Eltern und Schüler müssen sich darauf einstellen, dass im neuen Schuljahr einige Unterrichtsstunden ausfallen. Besonders auf dem Land kann es kritisch werden. Junge Lehrer bevorzugen die Stadt.

Stuttgart - Für jede zehnte offene Lehrerstelle hat das Land eine Woche vor Schuljahresbeginn noch keine Interessenten gefunden. Junge Lehrer zieht es in die Städte, Schulen auf dem Land täten sich schwer, besonders in Mangelfächern, geeignete Bewerber zu finden, berichtete Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) in ihrer Pressekonferenz zum Schuljahresanfang. Besonders knapp sind Grundschullehrer und Sonderpädagogen. Rund 6600 Lehrer können zu diesem Schuljahr neu eingestellt werden, hautsächlich weil viele Pädagogen in den Ruhestand gehen. Trotz dieser neuerlichen Rekordeinstellung sieht die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Probleme in der Unterrichtsversorgung heraufziehen.

 

Warnung vor Unterrichtsausfall

Die GEW-Vorsitzende Doro Moritz, schon viele Jahre im Geschäft, kann sich nicht erinnern, dass zum Schuljahresanfang so viele Stellen nicht besetzt werden konnten. „Eltern werden sich darauf einstellen müssen, dass Unterricht ausfällt“, sagt Moritz für das Schuljahr voraus, das am 12. September beginnt. Eisenmann hofft, dass sich die Lage bis Ende September noch bessert. So lange sind Einstellungen möglich. Das Ministerium werde auch versuchen, Teilzeitstellen aufzustocken.

Dass Sonderpädagogen fehlen, betrachtet die GEW als ein hausgemachtes Problem. Die Inklusion, der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern an Regelschulen, ist Gesetz. Das betonte auch Kultusministerin Eisenmann ausdrücklich. Zurzeit würden 6500 Schüler inklusiv unterrichtet, mehr als die Hälfte davon an Grundschulen. Für die Inklusion werden Sonderschullehrer an Regelschulen eingesetzt, gleichzeitig sollen die Sonderschulen als Sonderpädagogische Beratungszentren erhalten bleiben. Das Kultusministerium schafft zwar neue Stellen – 200 im kommenden Schuljahr. Aber die Interessenten fehlen. Die GEW schlägt vor, schnell einen Aufbaustudiengang Sonderpädagogik einzurichten, der für Hauptschullehrer attraktiv sei, um dem Mangel zu begegnen.

Bildungscontrolling wird eingeführt

Die Zuwanderung sorgt dafür, dass die Schülerzahlen leicht steigen. Eisenmann geht davon aus, dass dieser Trend sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Mit Blick auf die Schuldenbremse und die Sparpläne der Landesregierung erklärte die Ministerin: „Stellenstreichungen sind kein Thema“. Eisenmann will die Qualität der Schulen steigern. Nach den für Baden-Württemberg ernüchternden Ergebnissen der jüngsten Vergleichsstudien, setzt die neue Kultusministerin nun auf Bildungscontrolling. Bisher gibt es zwar externe und interne Evaluationen der Schulen, doch seien diese „weitgehend nebeneinander her gelaufen“, konstatiert Eisenmann. „Wir konnten aus den Evaluationen nicht ableiten, was bestimmte Konstellationen für den Lernerfolg der Schüler bedeuten“, sagte die Ministerin.

Gleichzeitig betonte sie „wir haben kein flächendeckendes Qualitätsproblem“. Es gebe im Land sehr gute Schulen, aber auch solche mit Entwicklungsbedarf. Durch das Controlling sollen „Erfolgskriterien definiert und Ansätze sehr guter Schulen beachtet werden“. Die Ministerin sagte aber auch, „Wir setzen bei der Qualitätsentwicklung nicht immer nur auf neue Stellen“. Beispielsweise wird in den Grundschulen die Praxis des Rechtschreiblernens überprüft. Die Vergleichsstudie hatte erhebliche Mängel der Grundschüler in der Rechtschreibung offenbart. Das so genannte Schreiben nach Hören gilt inzwischen als fragwürdig.

Vorreiter bei Potenzialanalyse

Mit Blick auf die Flüchtlinge will Baden-Württemberg vorangehen. Eisenmann kündigte an, Baden-Württemberg werde als bundesweiter Vorreiter im kommenden Schuljahr die Potenzialanalyse für neu Zugewanderte in der Fläche einführen. Die Erprobungsphase ist bereits abgeschlossen. Die jungen Flüchtlinge werden dabei systematisch auf ihre Fähigkeiten in Deutsch, Mathematik und Englisch überprüft. Erhoben werden auch Informationen über bisherigen Schulbesuch und Analphabetentum. Forderungen, beispielsweise an Berufsschulen die Vorbereitungsklassen für Flüchtlinge auf zwei Jahre auszudehnen, erteilte Eisenmann eine Absage. „Wir halten an der Zielsetzung der schnellen Überführung in die Regelklassen fest“, sagte sie.

Gemeinschaftsschulen besorgt

Besorgt zeigt sich der Verein für Gemeinschaftsschulen nach dem Auftritt der Ministerin. Eisenmann hatte sich deutlich für die Stärkung der Realschulen ausgesprochen und ein Konzept zur pädagogischen Weiterentwicklung in Aussicht gestellt. Die Arbeitgeber begrüßen diesen Ansatz. Die Gemeinschaftsschulen fühlen sich „nachrangig“ behandelt. Matthias Wagner-Uhl, der Vorsitzende des Vereins für Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg, erklärt: „Entgegen den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag möchte das CDU-geführte Kultusministerium die dort wohl ungeliebte, weltweit aber anerkannte Schulform Gemeinschaftsschule Schritt für Schritt ins Abseits führen“.

Wagner- Uhl befürchte, die Einführung einer gymnasialen Oberstufe an Gemeinschaftsschulen könnte behindert „oder gar blockiert“ werden. Eisenmann hatte erneut betont, eine stabile Vierzügigkeit in der Sekundarstufe eins sei Voraussetzung für eine gymnasiale Oberstufe an einer Gemeinschaftsschule . Dem hatte schon die Grüne-Landesvorsitzende Thekla Walker entschieden widersprochen. 60 Schüler seien notwendig, um eine Oberstufe einzurichten, nicht die Vierzügigkeit, darauf beharrt Walker.