Im Südwesten sind noch einige weiße Flecken mit Schienen ohne Oberleitungen zu finden. Dort müssen Dieselloks fahren. Diese Strecken will Verkehrsminister Hermann unter Strom setzen lassen.

Stuttgart - Die Schiene darf im Wettbewerb mit der Straße aus Sicht von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) nicht ins Hintertreffen geraten. Deshalb will er deutlich mehr Bahnstrecken mit Oberleitungen ausstatten lassen. „Wir glauben, wenn der Verkehr auf der Straße elektrifiziert wird, kann der Schienenverkehr nicht weiter dieseln“, sagte Hermann am Freitag in Stuttgart.

 

Der Grünen-Politiker stellte ein Konzept vor, mit dem der bisherige Anteil von 60 Prozent elektrifizierter Strecke in drei Stufen bis 2030 auf 100 Prozent erhöht werden kann. So kämen die Dieselloks im Südwesten peu à peu aufs Abstellgleis. Bei einer Gesamtlänge des Netzes von 4100 Kilometern betrage die Lücke noch beachtliche 1600 Kilometer.

Für die Finanzierung ist laut Hermann hauptsächlich der Bund zuständig, für die Realisierung die Deutsche Bahn. Dabei hofft Hermann aus einen Sondertopf des Bundes. Er wolle diesen sehr schnell anzapfen und treibe deshalb die Planungen voran. „Nun setzen wir auf konkrete Aktionen aus Berlin.“ Anfang Mai will Hermann die Perspektiven mit Bürgermeistern, Landräten und Abgeordneten erörtern.

FDP: Hermann schiebt Kommunen schwarzen Peter zu

Aus Sicht der Landtags-FDP betreibt Hermann ein Schwarzer-Peter-Spiel mit den Kommunen. Denn es ist offenbar beabsichtigt, die Maßnahmen überwiegend nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zu realisieren, wie der liberale Verkehrsexperte Jochen Haußmann betonte. „Das bedeutet, dass die kommunale Seite nicht nur 20 Prozent der Baukosten, sondern auch die gesamten Planungskosten tragen müsste.“ Der ökologische Verkehrsclub Deutschland begrüßte hingegen das Konzept.

Die Kosten für das Anbringen der Fahrdrähte liegen nach grober Schätzung bei eingleisigen Strecken bei einer Million Euro pro Kilometer und bei zwei Gleisen bei 1,5 Millionen Euro pro Kilometer.

Zur ersten Stufe gehören Projekte in Planung oder Bau auf 514 Kilometern Strecke. Beispiele sind die Südbahn zwischen Ulm und Friedrichshafen, die seit kurzem elektrifiziert wird, oder die entsprechende Planung für die Hochrheinbahn zwischen Basel und Schaffhausen. Auch die Breisgau-S-Bahn fällt unter diese Kategorie ebenso Teile der Regionalbahn Neckar-Alb.

In einem zweiten Schritt sind vordringliche Projekte im Gesamtumfang von 200 Kilometern - insbesondere Lückenschlüsse - vorgesehen. Sie sollen bis 2025 angegangen oder bereits verwirklicht sein. Beispiel: Die Elektrifizierung zwischen Öhringen und Schwäbisch Hall, die auch zur Entlastung der stark benutzten Autobahn 6 Nürnberg-Mannheim beitragen könnte.

Oberleitungsstrecken regional sehr unterschiedlich verteilt

Langfristige Vorhaben im Volumen von 687 Kilometern werden in einer dritten Kategorie ins Auge gefasst. Hier kommen auch Lösungen mit Fahrzeugen in Betracht, die mit eigenem Antrieb wie Batterien oder Brennstoffzelle fahren. Allerdings seien solche Fahrzeuge auf dem Markt noch gar nicht in großer Stückzahl erhältlich. Das Ministerium werde auf einer landeseigenen Strecke in der Ortenau eine Ausschreibung starten für klimafreundliche Technologien - Dieseltriebwagen seien nicht zugelassen.

Der grüne Verkehrsexperte Daniel Renkonen nannte als Vorteile der Elektrifizierung: leistungsstärkere Züge, bessere Beschleunigung, emissionsarmer Antrieb und ein - im Vergleich auch zu Batterie und Brennstoffzelle - verschwindend geringer Energieverlust bei der Übertragung durch Oberleitungen. „Außerdem wird das Netz so widerstandsfähiger, wenn geplante oder ungeplante Streckensperrungen vorliegen und Züge umgeleitet werden müssen.“

Die bisherige Verteilung der Strecken mit Oberleitungen ist regional sehr unterschiedlich. Die Ballungsräume Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart sind gut versorgt. Der Südosten ist hingegen kaum elektrifiziert. Das sieht die FDP auch durch die Pläne Hermanns nicht verbessert. „Ich fasse es so zusammen: Oberschwaben wird abgehängt“, sagte der liberale Abgeordnete Haußmann.