Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Auf drei Jahre ist das Programm angelegt, 95 Millionen Euro stellt das Land dafür bereit. Die Betroffenen sollen in der Zeit mit sozial- und traumapädagogischen sowie psychologischen Maßnahmen so weit gebracht werden, mit ihrem Schicksal zurecht zu kommen. „Sie sollen lernen, mit dem Trauma zu leben“, so Kizilhan. „Dann müssen sie entscheiden, ob sie hier bleiben wollen.“ Nach seinen Beobachtungen will die Mehrheit dies auch, weil sie im Augenblick für sich keine Zukunft im Irak sehen.

 

Eine individuelle Therapie haben die meisten betroffenen Frauen bisher abgelehnt. „Viele sind noch nicht soweit“, sagt Kizilhan. Um die schwere Traumatisierung verarbeiten zu können, sei innere Stabilität eine Grundvoraussetzung. „Man muss in der Lage sein, darüber zu sprechen.“ Viele hätten noch Verwandte in IS-Gefangenschaft, was auch ein Grund für das anhaltende Trauma sei. Bei Kindern gehe das schneller, weil sie sich in Schule etwas integrieren könnten.

Neues Institut für Psychotherapie im Nordirak

Dem Zentralrat wäre es daher auch wichtig, wenn man die Jesiden in ihrer Heimat vernünftig betreuen könnte. „Die Menschen in den Camps wollen alle in ihr altes Leben zurück“, sagt Geisler. „Das ist das Mindeste, was wir ihnen zugestehen müssen.“ Diesem Zweck dient auch ein Institut für Psychotherapie, das mit der Universität Dohuk aufgebaut werden soll – Kizilhan reist dazu in einer Woche in den Nordirak. Das Land stellt dafür eine Million Euro plus 320 000 Euro an Stipendiengeldern für Studierende bereit. Beteiligt ist neben der Dualen Hochschule auch die Universität Tübingen. Der erste Masterstudiengang beginnt Anfang 2017 – nach drei Jahren werden die ersten Absolventen in Flüchtlingscamps, Krankenhäusern und Sozialstationen eingesetzt.

In den kurdischen Flüchtlingscamps leben 1400 weitere jesidische Frauen und Kinder, die auch die Kriterien des Programms erfüllen. Dann kennt man noch 3200 bis 3800 Vermisste, die womöglich noch vom IS gefangen gehalten werden. „Wir wissen nicht, ob sie alle leben“, sagt Kizilhan. „Man geht davon aus, dass die Frauen zu 90 Prozent noch als Sklaven gehalten werden.“ Nicht wenige haben sich selbst getötet, um dem Martyrium zu entgehen. Die 400 bis 600 Männer seien eventuell schon hingerichtet worden.