Die Streitfälle enttäuschter Kunden mit Airlines und auch mit der Bahn sind sprunghaft auf Rekordhöhe gestiegen. Bis Jahresende erwartet die Schlichtungsstelle für öffentlichen Personenverkehr eine Zunahme um 57 Prozent.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Corona-Krise führt zu mehr Reiseärger als je zuvor. Die Streitfälle enttäuschter Kunden mit Airlines und auch mit der Bahn sind sprunghaft auf Rekordhöhe gestiegen. Das zeigt die Bilanz der kostenlosen Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) in Berlin. Bis Ende des Jahres erwartet Geschäftsführer Heinz Klewe rund 41 000 Beschwerden, eine Steigerung um 57 Prozent.

 

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„Corona hat die Zahl der Schlichtungsanträge in bisher unbekannte Höhen getrieben“, sagte Klewe unserer Redaktion. Die mit weitem Abstand meisten Beschwerden gab es von Flugreisenden, auf die 84 Prozent aller Streitfälle entfallen. Bei 13 Prozent ging es um Ärger mit der Bahn. Die übrigen Eingaben kamen von Reisenden, die schlechte Erfahrungen mit dem Fernbus, Nahverkehr oder Pauschalreisen gemacht haben.

Die Beschwerdeflut übertrifft bisherigen Rekordjahre

Die diesjährige Beschwerdeflut übertrifft sogar das bisherige Rekordjahr 2018 bei Weitem, als vielfaches Flugchaos damals zu mehr als 32 000 Schlichtungsanträgen führte. Die Hauptursache der Streitfälle waren in diesem Jahr Hunderttausende ausgefallener Flüge in der Corona-Krise, für die Airlines nicht wie gesetzlich vorgeschrieben innerhalb einer Woche die Ticketkosten erstatteten.

Stattdessen wurden häufig nur Gutscheine angeboten, oder die versprochene Rückzahlung war auch noch nach Monaten nicht auf dem Konto, so Klewe. Zudem seien Airlines oft nur schwer erreichbar gewesen, was Kunden noch mehr auf die Palme trieb. Allein im Juli gingen deshalb fast 7000 Schlichtungsanträge ein, eine Steigerung um über 200 Prozent.

Bei Reiseärger gilt die SÖP als ideale Anlaufstelle für betroffene Verbraucher. Die Berliner Juristen schlichten jedes Jahr mehrere Zehntausend Streitfälle bei Flug-, Bahn-, Bus- und Schiffsreisen außergerichtlich, unabhängig und vor allem: kostenlos für die Kunden. Viele Verfahren enden nach wenigen Monaten positiv für die Reisenden, die im besten Fall die gesamte Forderung erhalten und sich Erfolgshonorare, Anwalts- sowie Prozesskosten sparen.

Schlichtungsquote bei Airlines liegt bei 88 Prozent

Die Schlichtung wird von den rund 400 Verkehrsunternehmen finanziert, die Mitglied im Trägerverein sind und die Entscheidungen meist akzeptieren. Die Erfolgsquote der SÖP ist sehr hoch, mehr als 80 Prozent der Streitfälle werden außergerichtlich gelöst. Das ist auch das Ziel des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes, das nach EU-Vorgaben Unternehmen verpflichtet, ihren Kunden eine außergerichtliche Schlichtungsstelle anzubieten.

Bei den Airlines war auch 2020 die Erfolgsquote mit 84 Prozent sehr hoch, was angesichts der meist glasklaren Rechtslage zur schnellen Ticketerstattung wenig erstaunt. So lenkten die Unternehmen meist ein. In anderen Streitfällen ging es um Entschädigung für verspätete Flüge oder Gepäckverlust. 2019 wurden sogar 88 Prozent der Streitfälle beigelegt.

Stark gesunken dagegen ist die Erfolgsquote bei Streitfällen im Schienenverkehr, bei nur noch 65 Prozent der Beschwerden gab es eine Einigung. Im Vorjahr waren es noch 80 Prozent. Zumeist geht es dabei um den Marktführer, die Deutsche Bahn AG, die zu Beginn der Corona-Krise ihren Kunden großzügig den Umtausch aller Tickets in drei Jahre gültige Gutscheine angeboten hatte, wenn Fahrten wegen der Einschränkungen nicht angetreten werden konnten.

Viele Bahnkunden sind verärgert über mangelnde Kulanz

Bei nach dem 4. Mai gekauften Tickets war das nicht mehr möglich, sie konnten nur ersatzweise bis spätestens 31. Oktober 2020 genutzt werden. Zudem konnte die gebuchte Strecke nicht verändert werden. „Viele Bahnkunden waren und sind darüber sehr verärgert“, betont Klewe. Denn bei vielen Zugfahrten entfiel der Anlass, nachdem Konzerte, Kreuzfahrten oder Kongresse wegen der Pandemie abgesagt worden waren und es bis Oktober auch keinen Ersatz gab.

Die DB verweigerte dennoch vielen Kunden mehr Kulanz und gab auch in den SÖP-Verfahren nicht immer nach, weshalb jeder dritte Streitfall ungelöst blieb. Darunter fallen auch Beschwerden über unzureichende Entschädigungen für Bahncards, Wochen- und Monatsfahrkarten, die wegen der Pandemie nicht genutzt werden konnten. Beim ÖPNV sank die Schlichtungsquote ebenfalls massiv von 71 auf 53 Prozent, weil Verkehrsunternehmen meist ablehnten, Kunden ihre Abo-Karten anteilig zu erstatten, wenn das Bus- und Bahnangebot eingeschränkt war.

Besonders in Online-Foren bringen Betroffene ihren Ärger seit Monaten zum Ausdruck. Die Kritik trifft vor allem klamme Reiseunternehmen, die vom Staat mit Milliardensummen Steuergeld gerettet werden wie die Lufthansa, die Deutsche Bahn oder Tui. Allein die Lufthansa zahlte mehrere Milliarden Euro Ticketkosten erst viele Monate nach den Flugabsagen zurück und versuchte mit fragwürdigen Methoden, Kunden zur Annahme von Gutscheinen zu verleiten.