In einem Pilotprojekt setzt die Deutsche Bahn auf Video-Reisezentren: Bereits an zwölf Schaltern in Baden-Württemberg werden Kunden per Web-Kamera und Mikrofon bedient – neuerdings auch in Tübingen. Doch die Technik schreckt so manchen ab.

Tübingen - Ein Knopfdruck, und die lange Schlange im Reisezentrum des Tübinger Bahnhofs lässt sich umgehen. Neuerdings können sich dort Kunden am Videoschalter von einer Bahn-Mitarbeiterin bedienen lassen, die mit einer Web-Kamera zugeschaltet wird. „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“, fragt die freundliche Dame und lächelt ihr Gegenüber fast auf Augenhöhe an. Die Beratung ist unkompliziert, die gewünschte Zugverbindung schnell gefunden. „Ich drucke Ihnen die Zeiten gerne aus“, sagt die Bahn-Angestellte, „schauen Sie in der Klappe rechts nach.“ Sie verrät noch, dass sie in Ludwigsburg sitzt, mehrere Bahnhöfe betreut und ihre Kunden genau im Blick hat. „Ich sehe Sie auch – auf dem Rechner vor mir.“

 

Die Zeiten, in denen Bahnkunden stets persönlich von Mitarbeitern bedient werden, sind längst vorbei. Viele kaufen Fahrscheine online. Und immer mehr Ticketautomaten ersetzen das Personal. Vor allem in kleineren Bahnhöfen ist aus Kostengründen mächtig abgebaut worden – zum Unmut vieler Kunden. Deshalb hat sich die Bahn etwas einfallen lassen, das einerseits die Kosten senkt und andererseits das direkte Gespräch garantiert: das Video-Reisezentrum. In acht Bundesländern ist die Videoberatung in den vergangenen Jahren etabliert worden – als Pilotprojekt startete sie 2013 in Baden-Württemberg. Entlang der Schwarzwaldbahn, wo sich eigene Mitarbeiter in den Bahnhöfen nicht mehr rechneten und die Umsätze deutlich zurückgingen, wurde zunächst in St. Georgen und Triberg die Videokabinen eingeführt. Es folgten weitere kleine Bahnhöfe wie etwa Hornberg, Engen und Gengenbach. „Wir wollten den Fahrdienstleister entlasten, der zusätzlich zu seinen Aufgaben die Beratung übernommen hatte“, sagt Bahn-Sprecher Werner Graf.

Aber auch in größeren Städten wie Freiburg, Mannheim und zuletzt Tübingen finden sich die weißen Beratungsboxen im modernen Design. Sie sind in den Reisezentren aufgestellt und sollen eine Ergänzung zu den bestehenden Schaltern sein. „In Spitzenzeiten bringen sie Entlastung,“, sagt Graf und betont, „dass weder Personal noch Schalter deshalb abgebaut werden.“

Das Videoangebot wird zwar gesehen, aber ignoriert.

Die Scheu vor dem Schirm ist groß. Im Tübinger Bahnhof wartet ein Dutzend Kunden vor den drei geöffneten Schaltern. Das Hinweisschild auf die Videobedienung wird zwar gesehen, aber ignoriert. „Ich will ein Semesterticket und muss dazu die Studienbescheinigung abgeben“, erklärt eine Studentin, warum sie das Gerät meidet. „Fahrkarten kaufe ich sowieso online, ich möchte für eine Reise ausführlich beraten werden“, sagt der junge Mann neben ihr, „aber nicht von einem Automaten.“ „Zu viel Technik“, mischt sich ein anderer ein, „ich komme extra in den Bahnhof, um persönlich bedient zu werden.“ Die Bahn-Mitarbeiterin am Schalter kennt die Zurückhaltung der Tübinger. „Die meisten nutzen den Videoschalter nicht, die kommen lieber zu uns“, sagt sie und kann nachvollziehen, dass ein Bildschirm abschreckt.

In der 7000-Einwohner-Gemeinde Allensbach am Bodensee ist Bürgermeister Stefan Friedrich froh darüber, dass wenigstens ein Videoschalter den Service-Kahlschlag der Bahn abpuffert. „Wir hatten keine Wahl“, sagt Friedrich, da die Bahn beschloss, den örtlichen Schalter Ende 2015 zu schließen, „die Fallhöhe wäre noch größer gewesen vom personenbedienten Fahrkartenverkauf zum Automaten.“ Das System hätte sich in Allensbach etabliert, versichert Friedrich, vor allem die älteren Leute seien sehr froh darüber, weiterhin einen direkten Ansprechpartner zu haben – trotz Bildschirms. Und einen Vorteil sieht er: Die Öffnungszeiten seien länger als früher.

Gelungener Kompromiss

Der Fahrgastverband Pro Bahn hält die Videoberatung für einen gelungenen Kompromiss. „Es gibt Menschen, die mit Automaten nicht zurechtkommen, die haben dann einen persönlichen Ansprechpartner“, sagt der Pressesprecher und hat Verständnis für die wirtschaftlichen Nöte der Bahn. Im Fernverkehr werde die Hälfte der Karten bereits online gekauft, da würden Reisezentren an Bedeutung verlieren und bundesweit über die Jahre ausgedünnt.

Wie zufrieden die Kunden mit dem Videoservice sind, können sie zumindest in Tübingen direkt angeben. „Ihre Meinung ist uns wichtig“, steht auf dem Fragebogen, der am Schalter ausliegt und Aspekte wie Bild- und Tonqualität, Akzeptanz und Verbesserungsvorschläge abfragt. Ob noch mehr Videoschalter in Baden-Württemberg in den Reisezentren aufgestellt werden, kann Pressesprecher Graf momentan nicht sagen. Man werde sehen, wie gut das virtuelle Angebot angenommen werde und dann entscheiden.