Auch 20 Jahre nach der rigorosen Kürzung bei präventiven Kuren kämpfen die vier Bäderstädte im Landkreis Calw mit dem Strukturwandel. Bad Herrenalb, Bad Wildbad, Bad Liebenzell und Bad Teinach haben unterschiedliche Strategien entwickelt.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Nordschwarzwald - Der Schwarzwald ist bekannt für seine waldreichen Höhen und grünen Täler – doch das Tal, durch das die vier Bäderstädte im Landkreis Calw seit den 80er Jahren gehen, ist alles andere als lieblich und lind. Im Gegenteil – es war sehr lange ein tiefes Tal der Tränen.

 

Alle Kurorte in Deutschland empfanden es als eiskalte Dusche, als die Krankenkassen vor 30 Jahren begannen, immer weniger Kuren zu übernehmen. Der Absturz lässt sich in Zahlen ausdrücken. Bad Wildbad, in dem Adlige schon im Mittelalter Linderung ihrer Gebrechen suchten, hatte 1988 nach den Daten des Statistischen Landesamtes 472 085 Übernachtungen aufzuweisen – im vergangenen Jahr waren es noch 170 336, also ein Rückgang um zwei Drittel. In Bad Herrenalb, Bad Liebenzell und Bad Teinach halbierten sich in etwa die Übernachtungen .

Was den Bäderstädten weh tut, ist dabei weniger eine sinkende Zahl an Touristen und Kurgästen, sondern deren geringere Aufenthaltsdauer. Klaus Mack, der Bürgermeister von Wildbad und ein gewiefter Touristiker, betont: „Früher blieben die Menschen drei Wochen zur Kur, heute liegt die Aufenthaltsdauer bei drei Tagen.“ Dennis Hürten, der sich an der Hochschule Nürtingen-Geislingen auf den Gesundheitstourismus spezialisiert hat, sagt: „Die Rolle der Kur im Tourismus bewegt sich im Promillebereich.“ Die Strategie der Bäderverbände, eine privat bezahlte Kur zu etablieren, sei nicht aufgegangen.

Ob allerdings der unumgängliche Strukturwandel im Nordschwarzwald und in ganz Baden-Württemberg besser gelingt als anderswo, das kann laut Hürten niemand abschätzen – er möchte genau zu dieser Frage ein Forschungsprojekt anstoßen. Klaus Mack sagt ganz allgemein: „Die Zahlen von damals holst du nie wieder auf.“

Bad Wildbad lockt mit dem Baumwipfelpfad

Aber alle vier Bäderstädte im Landkreis Calw haben sich auf den Weg gemacht, auch wenn ihnen klar ist, dass ein solcher Strukturwandel eine mühselige, schwierige und kostspielige Angelegenheit ist – er dauert Jahrzehnte und ist nicht ohne Rückschläge, wie zum Beispiel in Bad Herrenalb, wo ein Investor ein gigantisches Spaßbad bauen wollte und mit fingierten Kontobelegen hantierte. Alles flog auf. Der Spott, der sich 2014 über Bad Herrenalb ergoss, schmerzt Bürgermeister Norbert Mai noch heute. Auch Arne Mellert vom Heilbäderverband betont, dass es auf dem Land schwer sei, Besucher anzulocken, während in einer Großstadt häufig ein großes Event reiche.

An Bad Wildbad lässt sich exemplarisch der lange Weg zeigen – seit mehr als 20 Jahren ist die Stadt unterwegs. Es begann mit dem Bau des Meisterntunnels, der den Verkehr aus der Stadt nahm. Es folgten der Anschluss an die Stadtbahn nach Karlsruhe, die Sanierung der maroden Bergbahn auf den Sommerberg und die Renovierung des König-Karl-Bades, in dem nun in luxuriösem Ambiente Tagungen und Hochzeiten stattfinden und ein Kino untergebracht ist.

Es ist ein großes Portfolio, mit dem Bad Wildbad heute Gäste anlocken will. Neben dem Tagungstourismus setzt Klaus Mack auf das Wellness-Angebot im historischen Ambiente des Palais Thermal. Es kommen Mountainbiker in den großen Bikepark und Familien auf den Baumwipfelpfad, beides auf dem Sommerberg gelegen, der zu einem Outdoor-Zentrum entwickelt werden soll. Und Kulturmenschen schätzen das Rossini-Festival im Sommer.

Gerade die Tagestouristen sind heute eine wichtige Zielgruppe, Bad Wildbad hat es geschafft, allein mit dem Baumwipfelpfad jährlich 250 000 Gäste anzuziehen. Fairerweise muss man aber hinzufügen, dass es Wildbad einfacher hat als andere Städte, da es als Staatsbad vom Land unterstützt wird. Fertig ist der Umbau in Bad Wildbad aber noch lange nicht. Die Therme Vital ist in die Jahre gekommen, zwischen Rathaus und Palais Thermal steht eine Bausünde, die mit Betonmonster noch freundlich umschrieben ist, und auch viele Läden in der Fußgängerzone kränkeln.

Nationalpark spielt in den Überlegungen vorerst keine Rolle

Alle vier Bäderstädte haben dabei das Kirchtumsdenken hinter sich gelassen: „Die Menschen kommen nicht in eine bestimmte Stadt, sondern in eine Region“, sagt Klaus Mack, der auch Vorsitzender des Touristischen Aktionsbündnisses Nördlicher Schwarzwald ist. Die Urlauber wohnen an einem Ort im Nordschwarzwald, fahren aber sogar bis in den Europapark. Große Besuchermagneten, wie das Gasometer in Pforzheim, der Baumwipfelpfad oder auch das geplante Besucherzentrum des Nationalparks auf dem Ruhestein, kommen so allen zugute.

Wobei – das Thema Nationalpark hängen viele trotz des touristischen Potenzials nicht an die große Glocke, zu groß sind noch die Wunden. In vielen Orten war eine Mehrheit dagegen. Dietmar Fischer, Bürgermeister in Bad Liebenzell, sagt ganz offen: „Das Thema Nationalpark ist sehr belastet – wir wollen das vorerst nicht mit dem Thema Tourismus verquicken.“

Bad Liebenzell will Ort der Erholung sein

Bad Liebenzell setzt lieber auf eine andere Strategie – man wolle sich profilieren als ein Ort der Erholung und Entspannung, so Fischer. An einem Konzept wird gerade gefeilt. Zwei große Meilensteine sind aber bereits gesetzt. Erstens wurde im Jahr 2012 die Paracelsus-Therme saniert; es war ein Kraftakt für eine kleine Gemeinde wie Bad Liebenzell. Dietmar Fischer träumt noch von einem „Sahnehäubchen“, dem Ausbau der Saunalandschaft; aber schon jetzt entwickle sich die Gästezahl positiv. Zweitens soll demnächst der Kurpark an der Nagold in der Fläche verdoppelt werden – es wird einen Skulpturenpark und einen Philosophenweg geben, im Badhaus soll ein Landcafé eingerichtet werden.

Wichtig ist nicht nur für Bad Liebenzell der Radtourismus. Seit das E-Bike boomt, wird selbst der Schwarzwald für Radfahrer attraktiv: Die Anstiege sind nicht mehr so schwer. Fischer verfolgt aber noch eine andere Strategie als den Tourismus. Die im Jahr 2011 gegründete Internationale Hochschule in Bad Liebenzell bringe ein ganz anderes Klientel an die Nagold.

Aus dem Dornröschenschlaf erwacht ist auch Bad Teinach, die kleinste der vier Bäderstädte im Kreis Calw. Vor vier Jahren hat die Mineralbrunnen AG das Bad-Hotel an den Pforzheimer Unternehmer Wolfgang Scheidtweiler verkauft. Der hat die Zimmerzahl verdoppelt und die Therme saniert – das „Hotel Therme“, wie es jetzt heißt, soll durch das historische Anwesen und den gehobenen Standard zu einem überregionales Tagungs- und Wellnesszentrum werden. In diesen Tagen öffnet sich die Therme auch für externe Gäste.

Bad Herrenalb ist die größte der vier Bäderstädte

Für viele überraschend ist aber Bad Herrenalb, die größte Bäderstadt im Nordschwarzwald. Wenn man im Gegensatz zum Statistischen Landesamt die kleinen Privatvermieter mit einrechnet, gab es dort 2015 rund 327 000 Übernachtungen; zweitstärkste Stadt ist Wildbad mit real 260 000 Übernachtungen. „Wir wissen, was wir können“, sagt Bürgermeister Norbert Mai, „aber wir müssen die Außenwirkung noch verbessern.“ So besitze Herrenalb, was nicht einmal Baden-Baden habe: echtes Heil- und nicht nur Mineralwasser.

Diese Außenwirkung soll vor allem mit der Landesgartenschau erreicht werden, die in einem Jahr beginnen wird – im Moment ist die Innenstadt eine einzige Baustelle. Parallel wird es ein Entwicklungskonzept geben, an dem der Gemeinderat gerade tüftelt: „Wir wollen den Muff der 60er Jahre rausfegen“, sagt Mai.

Ein Sorgenkind gibt es dabei noch: die Therme, die nicht mehr zeitgemäß ist. Ziel ist es weiter, einen Investor zu finden, der die Therme übernimmt, saniert und eventuell erweitert. Damit man sich nicht noch einmal blamiert, wurde das Verfahren jetzt extern begleitet. Demnächst sollen die potenziellen Investoren vorgestellt werden. Mai ist zuversichtlich, dass sich schon in wenigen Jahren Grundlegendes verändert haben wird. Aber auch Bad Herrenalb setzt nicht mehr allein auf den Tourismus. Man habe einen Lebensmittelmarkt gebaut, einen großen Kindergarten eröffnet und ein Baugebiet erschlossen: „Wir werden interessant für Familien“, sagt Mai.

Mindestens zweigleisig fahren – das ist die Strategie aller Bäderstädte. Einen weiteren Absturz wollen jedenfalls alle um fast jeden Preis vermeiden.