Die Bäckerei Dreßler in der Ludwigstraße feiert am Montag, 17. Oktober, mit ihren Kunden das 115-jährige Bestehen des Ladens. Sie ist die älteste Bäckerei im Stadtbezirk und eine der ganz wenigen in der Stadt , die noch über eine eigene Backstube verfügen.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Um drei Uhr früh beginnt für Harald Dreßler der Arbeitstag. Um diese Zeit ist in der Backstube bereits die erste Etappe geschafft und der Teig steht für ihn parat. Um 18 Uhr wird er den Laden schließen, dann naht allmählich der Feierabend. Dazwischen wird sich der 48-Jährige ein, zwei Stunden aufs Ohr legen. Seine Frau Cornelia, die ab 5.30 Uhr im Laden steht, ist gewissermaßen die Langschläferin von den beiden. Abendliche Kino-, Theater- oder Kneipenbesuche sind für das Ehepaar absolute Ausnahmen. Die beiden lachen sich an, zucken synchron mit den Achseln: So ist es halt. Der ungnädige Arbeitstakt hat sich in Jahrzehnten in ihr Bewusstsein eingeschliffen.

 

Tradition kann man nicht abbeißen

Die älteste Bäckerei im Stuttgarter Westen wurde vor 1900 eröffnet. Über den ersten Betreiber ist nichts bekannt – aber über Herman Gläser, den Urgroßvater von Harald Dreßler. Er kaufte das Haus samt Bäckerei an der Ludwigstraße 44 im Jahr 1901 und führte die Bäckerei weiter. Seine Familie wohnte darüber. Ein kleines Café im Hinterzimmer gehörte schon damals dazu. Die Backstube befand – und befindet sich noch heute – im hinteren Raum. 1935 übernahm die Bäckerei der Sohn Eugen, der beim Vater gelernt hatte. Die Familie überlebte 1943 im Gewölbekeller unter dem Gebäude nur knapp einen Bombenangriff. Das Haus selbst aber war völlig zerstört. Die Gläsers gingen nach Bad Urach, wo Eugen in einer Bäckerei arbeitete. Nach dem Krieg kehrten sie nach Stuttgart zurück, wo sie aus den Trümmern ihres alten Hauses ein neues Gebäude errichteten – mit Bäckerei und Café im Erdgeschoss, genau wie vorher. Dreßlers Vater Ehrenfried kam kurz vor dem Mauerbau aus Torgau nach Stuttgart, arbeitete in der Bäckerei Gläser und verguckte sich in die Tochter des Hauses, Sigrid Gläser. Die beiden führten die Bäckerei bis 1999, dann übernahmen Cornelia und Harald Dreßler. Die beiden haben den Laden vor zehn Jahren modernisiert und umgebaut; auf die lange Geschichte ihres Geschäftes sind sie stolz.

„Aber von der Tradition kann man nicht abbeißen. Um zu überleben, muss man sich immer etwas Neues überlegen“, sagt der Bäckermeister. Die meisten Bäckereien seien ja nur noch Verkaufsstellen, sagt Harald Dreßler, ihr Sortiment sei „eintönig“. Aber unschlagbar billig. Die Dreßlers kontern mit Qualität. Urlaube ins benachbarte Ausland sind für das Ehepaar immer auch Recherchereisen in Sachen Backwaren. Aus der Schweiz haben sie zum Beispiel die Schäumle in Alpenrosenform mitgebracht und den Bienenstich in Form einer Biene. „Die Waren müssen auch für das Auge schön sein. Da kommt es darauf an, wie man sie präsentiert“, sagt Cornelia Dreßler. Daher offeriere man das Brot beispielsweise in schönen Körben. Auch Abwechslung sei wichtig, weshalb die beiden etwa einen „Brotfahrplan“ für die Woche mit wechselnden Angeboten erstellt haben. Sie stellen auch eigene Pralinen und Nudeln her.

Backwaren wie im Urlaub

Die Bedürfnisse der Kunden seien stets im Wandel, da müsse man mithalten. „Zu Urgroßvaters Zeiten gab es hier nur Brot und Brötchen. Kuchenteig haben die Leute daheim selbst gemacht und hier backen lassen.“ Heute wünschten die Kunden Besonderes, Überraschendes und Authentisches: „Die Leute kommen viel herum, und was sie aus dem Urlaub kennen, wollen sie in selber Qualität auch hier haben.“ Croissants zum Beispiel oder Baguette. An den Hörnchen hat Dressler lange laboriert und den Butteranteil drastisch erhöht, um ihnen eine französische Anmutung zu verleihen. Eine regelrechte Wissenschaft sei der Teig für Baguettes. Deutsche Baguettes, urteilt Dreßler, seien zu glatt, zu ebenmäßig. „Das richtig hinzukriegen, ist vergleichbar mit dem Bauch und den Ärmchen einer Brezel, die ja auch jeweils eine bestimmte Dicke haben müssen.“ Vor allem aber seien die rundlichen Enden deutscher Baguettes problematisch: „Uns ist in der Provence aufgefallen, dass die Baguettes ein spitzes Ende haben. Oft bricht man sie ab und gibt sie den Kindern zum Knabbern – so wie bei uns eine Brezel.“ Jetzt, so der Bäckermeister stolz, verfügten auch die Dreßlerschen Baguettes über einen Bürzel.