Das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird teurer, das Netz ist marode – und nun droht auch noch Ärger aus Brüssel. Und auch der Bundesrat macht der Bahn Druck gegen die Abführung der Gewinne. Die Abwärtsspirale, die Volker Kefer vorausgeahnt hat, nimmt Fahrt auf.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart/Bonn - Es ist erst ein paar Wochen her, da löste ein interner Brandbrief bei der Deutschen Bahn gehörig Unruhe aus. Der zuständige Infrastrukturvorstand Volker Kefer räumte darin unverblümt erhebliche Fehlplanungen und Finanzierungslücken in seinem Ressort ein. In der Mittelfristplanung bis 2016 gebe es signifikante Abweichungen, die eine nachhaltige Geschäftsentwicklung verhinderten. Man sei in einer „Abwärtsspirale“, das ganze Geschäftsmodell nicht „zukunftsfähig“.

 

Inzwischen wird klarer, was Kefer mit dem Schreckensszenario meinte. Bei Stuttgart 21 hat der Staatskonzern weitere Mehrkosten von bis zu 2,3 Milliarden Euro einräumen müssen. Beim Schienennetz kam durch Untersuchungen der Bahnaufsicht heraus, dass jede vierte geprüfte Brücke marode ist und der Konzern viel zu wenig eigenes Geld in die Instandhaltung steckt. Die Beratungsfirma Interfleet hat für Verkehrsminister Peter Ramsauer errechnet, dass die DB künftig jedes Jahr 660 Millionen Euro mehr für den Erhalt des Schienennetzes ausgeben sollte. Das alles wird die Bilanzen künftig kaum verbessern.

Die mit Abstand größte Gefahr für das DB-Geschäftsmodell jedoch ist eine andere. Drei Viertel ihrer Milliardengewinne nämlich zieht die Bahn aus vier Tochterfirmen, die für den Erhalt und Betrieb des Schienennetzes und der Bahnhöfe, für die Energieversorgung und den Regionalverkehr zuständig sind – und dafür jedes Jahr rund zehn Milliarden Euro aus öffentlichen Kassen erhalten. Diese direkten und indirekten Zuwendungen sind zweckgebunden, ebenso wie die Wegentgelte, die Bahnunternehmen für die Nutzung der Infrastruktur zahlen. Die Übertragung solcher Gelder in andere Konzernbereiche und Tätigkeiten – wie die Übernahme von Konkurrenten – ist durch EU-Richtlinien verboten. So soll unfairer Wettbewerb im Schienensektor durch staatlich finanzierte Konzerne verhindert werden.

Die EU-Prüfungen liefern ein eindeutiges Ergebnis

Die EU-Kommission ist überzeugt, dass Deutschland und die DB gegen diese Verbote seit Jahren fortgesetzt verstoßen. Sowohl bei der DB Regio als auch den drei Infrastrukturtöchtern DB Netz, DB Station & Service sowie DB Energie verhinderten die bisherigen Verträge nicht wirksam, dass Steuergelder in die Konzernkassen fließen. Das Ergebnis der EU-Prüfungen ist eindeutig: „Ein übertragbarer Gewinn ist nur dank öffentlicher Mittel möglich“, konstatiert der Vizepräsident der EU-Kommission, Siim Kallas, in seinem Brief an die Bundesregierung. Für Brüssel ist offensichtlich, dass der größte deutsche Staatskonzern unzulässig von den Subventionen an die Netz- und Regionalverkehrstöchter profitiert. Die Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge verhinderten verbotene Quersubventionen nicht, ebenso wenig wie die unzureichende Rechnungsführung, kritisiert Kallas weiter. Der Konzern wiederum könne die Mittel vollkommen frei verwenden, obwohl die Brüsseler Richtlinien eine Zweckbindung vorschreiben.

Für Kallas steht daher fest: Deutschland ist seinen Verpflichtungen aus den EU-Verträgen „nicht nachgekommen“. Die Gegenargumente der Bundesregierung und besonders von Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der diese Praktiken bisher immer energisch verteidigt hat, seien „nicht stichhaltig“. Der Bund und die DB führten im bisherigen Verfahren unter anderem an, der Konzern habe bis 2006 hohe Verluste der DB Netz ausgeglichen, was gegenzurechnen sei. Die EU rechnet aber für den Zeitraum 2000 bis 2011 vor, dass unterm Strich die Gewinnabführungen der drei Infrastrukturtöchter die Verlustübernahme bereits deutlich übersteigen und bis 2016 der Saldo bei mehr als 4,6 Milliarden Euro liegen würde, und zwar zu Lasten der subventionierten DB-Töchter.

Die Kommission sieht sich auch durch einen Bericht der Ratingagentur Moody’s bestätigt. Demnach verdient die DB mit dem subventionierten Schienenmonopol viel Geld und erzielte im Jahr 2010 eine operative Gewinnmarge von 13,1 Prozent, bei Bahnhöfen sogar von 20,8 Prozent. In den Wettbewerbsmärkten dagegen lag die Marge nur bei kümmerlichen 0,3 Prozent im Frachtverkehr auf der Schiene und bei 2,6 Prozent im Personenfernverkehr mit ICE und IC.

Brüssel erwartet eine Antwort aus Berlin

Auch im Regionalverkehr sieht die Kommission die Gewinnabführungen sehr kritisch. Die Bundesregierung argumentiert, dass es ausreiche sicherzustellen, dass die DB Regio die öffentlichen Zuschüsse zur Finanzierung des Verkehrs verwende. Alle anderen Einnahmen, besonders aus dem Fahrscheinverkauf, könnten dagegen weiter an die Bahn-Holding übertragen und dort für alle möglichen Geschäfte verwendet werden.

Diese Auffassung könne „nicht akzeptiert werden“, schreibt Kallas. Die EU-Richtlinien untersagten auch bei den Fahrgeldeinnahmen eine andere Verwendung. Diese dürften nicht in die Konzernkassen gelenkt werden, sondern müssten dafür eingesetzt werden, die hohen öffentlichen Zuschüsse für den Regionalverkehr zu verringern. Die Kommission fordert zudem, dass die DB Regio die Subventionen für jeden oft hoch bezuschussten Verkehrsvertrag künftig einzeln ausweist. Bis jetzt geschieht das nicht.

Brüssel erwartet bis Ende Januar eine Antwort aus Berlin. Jetzt wird es eng für die DB, Minister Ramsauer und die Regierung. Zumal auch der Bundesrat – wie berichtet – Druck macht und bis zum 30. Juni 2013 ultimativ und nahezu einstimmig das Ende der Gewinnabführungsverträge fordert. Ohne diese und andere Ergänzungen wollen die Länder dem aktuellen Gesetzentwurf Ramsauers zur Bahnregulierung nicht zustimmen, den Kritiker ohnehin für viel zu lasch und konzernfreundlich halten.