Die Ausstellung „Revolution für Anfänger*innen“ im Badischen Landesmuseum Karlsruhe will vor allem eines wissen: Wie rebellisch und kampflustig sind die Besucherinnen und Besucher?

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Karlsruhe - Übelmeinende Besucher könnten zum Protest aufrufen: Zerstörung öffentlichen Eigentums! Mutwillige Vernichtung von Ressourcen! Das Karlsruher Schloss – eine Trümmerlandschaft. Aber genau darum geht es in „Revolution für Anfänger*innen“. Die neue Ausstellung des Badischen Landesmuseums will nicht nur dem Phänomen Revolution auf die Schliche kommen, sondern auch herauskitzeln, wie rebellisch die Besucher selbst sind. Deshalb soll sich das Publikum vorstellen, es wäre auf einem Schiff, auf dem die Liegestühle nicht für alle Passagiere reichen. Was tun? Aufbegehren? Stillhalten? Sich ärgern? Nach mehreren Stationen und Gewissensentscheidungen erfährt jeder in einer Analyse, ob er zur Revolution taugt, vielleicht sogar zum Anführer des Protests. Wer will, kann seinen Unmut gleich auf dem Balkon des Schlosses kundtun. Das riesige Megafon, das dort steht, überträgt jedes Wort lautstark in den Park.

 

Für die neue Sonderausstellung wollte Eckard Köhne, der Direktor des Badischen Landesmuseums, ein neues Format ausprobieren, bei dem das Publikum eingebunden und nicht nur mit kulturhistorischem Wissen bombardiert wird. Die Ausstellungsarchitektur ist in jedem Fall kühn. Der erste Eindruck: Hier hat der Mob gewütet und sind die Masse auf die Barrikaden gegangen. Tatsächlich wurden für die Schau Podeste und Sockel vergangener Ausstellungen kurz und klein geschlagen und kunstvoll zu Trümmerbergen geschichtet, die nun anstelle von Stellwänden und Vitrinen bespielt werden. Zwischen den Holzlatten und Brettern entdeckt man Monitore oder alte Plakate. Hier einige Fotografien, dort Fernsehnachrichten, Flugblätter, Plakate, Zeitschriften und DDR-Ersatzkaffee. In Dosen versteckte Lautsprecher wurden von der Decke abgeseilt. Eine solch eigenwillige Ausstellungsarchitektur hat man selten gesehen.

Hunger und Not können Protestbewegungen auslösen

Der Kurator Oliver Sänger und sein Team spannen den Bogen von der Französischen Revolution bis zum Arabischen Frühling. Denn es soll nicht um konkrete Revolutionen gehen, sondern um das Phänomen an sich, darum, was eine Protestbewegung auslösen kann – zum Beispiel Hunger und Not wie am Ende des Ersten Weltkriegs, als in Karlsruhe sogar im Stadtgarten Gemüse angebaut wurde. Der Verlauf von Revolutionen scheint sich zu ähneln: Die erste Solidarität führt zu einer euphorische Hochphase, bevor sie umschlägt in Gewalt und die Bewegung schließlich in unterschiedliche Positionen und Richtungen zerfällt. Im Nachgang kommt es häufig zu einer Mythenbildung und zu sentimentaler Verklärung – wie die Zierteller von Mao Zedong vorführen, Lenin und Stalin als Wachskerzen, die Che Guevara-Tassen oder auch eine Bastelanleitung für eine Mini-Guillotine.

„Revolution! Für Anfänger*innen“ führt durch Themeninseln, die mit „Flitterwochen“ oder „Ansteckung“ überschrieben sind. Fotografien und Stiche stellen die historischen Akteure vor – schade nur, dass man nicht erfährt, wogegen die badische Revolutionärin Amalie Struve aufbegehrte oder welche Rolle Olympe de Gouges spielte, eine Schriftstellerin während der Aufklärung. Auch lassen sich die Filmausschnitte, Nachrichten und Zitate nicht immer zuordnen, „Wir hatten Flügel. Wir haben echt gedacht, uns gehört die Welt, und wir können wirklich alles umkrempeln und ändern“, wird eine junge Frau zitiert, den Kontext erfährt man nicht.

Die Ausstellung streift verschiedenste Protestbewegungen

So springt diese Ausstellung kreuz und quer durch Geschichte, Länder und Protestbewegungen, erinnert an Souvenirjäger an der Mauer zur DDR und an die Kulturrevolution in China, bei der Bürgerliche und Kapitalisten öffentlich zur Schau gestellt, in Lager verschleppt und ermordet wurden. Hier Aufrufe zu Friedensdemonstrationen 1917 „Heraus aus den Wohnungen“, dort das Revolutionslied „Ah! Ca Ira“, das Edith Piaf in Dauerschleife singt. Auf einem der Trümmerberge steht auch noch wie ausrangiert der goldene Thronsessel von Großherzog Leopold von Baden, der 1849 aus Karlsruhe fliehen musste.

Zwischen Plakatstapeln, Flugblättern und Fernsehbildern stößt man auf manch kurioses Ausstellungsstück – etwa den Katalog „Geschenke an die DDR“ aus dem Jahr 1988. Die Geschenkdienst- und Kleinexporte GmbH, bereits in den Fünfzigerjahren gegründet, sollte der DDR-Regierung Devisen verschaffen, indem sich Wessis DDR-Produkte aus dem Katalog bestellten. Ein Propaganda-Film, leider nicht näher erläutert, zeigt dagegen die Freude am Kollektiv mit Männern in der Gemeinschaftsdusche oder fröhlichen Kindern in der Krippe – während „der Individualist“, ein trotziger Bub, allein am Rande steht.

Fazit: Die Schau ist unkonventionell, hat aber Schwächen

So angenehm unkonventionell die Präsentation auch ist, man merkt „Revolution! Für Anfänger*innen“ doch an, dass die Museen am Anfang der Öffnung und Popularisierung stehen und die Kuratoren noch ausloten müssen, wie sich ein Publikum unterhalten lässt und gleichzeitig Inhalte und Ausstellungsobjekte vermitteln lassen. Im Schloss Karlsruhe immerhin ist der Anfang gemacht, und man wird dort in den kommenden Jahren sicher spannende, für den Ausstellungsbetrieb revolutionäre Formate erleben können. Oder um es mit Voltaire zu sagen: „Überall erkenne ich die Saat einer Revolution, die unfehlbar kommen wird.“

Ausstellung bis 11. November, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr