Die Parteien in Baden-Württemberg können weiter zulegen. Die Grünen verzeichnen sogar ein Allzeithoch. Doch Politikwissenschaftler Oscar Gabriel sieht trotz steigender Mitgliederzahl Probleme auf die Parteien zukommen.

Stuttgart - Ein Allzeithoch der Mitglieder bei den Grünen, ein Anstieg der Neueintritte bei der FDP nach dem Jamaika-Aus und zahlreiche junge Neumitglieder unter 35 Jahren bei der SPD: Für die Parteien in Baden-Württemberg war das Jahr der Bundestagswahl offensichtlich ein voller Erfolg. Der Politikwissenschaftler Oscar Gabriel sieht trotz steigender Mitgliederzahlen die Probleme in der Zukunft der Parteien.

 

„Die aktuellen Zahlen deuten keine starken Zuwächse an. Den leichten Anstieg sollte man daher nicht überbewerten. Oft resultiert der Beitritt aus dem Wunsch, in einer kritischen Situation Solidarität mit einer Partei zu demonstrieren. Die Bereitschaft, sich dauerhaft aktiv in einer Partei zu engagieren, steht auf einem anderen Blatt und ist nicht substanziell gestiegen“, erklärt Gabriel, der als Professor und Direktor am Institut für Politikwissenschaft und Sozialwissenschaften an der Universität Stuttgart gearbeitet hat. Vielmehr sei der Rückgang, der seit etwa 1990 verzeichnet wurde, etwas gestoppt worden.

Die CDU in Baden-Württemberg hat aktuell 64 000 Mitglieder. Die SPD ist seit dem vergangenen Jahr um 4,5 Prozent auf 35 000 Mitglieder gewachsen, die Grünen liegen bei 9541 Parteimitgliedern und die FDP zählt insgesamt 7300 Mitglieder. Die AfD konnte auf Nachfrage keine Auskunft über ihre aktuelle Mitgliederzahl geben.

Wie aktiv Parteimitglieder sind, ist entscheidend

Vor allem die FDP legte mit 900 Neumitgliedern im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg kräftig zu. Ein Grund hierfür sieht Gabriel darin, dass es den Liberalen gelungen sei, sich neu zu positionieren und programmatisch auszurichten. Dennoch sei der jüngste Anstieg unter Berücksichtigung des vorherigen Rückgangs zu betrachten. „Die FDP ist noch lange nicht auf dem Stand von vor 2012“, so Gabriel.

Auch dass bei der SPD die Mitgliederzahlen nach der Ernennung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidat besonders stark gestiegen sind, solle man nicht überbewerten. Einen ähnlichen Effekt hätte es bereits zu Zeiten von Willy Brandt gegeben. Die Frage sei eher, wie aktiv die neuen Mitglieder am Ende seien.

Denn darin sieht der Politikwissenschaftler das größte Problem für die Parteien im Land. „Der Beitritt in eine Partei impliziert nicht unbedingt, dass die neuen Mitglieder auch politisch aktiv werden. Ein Teil wird das sicherlich tun und die Möglichkeiten nutzen, der andere Teil bleibt eine Karteileiche“, erklärt Gabriel.

Bevölkerung ist weniger politisch, dafür aber sozial engagierter

Grundsätzlich gehe der Trend in den letzten Jahren aber eher nach unten. Die Mitgliederschaft sei in den meisten Parteien stark veraltet. Der größte Teil der Rückgänge sei darauf zurückzuführen, dass Mitglieder sterben. Dies bestätigt auch Mark Fraschka, Leiter des Leistungsstabes der CDU Baden-Württemberg: „Wir verlieren jeden Monat durchschnittlich 80 Mitglieder, da die starken CDU-Jahrgänge sterben.“ Unsere Gesellschaft sei nicht politischer geworden, sondern sozial engagierter, erklärt Gabriel. Das bedeutet aber nicht, dass die Menschen deshalb auch in Parteien eintreten. Der Politikwissenschaftler kann dieser Entwicklung dennoch eine positive Seite abgewinnen. „90 Prozent der erwachsenen Bevölkerung engagieren sich in der Gesellschaft. Das reicht von Blutspenden bis zur Ausübung des Wahlrechts – und das ist doch eine gute Botschaft.“

Dennoch bereitet ihm die Entwicklung der Parteien einiges Kopfzerbrechen. Die größte Gefahr durch den steigenden Mitgliederschwund sieht Gabriel in der mangelnden Besetzung von öffentlichen Ämtern in der Zukunft. „Die Parteien werden massive Probleme haben, beispielsweise Kandidaten für die Gemeinderäte zu finden. Das wiederum ist ein Problem für unser demokratisches System.“