1996 auf das Land überging. Eine große Rolle spielt dabei bis heute das Baden-Württemberg-Ticket. Für 24 Euro für einen Ausflügler und sechs Euro für bis zu fünf weitere können alle Freizeitbahnen außer den Dampfzügen genutzt werden. Die Entwicklung ist noch nicht am Ende. So könnte die aktuell nur für den Werksverkehr genutzte Ablachtal-Bahn von Mengen nach Radolfzell für Ausflügler aus dem Bodenseeraum eine große Rolle spielen.
Wo keine Bahn fährt, kann doch immerhin der Bus eingesetzt werden
Das stimmt schon. Tatsächlich wird die recht neue Regiobuslinie Sigmaringen–Überlingen sehr gut angenommen. Aber bei einer Transportkapazität von vier Fahrrädern stößt der Bus schnell an seine Grenzen. Die Eisenbahn deckt somit nicht nur die Daseinsgrundfunktion für Pendlerverkehre auf ihrem Weg in die Ballungszentren ab, sondern bringt viele Menschen in ihrer Freizeit hinaus in schöne Landschaften.