Ohne die Hilfe des Bundes werden die Länder die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen nicht stemmen können, sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann (Grüne).

Stuttgart - Baden-Württemberg rechnet mit weiter steigenden Flüchtlingszahlen. Bisher sind für das Jahr 2015 rund 33 000 Flüchtlinge für den Südwesten prognostiziert. Es sei anzunehmen, dass die bisherigen Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu niedrig seien, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag. Er appellierte dringend an den Bund, sich bei den Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge zu beteiligen, „sonst können die Länder das nicht stemmen“. Die Forderung soll am Donnerstag bei der Ministerpräsidentenkonferenz zur Sprache kommen. Im vergangenen Jahr waren rund 26 000 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg gekommen.

 

Am Dienstag hat das Kabinett einen Nachtragshaushalt für die Jahre 2015 und 2016 auf den Weg gebracht. Darin sind weitere 366 Millionen Euro für die Aufnahme und die Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehen. Im Doppelhaushalt 2015/16 stehen dafür bereits 900 Millionen Euro bereit. Kretschmann erklärte, mit dem Nachtragshaushalt werde das Land seiner „humanitären Verantwortung für die Menschen gerecht, die in Not sind und deshalb aus ihrer Heimat zu uns fliehen“.

Finanzminister Nils Schmid (SPD) ist auf weitere Zuwächse eingestellt. Er verwies auf eine 460 Millionen schwere Rücklage im Doppelhaushalt zur Absicherung allfälliger Haushaltsrisiken. Derzeit verhandelt das Land mit den Kommunen über die Erstattung der Kosten für die Flüchtlinge. Sollte das Verfahren von der aktuellen Kopfpauschale auf eine echte Kostenrechnung umgestellt werden, könnten sich neue Summen ergeben. Eventuell müsse das Land dann in einem weiteren Etatnachtrag nachsteuern, erklärte Schmid.

Programm zur Integration

Das Kabinett hat auch ein Programm zur Integration von Flüchtlingen beschlossen. Das Vorhaben ist mit 4,4 Millionen Euro ausgestattet und soll Flüchtlingen den Zugang zur Sprache und zur Arbeit erleichtern. Laut Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) bringen Flüchtlinge häufig gute schulische und berufliche Qualifikationen mit, sie scheitern aber an der Sprache. Künftig soll es für Anfänger einen 200 Stunden umfassenden Grundkurs geben, in einem Aufbaukurs sind 400 Stunden vorgesehen. Zur raschen Eingliederung sollen die Qualifikationen bereits in den Erstaufnahmestellen erhoben werden.

In Tübingen, Ludwigsburg, Albstadt, Karlsruhe, und Mannheim sollen Flüchtlinge zudem praktische Erfahrungen in der Arbeitswelt sammeln können, kündigte Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) an. Angeboten werden ferner sieben Wochen dauernde Praktika für Flüchtlinge, die bereits gearbeitet oder eine Ausbildung gemacht haben und Deutsch können.

Zusätzlich zu den 366 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe sieht das Kabinett in dem Nachtragshaushalt auch 27 Millionen für ein Sonderprogramm zur Bekämpfung des islamistischen Terrors vor.

Weitere Millionen für die Bildung

In die Bildung will die Regierung in den kommenden zwei Jahren 141 Millionen Euro überplanmäßig investieren. Auch im Jahr 2016 ist laut Finanzminister Schmid nicht zu erwarten, dass Lehrerstellen gestrichen werden. Vielmehr sollen laut Schmid die Realschulen 300 Stellen für die individuelle Förderung und andere Angebote bekommen. Für diese Schulart sind 24 Millionen Euro zusätzlich reserviert. Für die Verbesserung der allgemeinen Unterrichtsversorgung sind 15 Millionen Euro einkalkuliert.

Für die Inklusion, den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern, sind im Nachtragsetat 400 Stellen beziehungsweise 24 Millionen Euro eingeplant. Schmid verwies darauf, dass die Kommunen als Schulträger 18 Millionen Euro für Inklusionskosten erstattet bekommen.

Der Finanzminister und SPD-Landesvorsitzende sagte: „Gemeinsames Lernen soll selbstverständlich werden.“ Inzwischen stellen die Kommunen aber die Verständigung mit dem Land in Frage. Der Städtetag geht von einer Inklusionsquote von 28 Prozent aus. Jetzt zeige sich aber, dass das Land die Inklusion als Präferenz gegenüber Sonderschulen betrachtet. Dann gehe die Kalkulation nicht mehr auf. Die FDP kritisiert, die Regierung wolle sich mit dem Etat ihre Wiederwahl erkaufen.

Lernfabriken

Der 550 Millionen Euro umfassende Nachtragshaushalt enthält im Abschnitt Bildung einen 14 Millionen schweren Posten für bildungspolitische Maßnahmen im Bereich der Digitalisierung. Als Beispiel nannte Finanzminister Schmid die Förderung so genannter Lernfabriken 4.0, in denen Auszubildende komplette digitalisierte Fertigungsprozesse kennen lernen können. Vorreiter ist laut Schmid das Berufsschulzentrum Göppingen. Dort wurde im Januar die erste Lernfabrik eröffnet.

Hochschulen

Der Hochschulfinanzierungsvertrag wird durch den Nachtragsetat formal umgesetzt. Er läuft sechs Jahre und sieht 1,7 Milliarden zusätzlich für die Hochschulen vor.