Die Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg gehen konsequent gegen die „Reichsbürger“ vor. Waffenscheine werden überprüft. Pistolen und Gewehre beschlagnahmt.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Sie wurden lange nur als Spinner mit absurden Fantastereien gesehen – bis einer von ihnen am 19. Oktober des vergangenen Jahres in Bayern einen Polizisten erschoss und einen weiteren schwer verletzte. Nun sind die sogenannten Reichsbürger bundesweit ins Visier der Justiz und der Behörden geraten. Am Dienstag durchsuchte die Polizei in mehreren Bundesländern Wohnungen von Verdächtigen, auch in Ulm. Die „Reichsbürger“ leugnen die Existenz der Bundesrepublik, bezahlen Bußgeld- oder Pfändungsbescheide nicht und beschäftigen Behörden mit absurden Eingaben.

 

Nach Angaben des baden-württembergischen Innenministeriums soll es im Land 650 „Reichsbürger“ geben. Einige von ihnen sind möglicherweise gewaltbereit. Der Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat deshalb bereits am 20. Januar die Stadt- und Landkreise angewiesen, identifizierten „Reichsbürger“ ihre Waffenerlaubnisse zu entziehen und keine neuen auszustellen. „Reichsbürger“ besäßen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit für den Besitz einer Waffe, sagte das Ministerium.

Freiburg kontrolliert seit Dezember

In einigen Städten hat man bereits vor der ministeriellen Anordnung gehandelt. Nach den tödlichen Schüssen in Mittelfranken habe man „Handlungsbedarf“ gesehen, erklärte Edith Lamersdorf, die Sprecherin der Stadt Freiburg. Wer sich als „Reichsbürger“ geoutet hat, wurde im Dezember 2016 überprüft. Dabei war hilfreich, dass sie häufig schriftlich begründen, warum sie Behörden und Bußgeldbescheide ignorieren. Diese Personen wurden mit der Datei der Waffenscheine und Waffenbesitzkarten abgeglichen.

In einem Fall erwirkte das Amt für öffentliche Ordnung einen Hausdurchsuchungsbefehl. Bei dem 69-jährigen Mann fand die Polizei ein reichhaltiges Waffenarsenal, darunter Lang- und Kurzwaffen, Schlagstöcke, Elektroschocker sowie mehrere Tausend Schuss Munition. Zwar hatte der Jäger einen Jagdschein und eine Waffenbesitzkarte, doch die Waffen waren nicht eingetragen und wurden beschlagnahmt. Die Stadt zog die Waffenbesitzkarte und den Jagdschein ein, die Staatsanwaltschaft Freiburg ermittelt nun wegen verbotenem Waffenbesitz.

Zehn weitere bekannte „Reichsbürger“ waren nicht oder nicht mehr in Freiburg gemeldet, deren Daten wurden an benachbarte Landratsämter weitergeleitet, wo die Waffenzulassung angesiedelt ist. In den südbadischen Landkreisen Breisgau-Hochschwarzwald, Emmendingen und Ortenau sind bei den Überprüfungen allerdings bisher noch keine Hinweise auf Waffenbesitzer unter den ihnen bekannten „Reichsbürgern“ aufgetaucht.

100 Verdächtige in Stuttgart

Auch in anderen baden-württembergischen Großstädten ist die Ausbeute drei Wochen nach dem Ministererlass noch gering, wie eine Umfrage ergab. Das Innenministerium erklärte, man werde zu gegebener Zeit Bilanz ziehen. In der Landeshauptstadt Stuttgart hat das Ordnungsamt 100 Verdächtige überprüft, die durch Anträge oder Schreiben an die Stadt dokumentiert haben, dass sie der „Reichsbürger“-Bewegung angehören oder nahestehen. Zehn von ihnen droht jetzt der Entzug der Waffenscheine. Unter den 1900 gemeldeten Waffenbesitzern im Stadtkreis Karlsruhe sei im Herbst 2016 kein einziger aus dieser Szene identifiziert worden. Das Ordnungsamt hatte 26 Personen überprüft, erst Anfang Februar habe es einen Hinweis auf einen Sportschützen gegeben, der als „BRD-Leugner“ auffiel. Dem werde jetzt nachgegangen.

In Ulm sind nach Angaben der Behörden 35 „Reichsbürger“ bekannt, im Ostalbkreis einer. Bisher habe es aber keine Hinweise auf Waffenbesitz gegeben. Der 61-Jährige, dessen Wohnung in Ulm bei der Polizeiaktion am 7. Februar durchsucht worden war, hatte offenbar keine Waffen. Beschlagnahmt wurde ein „Reichsbürgerausweis“. Die Stadt Heidelberg hat nach Auskunft der Waffenbehörde keine Kenntnisse über „Reichsbürger“. Man kontrolliere Waffenbesitzer „regelmäßig und bei aktuellen Vorkommnissen auf ihr Zuverlässigkeit und Eignung“. Mannheim habe bereits im Dezember begonnen, seine Erkenntnisse innerhalb des Stadtgebiets zusammenzuführen und stehe im direkten Austausch mit der Polizei. Es seien 30 Personen bekannt, die den „Reichsbürgern“ zugerechnet werden müssten, darunter zwei mit einer Waffenbesitzkarte. Sobald gesicherte Erkenntnisse vorlägen, würden Maßnahmen ergriffen.

„Reichsbürger“ zahlen Bußgeld nicht und gehen lieber ins Gefängnis

Im Übrigen gebe es auch mit unbewaffneten „Reichsbürgern“ regelmäßig amtlichen Zoff, vor allem wenn Bußgeldverfahren vor Gericht landen. „Das macht dann erheblich Arbeit“, berichtet der Freiburger Amtsrichter Lars Petersen. „Die akzeptieren das Gericht nicht und versuchen, es mit obskuren Anträgen lahmzulegen.“ Vor allem wollen sie die Verlesung der Anklage verhindern. Es kam auch schon vor, dass ein „Reichsbürger“ lieber ins Gefängnis ging, als 20 Euro zu zahlen. Leidtragende der Bußgeldverweigerer sind auch die Gerichtsvollzieher, die nicht bezahlte Gebühren und Strafzettel eintreiben müssten. Immer öfter fordern die Gerichtsvollzieher bei solchen problematischen Gängen Schutz von der Polizei an – doch diese sei unterbesetzt, so dass sich die Gerichtsvollzieher meistens selbst helfen und wenigstens einen Kollegen mitnehmen müssten.

Strenge Regeln

Waffenbesitz

Waffenbesitz
Erwachsene dürfen Schusswaffen nurkaufen, wenn sie eine Waffenbesitzkarte haben. Pistolen oder Gewehre dürfen in der Öffentlichkeit nur mit einem Waffenschein mitgeführt werden, bei Schreckschusswaffen genügt der „kleine Waffenschein“, der „große“ wird an Privatpersonen selten vergeben. Jäger mit Jagdschein dürfen etwa Gewehre zur Jagdausübung ohne Waffenschein benutzen. Auch sie brauchen eine Besitzkarte, auf der jede Waffe verzeichnet ist.

Gesetz

Das Waffengesetz (WaffG) regelt in Paragraf 5 die Zuverlässigkeit des künftigen Waffenbesitzers, wenn er die Erlaubnis zum Erwerb, Besitz und Führen einer Waffe beantragt. Nach Absatz 2, Ziffer 3, ist zum Beispiel nicht zuverlässig, wer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt, die sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ richten.