Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann plädiert für eine Trennung von Netz und Bahnbetrieb. Dafür sei eine zweite Bahnreform nötig, sagt der Grünen-Politiker. Hintergrund ist der Vorwurf der EU-Komission, nach denen die Bahn Steuergelder zweckentfremdet.

Stuttgart - Die EU-Kommission wirft der Bundesregierung vor, bei der Deutschen Bahn (DB) seit Jahren die verbotene Zweckentfremdung von Steuergeldern in Milliardenumfang zu dulden. Vizepräsident Siim Kallas will die unzulässige Quersubventionierung stoppen und hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hält den Vorstoß für richtig und erwartet weitreichende Folgen.

 

Der Umbau des größten Staatsbetriebs und damit eine zweite Bahnreform seien überfällig, sagte Hermann dieser Zeitung. „Der DB-Konzern führt ein Eigenleben und entzieht sich der öffentlichen Kontrolle“, kritisiert der Minister und fügt hinzu: „Die DB kassiert seit den 1990er Jahren jährlich Milliardensubventionen von der öffentlichen Hand und verhält sich dennoch alles andere als am Gemeinwohl orientiert.“ Das könne „jeder Bürgermeister bestätigen, der je mit dem Konzern zu tun hatte“.

Mit Blick auf das umstrittene Milliardenprojekt Stuttgart 21 betonte Hermann, die DB lasse keinen Blick in die Bücher zu, wolle aber zugleich, dass „der Staat alle Risiken absichert, wenn ihre Projekte ständig teurer werden“. Nicht nur im Südwesten hat der Vorstoß der EU-Kommission daher einige Aufregung, aber auch Genugtuung ausgelöst. Die EU-Kommission wirft der Bundesregierung vor, mit der Duldung der teils undurchsichtigen Finanzströme im DB-Konzern in mindestens fünf Punkten gegen EU-Recht zu verstoßen.

Aufforderungsschreiben der EU sei wohlbegründet

Das 15-seitige Schreiben von EU-Kommissar Kallas sei „hoch brisant und wird tief greifende Folgen für den DB-Konzern und die Bundesregierung haben“, so Hermann. Der DB-Konzern müsse europarechtskonform umgebaut werden. „Dazu gehört aus meiner Sicht auch die klare Trennung von Netz und Betrieb“, betont der Minister. Die derzeitigen Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge im Konzern müssten aufgehoben werden. „Die DB wird zerlegt werden müssen“, erwartet der Politiker.

Das Aufforderungsschreiben der EU zur „Vertragsverletzung Nr. 2012/2191“ sei wohlbegründet, so Hermann. Demnach führe die Konstruktion des DB-Konzerns mit seinen Töchtern dazu, dass mit staatlichen Zuwendungen für die Infrastruktur satte Gewinne erzielt werden, die an die DB-Holding weitergeleitet würden. Hinzu komme, dass der Netzgewinn indirekt auch aus der subventionierten Nahverkehrssparte der DB stamme. „Mit diesen öffentlich alimentierten Gewinnen“, so Hermann, „werden dann vom Konzern unter anderem Firmenübernahmen finanziert oder bei der Güterverkehrssparte Schenker Defizite abgedeckt“. Diese Praxis sei ein massiver Verstoß gegen Europarecht, wie die EU in ihrem Schreiben ausführe. Die Grünen sehen sich damit in ihrer Kritik an der bisherigen Konzernkonstruktion bestätigt.

Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag, Anton Hofreiter, hatte zuletzt im Herbst in einem Schreiben an die EU-Kommission die vollständige Entflechtung von Netz und Betrieb bei der DB gefordert. EU-Kommissar Kallas will im Januar neue Vorschläge für mehr Wettbewerb unter Europas Bahnen präsentieren, die auf eine stärkere Trennung hinauslaufen könnten. Die Unabhängigkeit der Infrastruktur müsse „in rechtlicher, wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht gewährleistet werden“, heißt es im Antwortschreiben der Generaldirektion Mobilität und Verkehr, das dieser Zeitung vorliegt. Vor allem die Trennung der Finanzflüsse von Infrastruktur und Betrieb sei „sehr wichtig“.

Privatisierung der Verkehrssparten könnte in weite Ferne rücken

Sollte die Brüsseler EU-Kommission sich gegen die Quersubventionierung bei der DB durchsetzen, würde das Unternehmen seine größten Gewinnquellen im massiv öffentlich bezuschussten Regionalverkehr und bei der Infrastruktur verlieren. Das hätte für den Schienenkonzern sehr weitreichende Folgen. Eine Privatisierung der Verkehrssparten der Bahn, bereits zu Zeiten der Großen Koalition von CDU und SPD vom Bundestag beschlossen, könnte damit in noch weitere Ferne rücken.

Für Minister Hermann führt „an einer umfassenden Bahnreform kein Weg vorbei“. Das sei Aufgabe dieser oder der nächsten Bundesregierung, um das Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden. Andernfalls werde Deutschland früher oder später über den Europäischen Gerichtshof zu einer Reform gezwungen. „Die Alternative lautet: Handeln oder getrieben werden“, warnt Hermann. Eine zweite Bahnreform sei ohnehin überfällig. „Denn die DB AG“, so der Minister, „läuft dem Eigentümer Bund schon lange aus dem Ruder, sie wird verkehrspolitisch nicht gesteuert“.

Seite 2: Widerstand im Bundesrat

Kritik: D
ie Bahnpolitik der Bundesregierung steht von mehreren Seiten unter Beschuss. Experten vermissen klare Konzepte und eine strenge Regulierung. Besonders die enge Verflechtung zwischen dem pro Jahr mit rund fünf Milliarden Euro subventionierten Schienenmonopol und den Verkehrssparten der DB gilt als ordnungspolitisch fragwürdig.

Infrastruktur:
Als Herrscher über die Infrastruktur kann die Bahn die Milliardenzuschüsse nach eigenen Interessen einsetzen und teils in die Konzernkassen lenken. Brüssel rechnet vor, dass die Töchter DB Netz, DB Station & Service sowie DB Energie zwischen 2007 und 2011 rund 25 Milliarden Euro Zuschüsse für den Erhalt der Infrastruktur erhalten haben. Gleichzeitig flossen von den Firmen rund 2,3 Milliarden Euro als „Gewinn“ an den Konzern ab. Dabei weist die Infrastruktur viele Mängel auf. Bei Bahnhöfen, Brücken und Tunneln besteht ein großer Sanierungsrückstand. Dort würde eigentlich jeder Euro gebraucht.

Politik:
Der Bundesrat fordert das Ende der Gewinnabführung zum 30. Juni 2013. Eine entsprechende Stellungnahme zur Neuordnung der Bahnregulierung haben alle Bundesländer bis auf Hamburg verabschiedet. Laut dem bisherigen Gesetzentwurf von Bundesverkehrsminister Ramsauer soll die Gewinnabführung jedoch weiter möglich sein.