Mehr als 100 Millionen Euro für saubere Bahnhöfe investiert die Bahn bundesweit, und auch der Bahnhof Esslingen profitiert. Ist das ein Schritt zu mehr Sicherheit?

Mit einer Grillzange aus Holz zieht Sven Teufel auf dem Esslinger Bahnhofsplatz Kippenstummel aus einem bepflanzten Kasten, in der eine Birke wächst. Der Aichtaler unterstützt mit seiner Initiative Zusammen Zukunft leben die Deutsche Bahn beim Frühjahrsputz. Mehr als 100 Stummel zieht er aus dem Kasten und wirft sie in einen Eimer zu den Aberhunderten, die er bereits gefunden hat. Ihm gehe es in erster Linie um den Umweltschutz: „Ich will, dass mein dreijähriger Sohn auch noch eine lebenswerte Welt hat, wenn er 18 wird.“

 

Schmutzige Bahnhöfe: zwei Worte, die in den Köpfen vieler Menschen ähnlich wahrgenommen werden wie „runder Kreis“. Klar ist ein Kreis rund und Bahnhöfe sind halt dreckig. Das ist nicht nur gefühlt schon immer so: So berichtet die Eßlinger Zeitung im Jahr 1883 über den Bahnhof, dass „man erst den Total-Eindruck würdigen“ könne, „wenn namentlich auch der vordere Zugang zum neuen Gebäude etwas reinlicher als bisher sich repräsentirt“. Wohl gemerkt, das wurde im Jahr der Eröffnung des Bahnhofs geschrieben.

100 Millionen Euro für Sauberkeit an Bahnhöfen

Aber es wird ja etwas dagegen getan: Seit April reinigt die Deutsche Bahn in einer großen Frühjahrsputzaktion nach eigenen Angaben 134 Bahnhöfe in Baden-Württemberg. Am Freitag war Esslingen dran. Insgesamt würden in diesem Jahr mehr als 100 Millionen Euro bundesweit in die Sauberkeit an Bahnhöfen investiert. Taylan Ayik, stellvertretender Bahnhofsmanager der Region Stuttgart, packt an diesem Tag mit an. Bei einer vorhergehenden Putzaktion am Bahnhof in Kornwestheim hätten sie 15 Kubikmeter Müll gefunden. Darunter auch Schrott wie Fahrräder oder noch funktionstüchtige Elektrogeräte. Vor ein paar Jahren sei an einem Bahnhof sogar eine Weltkriegsbombe gefunden worden. Wie viel es in Esslingen sein wird, kann er nicht abschätzen.

Taylan Ayik sitzt heute mal nicht im Büro, sondern packt mit an. Foto: Roberto Bulgrin

Mehr Sicherheit durch Sauberkeit an Bahnhöfen

Das erklärte Ziel der Grundreinigung: Die Fahrgäste sollen sich wohler fühlen. Das ist nicht nur reines Marketing. Die Soziologen George Kelling and James Wilson formulierten in der sogenannten Broken-Windows-Theorie (Theorie der zerbrochenen Fenster), dass der Verfall von Gebäuden ein Gefühl der Unsicherheit erzeugen kann – oder in diesem Fall beeinflussen eben Dinge wie Graffiti an Bahnhöfen das Sicherheitsempfinden. Kurz zusammengefasst: Vandalismus beschleunigt laut der Theorie eine Verschlimmerung, da eine weitere Zerstörung auf potenzielle Verursacher weniger gravierend wirkt. Das könne auch Kriminelle anlocken, die genau diese Zerstörung gut finden, da sie aus der Verwahrlosung schlussfolgern, dass hier die Ordnung nicht kontrolliert wird – so die Theorie. Taylan Ayik bestätigt zumindest, dass sich Sauberkeit positiv auf das Sicherheitsgefühl auswirkt – aber geputzt werde ja regelmäßig.

Der 42-Jährige ärgert sich nicht wirklich darüber, dass in wenigen Wochen vermutlich wieder Müll rumliegt und neue Sprayer am Werk waren. „Das ist wie beim Supermarkt, wenn man Regale auffüllt. Da ärgert man sich ja auch nicht, wenn die bald wieder leer sind“, sagt er. Es wird gestrichen, Kaugummis werden abgekratzt, Kippenstummel aufgesammelt und Fenster geputzt. „Es sind mehr als 45 Personen beteiligt“, sagt Ayik. Auch die Stadt Esslingen hilft mit.

137 Straftaten rund um den Bahnhof

Dass der Bahnhof sicherer wird, ist in Esslingen auch nötig: Im Bereich des Bahnhofsvorplatzes hat die Polizei nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 137 Straftaten erfasst, was einer leichten Steigerung gegenüber den im Jahr 2023 erfassten 122 Fällen entspricht. Der bisherige Höchststand lag im Jahr 2021 mit 145 erfassten Fällen.

Sven Teufel sammelt mit einer Grillzange Kippenstummel aus den Pflanzen. Foto: Roberto Bulgrin

Neben der Polizei versucht auch die Stadt mit vielfältigen Aktionen, die Sicherheit – und auch die gefühlte Sicherheit am Bahnhof – zu verbessern. Beispielsweise mit der Mobilen Wache, bei der Mitarbeiter des Ordnungsamts in den Sommermonaten von Mitte April bis Mitte Oktober am Bahnhof donnerstags, freitags und samstags von 15 bis 22 Uhr präsent sind. Freitags und samstags sind sie bis 1.30 Uhr im Einsatz.

Umweltschutz ist Sache von jedem

Auch wenn die DB-Putzaktion nur eine Art Make-up für ein tieferliegendes Problem ist: Dass der Esslinger Bahnhof jetzt möglichst lange sauber bleibt – dafür kann jeder Fahrgast etwas tun. Sven Teufel würde sich freuen, da es einfach ärgerlich sei, dass Kippenstummel und dergleichen auf dem Boden liegen, während der nächste Mülleimer nur wenige Meter entfernt stehen würde. „Die Putzaktion ist ein wichtiges Zeichen“, sagt er. „Wenn man Umweltschutz vorantreiben will, muss man die Menschen überzeugen mitzumachen.“ Er würde es gerne sehen, dass man in der Bahnhofshalle mit Plakaten oder dergleichen auf die Problematik aufmerksam macht, um das Bewusstsein bei den Menschen zu schärfen, was sie mit ihrer Unachtsamkeit anrichten.

Geputzt wird immer

Historie
Esslingen war in den 1880er-Jahren die viertgrößte Stadt Baden-Württembergs, weswegen das Empfangsgebäude entsprechend prunkvoll ausgestattet worden war. Der Bahnhof wurde bis 1883 im italienischen Renaissancestil errichtet. Derzeit finden Baumaßnahmen im Bahnhofsgebäude statt, die laut Bahn etwa noch ein Dreivierteljahr dauern werden. Anschließend soll ein Gastronomiebetrieb einziehen.

Sauberkeit
Neben dem Frühjahrsputz finden am Bahnhof laut dem stellvertretenden Bahnhofsmanager Taylan Ayik täglich kleinere Reinigungsarbeiten statt, circa alle zehn Tage werde mit Hochdruckreinigern sauber gemacht. Wer Graffiti entdecke, könne diese unter der DB-Servicenummer 030/2970 melden, damit sie entfernt werden.