Der Protest gegen die Corona-Auflagen treibt viele Menschen auf die Straße - darunter mischen sich auch Extremisten. Dem will der Staat nicht tatenlos zusehen. Baden-Württemberg macht den Anfang.

Stuttgart - Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet als erstes in Deutschland die „Querdenken“-Bewegung. Es lägen „hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung“ vor, teilten Innenminister Thomas Strobl und Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube am Mittwoch in Stuttgart mit. „Querdenken richtet sich gegen die freiheitliche Grundordnung“, sagte Strobl. Dies sei eine Tatsache und keine Vermutung.

 

Mehrere maßgebliche Akteure der „Querdenken“-Bewegung ordne das Landesamt dem Milieu der Reichsbürger und Selbstverwalter zu, die die Existenz der Bundesrepublik leugnen und demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren, hieß es. Die Stuttgarter Gruppe „Querdenken 711“ ist so etwas wie die Keimzelle der mittlerweile bundesweit aktiven Corona-Protestbewegung. Strobl sagte: „Das Epizentrum des Phänomens bildet die Gruppierung Querdenken 711 aus Stuttgart.“

„Wir sind eine friedliche Bewegung und keine politische Partei.“

Der Innenminister erläuterte, die Beobachtung richte sich in erster Linie gegen die Organisatoren der Gruppe „Querdenken 711“ in Stuttgart und ihre regionalen Ableger. Die Prüfung des Verfassungsschutzes habe ergeben, dass zentrale Akteure verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgten. Es handele sich um eine Gruppe von Personen „im niedrigen zweistelligen Bereich“.

Bei der Bewegung gebe es eine „toxische Mischung“, Rechtsextremisten gäben „staatsverachtende Impulse“, sagte Strobl. Es häuften sich die Aussagen, die die Zeit der NS-Zeit relativierten und den Holocaust verharmlosten. Verfassungsschutzchefin Bube erläuterte, „Querdenken“ vernetze sich gezielt mit anderen Rechtsextremisten und Reichsbürgern. Als Beispiel nannte sie ein „Arbeitstreffen“ der „Querdenken“-Gruppe in Thüringen mit dem prominenten Reichsbürger Peter Fitzek, der sein eigenes „Königreich Deutschland“ ausgerufen hat. Bei Demonstrationen werde von Rednern zum Widerstand aufgerufen, Reden hätten häufig einen „antisemitischen Einschlag“.

Strobl betonte aber, es gebe keinen „Generalverdacht“ gegen Menschen, die gegen die staatliche verordneten Corona-Beschränkungen demonstrierten. „Es ruft nicht jede unliebsame Äußerung den Verfassungsschutz auf den Plan.“ Der CDU-Politiker ergänzte: „Die meisten Demonstranten sind keine Extremisten.“ Sie sollten aber schon schauen, wer mit ihnen läuft und welche Fahnen diese schwenkten. Bube sagte, ab sofort könnte der Verfassungsschutz seinen ganzen Instrumentenkasten zur Beobachtung der Organisatoren einsetzen. Dabei gehe es um Observation, den Einsatz von V-Leuten sowie Internet-Überwachung.

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Der Stuttgarter „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg hat sich immer wieder gegen die Vorwürfe gewehrt. Zuletzt hatte der IT-Unternehmer Ende vergangener Woche der dpa gesagt: „Wir sind eine friedliche Bewegung und keine politische Partei.“ Extremismus, Gewalt, Antisemitismus und menschenverachtendes Gedankengut hätten ebenso wenig Platz bei den „Querdenkern“ wie die Symbole dieser Denkweisen. Strobl entgegnete, wenn Ballweg das behaupte, dann solle er sich nicht mit führenden Reichsbürgern treffen.

Anhänger der Initiative „Querdenken 711“, das Kürzel kommt von der Stuttgarter Telefonvorwahl 0711, und Ableger der Bewegung sind in den vergangenen Monaten in zahlreichen deutschen Städten gegen Beschränkungen in der Corona-Krise auf die Straße gegangen. Die Mischung der Teilnehmer ist vielfältig: Sie reicht von eher bürgerlichen Demonstranten, Esoterikern, Friedensbewegten bis hin zu Reichsbürgern und offen Rechtsextremen. Zuletzt war es auch im Umfeld der Demonstrationen immer wieder zu Gewalt gekommen. Bube nannte auch den versuchten Sturm auf den Reichstag Ende August.

Grüne und SPD begrüßen die Entscheidung

Auch die Innenministerkonferenz will sich an diesem Donnerstag mit dem Thema befassen. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte bereits eine schnelle Beobachtung der Bewegung gefordert. Bube sagte, man sei im Gespräch mit dem Bundes- und den anderen Landesämtern, über eine Beobachtung werde jedoch individuell entschieden. Der Verfassungsschutz in Bayern beobachtet die „Querdenken“-Bewegung als Ganzes derzeit nicht, allerdings einzelne Personen, hieß es in München.

Der FDP-Innenpolitiker im Bundestag, Benjamin Strasser, sagte: „Die offensichtliche Radikalisierungsspirale von Querdenken hat nichts mehr mit normalem, demokratischen Protest zu tun. Aus den Reihen dieser Gruppe wurde zum Sturm auf freigewählte Parlamente, zu Drohungen und Gewalt gegen staatliche Institutionen aufgerufen.“

Auch SPD-Bundestagsfraktionsvize Katja Mast sagte: „Gut, dass der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg durchgreift. Rechtsextreme wollen unsere Demokratie zersetzen und nutzen dafür auch den Protest gegen Corona-Einschränkungen.“ Die „Querdenken“-Bewegung habe sich auch nie „anständig distanziert“. Die Pforzheimer Abgeordnete ergänzte: „Der parlamentarische Arm der Demokratiezersetzer ist die AfD.“