Nur mit viel Glück gab es keine Verletzten, als vor vier Jahren drei herrenlose Güterwaggons in den Bahnhof Feuerbach einschlugen und Hunderttausende Euro Schaden anrichteten. Mögliche Verantwortliche sind offenbar gefunden – doch die Gutachter verschleppen das Verfahren.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Die Narben sind noch deutlich sichtbar. Die Stahlmanschette am Hauseck, das provisorische Vordach, die geflickten Risse in der Wand, die Baustellenabsperrung. „Da ist all die Jahre nichts mehr gemacht worden“, sagt Saygun Yurtdas, „und meinen Schaden habe ich von der Bahn auch nicht ersetzt bekommen.“ Der Mann, der im Feuerbacher Bahnhof wohnt und ein Reisebüro betreibt, ist am 30. November 2012 knapp einer Katastropheentgangen. Unter seiner Wohnung waren herrenlose Güterwaggons, über 200 Tonnen schwer, in Bahnsteig 1 gedonnert.

 

Die Frage nach dem Warum ist auch nach vier Jahren nicht beantwortet. Irgendjemand am Güterbahnhof Kornwestheim muss in jener Nacht nicht aufgepasst haben. Drei Waggons, beladen mit Schienensträngen, rollen frühmorgens herrenlos Richtung Stuttgart-Hauptbahnhof. Ein Fahrdienstleiter in Zuffenhausen bemerkt die Gefahr, lenkt die Ungetüme auf Abstellgleis 1 a am Bahnhof Feuerbach. Die Waggons durchpflügen Bahnsteig 1. Mieter Yurtdas kommt mit dem Schrecken davon. Der Bahnverkehr ist tagelang beeinträchtigt.

Der Staatsanwalt muss warten

Dass die Frage nach dem Warum nicht beantwortet ist, liegt indes nicht an Bundespolizei oder Staatsanwaltschaft, sondern an einem Gutachten, an dem die Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Eisenbahnbundesamtes arbeitet. „Ein Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen ist erst möglich, wenn uns dieses Gutachten vorliegt“, sagt Staatsanwaltssprecher Jan Holzner. Man habe keinen Einfluss auf die Dauer, weil kein Gutachten im Sinne der Strafprozessordnung und auch nicht vom Staatsanwalt in Auftrag gegeben worden sei. Mehr will der Sprecher dazu nicht sagen. Nicht einmal das Aktenzeichen des Falls.

Die Bezeichnung 114 Js 1170/14 würde Juristen freilich einiges verraten. Nämlich dass der Vorgang schon seit 2014 bei der Staatsanwaltschaft liegt. Und dass gegen namentlich bekannte Beschuldigte ermittelt wird. Also Bahn-Mitarbeiter, die womöglich ein Strafverfahren wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr fürchten müssen. Laut einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft sind es zwei Personen.

Die Behörde vertröstet

Doch offenkundig haben die Unfalluntersucher der Bundesbehörde kein großes Interesse an einem zügigen Abschluss. „Der Prozess ist bereits weit gediehen, aber noch nicht abgeschlossen“, hatte eine Sprecherin auf Anfrage im Februar 2016 erklärt. Im September war der „Status unverändert“. Und überhaupt: „Bei dem Ereignis handelt es sich nicht um einen schweren Unfall im Sinne der europäischen Sicherheitsrichtlinie, so dass nicht vorgesehen ist, einen Untersuchungsbericht zu erstellen.“

Ein Unfall sei dann als schwer einzustufen, „wenn bei einer Zugkollision ein Mensch getötet, mindestens fünf Menschen schwer verletzt wurden oder beträchtlicher Sachschaden entstanden ist“, heißt es. Doch das sei keine Zugkollision gewesen, weil nicht „mindestens ein beteiligtes Fahrzeug als Zugfahrt“ unterwegs war. Die Waggons waren ja herrenlos. Die Frage, warum das Gutachten so viel Zeit in Anspruch nimmt, wird nicht beantwortet.

Wer den Schaden hat...

Derweil hat die Bahn die Frage nach dem Schaden beantwortet. Der wird auf 670 000 Euro beziffert. 11 500 Euro davon betreffen übrigens das Auto von Saygun Yurtdas, das von Steinbrocken demoliert worden war. Die Reparaturkosten musste er selbst tragen – über seine Vollkaskoversicherung.