99 judenfeindliche Delikte im Südwesten registrierte das Inneministerium 2017. Mit einem Antisemitismusbeauftragten will das Land gegensteuern.

Stuttgart - Der Religionswissenschaftler Michael Blume soll Antisemitismusbeauftragter des Landes werden. Das haben Regierungskreise am Mittwoch bestätigt. Zuvor hatte der Landtag mit den Stimmen von Grünen, CDU, SPD und FDP beschlossen, der Landesregierung eine solche Stelle vorzuschlagen. Blum, der im Staatsministerium arbeitet, soll künftig Ansprechpartner für Juden und jüdische Organisationen sein und Initiativen gegen Antisemitismus auf den Weg bringen. Dabei erhält der 41-Jährige Unterstützung von Experten aus Wissenschaft, Bildung und Gesellschaft.

 

„Der Wahnsinn des Antisemitismus ist längst noch nicht überwunden“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch im Landtag. Er zeige sich in Deutschland so offen wie lange nicht mehr. „Ja, der Antisemitismus ist sogar wieder in vielen Parlamenten angekommen, leider auch in unserem“, erklärte Kretschmann und verwies unter anderem auf den Antrag der AfD-Landtagsfraktion, die Mittel für die Gräber der nach Frankreich deportierten ermordeten badischen Juden in Gurs zu streichen, und auf die Forderung des fraktionslosen AfD-Mitglieds Wolfgang Gedeon, die Stolpersteininitiative zur Erinnerung an Opfer der Nationalsozialisten zu stoppen.

AfD sieht keinen Bedarf

„Sie mögen keine antisemitische Partei sein, aber Sie haben ein massives Antisemitismusproblem“, sagte CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart auch mit Blick auf Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke, der das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hatte. Für keine Form des Antisemitismus – „ob von rechts, von links oder auch aus muslimischem Hintergrund“ – dürfe es Toleranz geben. „Angriffe auf unsere jüdischen Mitbürger sind Angriffe auf uns alle“, erklärte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Er forderte zu überprüfen, ob und wie Aufklärungskampagnen dem Judenhass entgegenwirken. „Nur so können wir die richtigen Maßnahmen ergreifen, um Antisemitismus vor allem auch in den Köpfen junger Menschen gar nicht erst entstehen zu lassen oder ihn zu bekämpfen.“ FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte, keine Form des Antisemitismus dürfe geduldet werden. „Wer Hass, Vorurteile und Gewalttätigkeiten nach Deutschland bringen will, dem müssen wir die Tür weisen.“ Deshalb sei ein neues Einwanderungsrecht nötig.

AfD-Fraktionschef Bernd Gögel warf den anderen Parteien vor, die AfD auszugrenzen, „um sich feierlich zu den Anständigen in Deutschland zu erklären“. Wenn der Staat seine Gesetze durchsetze, brauche er keinen besonderen Beauftragten. Dabei hätten „Sie, die Kartellparteien“ seit 2015 Flüchtlinge aus Ländern zugelassen, „in denen der Antisemitismus Staatskult ist“.

Straftaten überwiegend aus dem rechtem Spektrum

Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz erklärte, die AfD müsse erst einmal ihr Verhältnis zum Antisemitismus klären. Gögel habe keine Schwierigkeiten damit gehabt, „mit dem Antisemiten Gedeon eine Fraktion zu bilden“ und diesem wieder die Mitarbeit im Fraktionsarbeitskreis zu ermöglichen.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte, der Antisemitismus unter muslimischen Flüchtlingen bereite ihm Sorge. „Was aber gar nicht geht, ist zu versuchen, die Diskussion auf diesen Kreis zu verengen.“ Das Problem komme nicht von außen. 2017 wurden nach Angaben des Innenministeriums im Südwesten 99 antisemitische Straftaten erfasst, davon kein Gewaltdelikt. Überwiegend handelte es sich um Volksverhetzung, Propaganda und Sachbeschädigungen. In 92 Fällen wurden die Delikte Tätern aus dem rechten Spektrum zugeordnet.