Die baden-württembergischen Firmen halten an den USA fest. Manchen reicht es auch mit der Kritik an dem Präsidenten.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Amherst/Virginia Beach - Die wichtigsten Worte hat sich Richard Mitts unter die Haut ritzen lassen. „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika“ – so beginnt die Verfassung seines Landes und so beginnt das Tattoo auf seinem Oberarm. Es soll so aussehen, als wäre die Präambel direkt ins Fleisch tätowiert, als würden die Worte erst sichtbar, wenn die Haut aufreißt. „Ich bin ein Patriot“, sagt Mitts. Nur zwei Gäste sind an diesem Nachmittag in seinem Restaurant Boomer’s BBQ. Draußen flimmert die Luft über der Hauptstraße des kleinen Ortes Amherst im Bundesstaat Virginia. Alle fünf Minuten fährt ein Auto vorbei. Dann schauen die Leute auf und grüßen. Die Menschen kennen einander. Sie kennen auch die baden-württembergische Manufaktur Hermle, die in dem 2000-Seelen-Ort Teile von Schwarzwalduhren produziert.

 

Der amerikanische Präsident Donald Trump hat die deutschen Firmen in den vergangenen Monaten heftig attackiert. „Die Deutschen sind böse, sehr böse“, hat er gesagt, denn die USA weisen gegenüber Deutschland ein riesiges Handelsdefizit auf. Und kaum ein Bundesland verkörpert die Probleme, die Trump mit den deutschen Unternehmen hat, so sehr wie das exportstarke Baden-Württemberg.

Das Land hat 2016 Waren im Wert von 23,4 Milliarden Euro in die USA verkauft, aber nur Güter im Wert von 12,3 Milliarden Euro eingekauft. Insgesamt exportierte Deutschland 2016 Waren im Wert von 107 Milliarden Euro in die USA, die Importe beliefen sich auf 58 Milliarden Euro. Die Wirtschaftsverbände beobachten seit Trumps Attacken gegen die deutsche Wirtschaft genau, ob die Stimmung auch gegenüber den Mitarbeitern deutscher Firmen im Land kippt. Aber die baden-württembergischen Firmen halten an dem Land fest. Manchen reicht es auch mit der Kritik an Trump.

In Amherst zählt Nachbarschaft

Zum Rathaus von Amherst braucht es von Mitts Restaurant zu Fuß drei Minuten. Amherst ist eine kleine Welt und der Gemeindedirektor Jack Hobbs kennt sie genau. Mehr als 60 Prozent der Bürger haben in seinem Wahlbezirk Donald Trump gewählt. „Aber solche Worte wie Währungseffekt oder Handelsbilanzdefizit sagen uns hier ehrlich gesagt gar nichts“, sagt Hobbs. „Was uns hier etwas sagt, ist Nachbarschaft.“ Die Leute von Hermle sind Nachbarn. „Also helfen wir ihnen, wann immer wir können.“ Wie zum Beweis geht er in den Sitzungssaal des Ortes und zeigt auf die braune Holzuhr an der Wand: „Eine Hermle- Uhr!“ Es ist Viertel vor vier.

Um 16 Uhr sitzt Chad Eby in seinem Konferenzraum und wartet. Es gibt kein Fenster in dem Raum. Dafür sind die holzvertäfelten Wände und die Regale von oben bis unten voller Uhren. Er leitet den amerikanischen Standort von Hermle Clocks. Sein Problem ist nicht Trump. Sein Problem ist, dass die Menschen heute an jedem Gerät eine Uhr haben: Am Smartphone, an der Mikrowelle, am Fernseher. „Uhren sind heutzutage ein Luxusprodukt.“ Die Manufaktur ist bekannt für das Tellurium, bei dem sich Miniaturplaneten in Echtzeit um die Sonne bewegen. Die teuerste Uhr kostet 15 000 Euro. Der Standort ist in den vergangenen Jahren immer kleiner geworden. Heute beschäftigt Hermle in Amherst noch etwa 50 Menschen. Also hofft Eby, dass Trump der amerikanischen Wirtschaft einen Schub gibt. Nur Menschen mit viel Kaufkraft interessieren sich für seine Produkte. Die Kritik an Trump kann er langsam nicht mehr hören. „Es zeigt nicht das ganze Bild, wenn man immer nur darüber berichtet, was schiefläuft“, sagt er.

Die Familie Hermle aus Gosheim auf der Schwäbischen Alb produziert seit fast 100 Jahren Uhren. In Amherst fertigt die Manufaktur Gehäuse. „Es ist gut, dass Deutschland seine Produktionsarbeitsplätze in den vergangenen Jahren nicht ins Ausland verlagert hat“, sagt Eby. „Denn das bedeutet: Es gibt viele gut bezahlte Jobs für die Menschen in Deutschland.“ In Amerika sei es anders verlaufen. „Viele amerikanische Firmen haben profitable Fabriken geschlossen und die Produktion in Billiglohnländer verlagert.“

Trump will das Steuersystem reformieren

Nun will Trump das Steuersystem reformieren. Geht es nach ihm, sollen Unternehmen künftig viel weniger Geld an den Staat zahlen müssen, wenn sie sich in den Vereinigten Staaten ansiedeln. „Ich hoffe, dass es Donald Trump gelingt, die Steuern zu reformieren“, sagt Eby. „Das wird Amerikanern helfen, in ihre Firmen zu investieren, höhere Löhne zu zahlen und so weiter.“ Eby hofft, dass dann auch noch mehr Firmen aus Deutschland kommen. „Ich würde ihnen helfen, wo ich nur kann.“

Dass deutsche Firmen nicht nur für das umstrittene Handelsdefizit stehen, sondern auch für 4700 Standorte in den USA und fast 680 000 Jobs, sagen die Vertreter der deutschen Wirtschaft in Washington wieder und wieder. „Und jetzt“, fragt ein US-Wirtschaftsjournalist „erwartet ihr jetzt, dass der Präsident euch eine Dankeskarte schickt?“

Mehr als 300 Kilometer südöstlich von Washington entfernt blickt Familie Stihl ernst von einem eingerahmten Bild in der dunkel eingerichteten Empfangshalle in Virginia Beach. Der nach der Unternehmerfamilie benannte Motorsägenhersteller aus Waiblingen betreibt dort eine Fertigung.

Stihl betreibt in den USA den größten Produktionsstandort

Montageleiter Mark Myers ist stolz darauf: „Wir haben hier den größten Produktionsstandort des Unternehmens“, sagt er. Für Virginia Beach hat sich Stihl im Jahr 1974 wegen des Zugangs zum Meer entschieden. Stihl exportiert von den USA aus in 90 Länder. Aber die amerikanische Produktion ist nicht nur die größte: „Wir stehen jedes Jahr beim Qualitätsranking auf dem ersten Platz“, sagt Myers. „Nur vergangenes Jahr war eine Ausnahme.“ Die Stihl-Standorte befinden sich untereinander im Wettbewerb im Hinblick auf Qualität und Effizienz.

Myers arbeitet seit 38 Jahren bei Stihl. Er besitzt 13 Motorsägen. „Warum 13?“ wird Myers manchmal gefragt. „Weil ich sie brauche“, sagt er dann. Das weite Land, die riesigen Grünflächen, die vielen Gartenbaubetriebe, die Amerikaner mit ihrer Vorliebe für stabiles und effizientes Gerät: Stihl ist wie gemacht für die USA.

Und alles an Stihl in Virginia Beach wirkt amerikanisch, auch der Chef. Bjoern Fischer, Präsident von Stihl in den USA, blickt von seinem Büro aus auf große, saftig grüne Laubbäume. „Dass wir jeden Baum hier fällen könnten, heißt noch lange nicht, dass wir es auch tun“, sagt der gebürtige Südafrikaner. Sein Lachen klingt kräftig. Er leitet den Standort seit Januar 2016. „Bis auf 2009 hatte Stihl in den USA jedes Jahr ein Rekordjahr.“ So wird es wohl auch im nächsten Jahr sein. Die Vereinigten Staaten sind mit Abstand der wichtigste Markt für Stihl.

Fischer sagt, dass es Faktoren gibt, die für den Geschäftsverlauf wichtiger sind als Trump. „Wenn es regnet und wenn die Sonne scheint, wächst das Gras und unabhängig davon, was die Politiker machen, muss es gemäht werden.“ Aber wie Eby hofft auch er auf die Steuerreform.

Zurück in Amherst wird klar, was die Gemeinsamkeit der Menschen hier ist: Spätestens nach drei Sätzen bieten sie bei irgendetwas ihre Hilfe an. Fremde lassen sie nicht eher gehen, bevor sie wissen, wo diese ihre nächste Mahlzeit und einen Schlafplatz bekommen. Es ist eher ein kleiner Nebensatz von Richard Mitts, der deutlich macht, wo für manche dabei die Grenzen sind. „Grundsätzlich werden wir euch Deutsche immer unterstützen“, sagt Mitts, „denn ihr seht genauso aus wie wir.“