Geschlecht, Herkunft oder Alter sollen Stellensuchenden nicht mehr die Türen zum Vorstellungsgespräch verschließen. Das Land testet in einem Antidiskriminierungsprojekt nun anonymisierte Bewerbungen.

Stuttgart - Es gibt keine vorsätzliche Diskriminierung“, da ist sich Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sicher. Aber es gibt Klischees, die potenzielle Arbeitgeber davor zurückschrecken lassen, Bewerber mit ausländischen Wurzeln in die engere Auswahl zu nehmen. Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) beruft sich auf eine Studie der Uni Konstanz. Danach sind in kleinen Betrieben die Bewerbungschancen von Menschen mit türkisch klingenden Namen 24 Prozent geringer als etwa die von Hinz und Kunz. Außerdem seien 15 Prozent der Betriebe nicht bereit, Jugendliche einzustellen, die den Islam praktizierten.

 

Schere im Kopf minimieren

Stefan Birkle, der Geschäftsführer der Stuttgarter Firma Bürkle und Schöck, gehört nicht dazu. Er will angesichts der Lage auf dem Fachkräftemarkt „alle Potenziale erschließen“ und „die Schere im Kopf minimieren“. Deshalb hat sich der Mittelständler dem Modellprojekt zu anonymisierten Bewerbungsverfahren angeschlossen. Gestern verkündete Öney den Start des Projekts im Land, das bis Herbst 2013 laufen soll.

Auf Bundesebene habe man gute Erfahrungen gemacht, berichten Lüders und Öney. Frauen und Migranten würden profitieren, wenn auf dem Bewerbungsbogen weder Name noch Geschlecht, Alter oder Herkunft stünde.

Angekommen im „Herzland der Wirtschaft“

Auf den Zug sind laut Lüders neben Baden-Württemberg auch Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen aufgesprungen. Sie freut sich, „dass das anonymisierte Verfahren nun angekommen ist, im Herzland der deutschen Wirtschaft“. Neue Erkenntnisse erhofft sich die Kämpferin gegen Antidiskriminierung vor allem über kleine und mittlere Unternehmen, die im Land stark vertreten sind. Bei den anonymisierten Verfahren soll sich der Blick „absolut auf die Qualifikation richten“. Denn „wir brauchen alle qualifizierten Menschen“. Hätten Bewerber erst einmal die Hürde zum Vorstellungsgespräch genommen, könnten sie ihre Qualifikation ausspielen. Lüders betont auch, „es ist effektiv, eine vielfältige Belegschaft zu haben“.

Mehr Aufklärung über Diskriminierungsverbot

Die Integrationsministerin wirbt für das Verfahren, ihr Haus beteiligt sich selbst daran. Auch die Arbeitgeberverbände seien aufgeschlossen. Ende kommenden Jahres erwarte man vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit wissenschaftlich fundierte Aussagen, ob sich das Verfahren für den Südwesten eigne. Doch Öney betrachtet anonymisierte Bewerbungen nur als eine Möglichkeit gegen Diskriminierung. Wolle man gezielt Frauen und Migranten einstellen, sei dieses Verfahren nicht geeignet, findet Öney. Generell müssten Menschen über ihre Rechte aufgeklärt werden. Die Ministerin verwies auf die Möglichkeit gegen Diskriminierung zu klagen. Im Jahr 2013 werde ihr Haus den Fokus auf Informationen zur Antidiskriminierung und auf Beratungsnetzwerke richten, kündigte Öney an.

Die CDU lehnt das anonymisierte Verfahren ab. Es laufe den Bemühungen vieler Unternehmen zuwider, mehr Frauen und Migranten einzustellen. Die knappen Ressourcen sollten dafür verwendet werden, die Qualifizierung und Berufsbildung für Migranten zu verbessern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter auszubauen, verlangt die Opposition.

Teilnehmer an dem Projekt

Die größten Arbeitgeber, die bei dem Projekt mitwirken, sind die Stadt Mannheim und die Firma Bosch. Ebenfalls dabei sind das Sozial- und das Integrationsministerium sowie die Mannheimer Firma Baktat, die türkische Lebensmittel herstellt und vertreibt. Dazu kommt die Ingenieurkammer Baden-Württemberg, Bürkle und Schöck (Stuttgart), Strohecker und Weinbrecht (Niefern-Öschelbronn), Panbear (Mannheim) und Alois Reutlinger (Rosenfeld).

Bundesweit haben bereits acht Organisationen ein Jahr lang (bis November 2011) das anonymisierte Bewerbungsverfahren getestet. Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) kam zu dem Schluss, dass Frauen und Migranten bessere Chancen hatten, zu einem Vorstellungsgespräch ein-geladen zu werden.