Lange störten sich die Einzelhändler an der Bagatellgrenze von 25 Euro für Ladendiebstähle. Nun erhört der Justizminister ihren Wunsch: künftig werden auch kleine Fälle nicht mehr automatisch eingestellt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Innenminister hatte frohe Botschaften für die Baden-Württemberger. Bei Eigentumsdelikten, berichtete Thomas Strobl (CDU) vorigen Freitag bei der Vorstellung der Kriminalstatistik, seien die Zahlen zum zweiten Mal hintereinander rückläufig. Insgesamt seien sie im vorigen Jahr um 11,8 Prozent gesunken, wozu ein Minus beim Ladendiebstahl von 8,7 Prozent beigetragen habe. Noch stärker seien Taschendiebstahl (-21,2 Prozent) oder Trickdiebstahl (-24,6 Prozent) auf dem Rückzug. Da dieser Bereich etwa ein Drittel aller Straftaten ausmache, trage er erheblich zur niedrigen Kriminalitätsbelastung bei – der niedrigsten im Land seit 1990.

 

Grund zum Aufatmen also für die geplagten Ladenbesitzer? Können sie sich endlich entspannen, nachdem sie in den zurückliegenden Monaten immer lauter geklagt hatten? Leider nicht, meinte ein Sprecher des Handelsverbands Baden-Württemberg gegenüber unserer Zeitung. Der vom Innenminister vermeldete Rückgang spiegele wohl weniger die Realität wider, sondern eher die Resignation der Betroffenen. „Viele Geschäfte bringen den Diebstahl gar nicht mehr zur Anzeige, weil sie denken, dass es nichts bringt“, hatte der Handelspräsident Hermann Hutter erst im Januar verkündet. Dabei sei der Schaden durch Ladendiebe immens: Allein in Baden-Württemberg werde er jährlich auf 500 bis 700 Millionen Euro geschätzt. Zudem gingen die Kriminellen – darunter auch organisierte Banden – immer dreister vor und verursachten so auch große Unsicherheit in der Belegschaft. Hutters Forderung: Die Justizbehörden müssten „konsequent durchgreifen und Ladendiebe härter bestrafen“.

Kleinkriminalitätserlass wird geändert

Nun wird der Handelspräsident erhört. Wenige Tage nach der Teilentwarnung durch den Innenminister sendet Justizminister Guido Wolf (CDU) ein gegenteiliges Signal. Am Montagabend versandte er ein zweiseitiges Schreiben zu der „bedeutsamen Angelegenheit“ an die beiden Generalstaatsanwälte und die Chefs der Staatsanwaltschaften im Südwesten. Damit kassiert er die Bagatellgrenze, die den Händlern seit Langem ein Dorn im Auge war. Im Kleinkriminalitätserlass von 2012 – also noch zu grün-roten Regierungszeiten – war verfügt worden, dass Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werden könnten, wenn der Schaden unter 25 Euro betrage; bis dahin lag die Grenze nur bei fünf Euro. Voraussetzung war, dass keine besonderen Umstände vorlagen – etwa eine Vorstrafe oder eine professionelle Vorgehensweise.

Man solle die Grenze wieder senken oder noch besser abschaffen, hatte Hutter gefordert. Wichtig sei „ein starkes Symbol, dass Ladendiebstahl nie eine Bagatelle ist“. Wolf entschied sich fürs Zweite: Die Wertgrenze werde ganz aufgehoben, künftig müssten die Staatsanwaltschaften in jedem Einzelfall prüfen, ob sie ein Verfahren wegen Geringfügigkeit einstellten; die Möglichkeit dazu bietet Paragraf 153 der Strafprozessordnung. Eine entsprechende Änderung der Vorschrift sei im Ministerium erarbeitet worden und werde nun das Verwaltungsverfahren durchlaufen. Die Regierungsfraktionen und das Innenministerium würden ebenso beteiligt wie der Normenkontrollrat, hört man.

Nur geringe Mehrbelastung erwartet

Die Änderung entspreche „dem allgemeinen Rechtsempfinden und der immer wieder artikulierten Erwartung der Öffentlichkeit und der betroffenen Gewerbetreibenden“, schrieb der Justizminister zur Begründung. Um das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats zu stärken, sei es für ihn „unverzichtbar, dass unsere Staatsanwaltschaften auch bei dieem Massendelikt für eine konsequente Strafverfolgung Sorge tragen“.

Die Ermittler sollen darüber nicht durchweg begeistert gewesen sein. Schon im vorigen Herbst hatte der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Achim Brauneisen betont, man kapituliere keineswegs vor Ladendiebstählen; auch in Fällen unterhalb der Bagatellgrenze gebe es immer wieder Strafen. Die in der Justiz kursierende Sorge vor einer Mehrbelastung lässt Guido Wolf jedoch nicht gelten. Zum einen sei nur ein „moderater“ und damit verkraftbarer Anstieg“ der Verfahren zu erwarten. Zum anderen habe die Justiz 2017 und 2018 ja etliche neue Stellen erhalten: 75 für die Staatsanwaltschaften und 66 für die Gerichte.