Der Bahnhof des Vatikans führt ein prunkvolles Schattendasein. Nach neun Jahren erbarmt sich Benedikt XVI. - und reist per Zug nach Assisi.  

Vatikanstadt - Das Jasmintal, südwestlich des Petersdoms, war mal eine duftige Landschaft. Seit 1960 aber fließt der Beton, heute steht alles voller Wohnblocks. Nur eines hat sich aus der guten alten Zeit herübergerettet: das aus Ziegelsteinen gemauerte Eisenbahnviadukt. Es ist geschmückt mit den Rutenbündeln, die "Duce" Mussolini als Herrschaftszeichen verwendete - das war Mode damals -, und es endet an einem grauen Stahltor.

 

Gleich dahinter liegt eine der unbekanntesten Kuriositäten des Vatikans: der Bahnhof des Papstes. Am Donnerstag wird er zum vierten Mal in achtzig Jahren bestimmungsgemäß verwendet: Benedikt XVI. fährt mit den Delegierten aller möglichen Weltreligionen zum Friedensgebet nach Assisi. Nur muss der ultraschnelle Zug, den ihm Italiens Staatsbahnen zur Verfügung stellen, von einer Diesellok in den Vatikan gezogen werden; der Strom reicht noch nicht so weit.

Staatsgäste bevorzugen ihre Staatskarossen

Der Bahnhof entstand, als der Vatikan ein Staat geworden war, 1929, in den "Lateran-Verträgen" mit Italien. Der eng ummauerte Papst wollte einen modernen Zugang zur Welt, und er bekam ihn. 1932 rollte die erste Lokomotive über die angeblich kürzeste internationale Eisenbahn der Welt. Alles in allem, das Rangiergleis und den Abstelltunnel unter den Vatikanischen Gärten inklusive, brauchte es nur 862 Meter Gleis. Die Weichen werden bis heute von Hand gestellt.

Und welche Erwartungen der Vatikan damals mit seinem Bahnhof verband: Man dachte an riesige Empfänge für Staatsgäste und an Pontifikalreisen mit gewaltigem Pomp. Entsprechend monumental fiel die Bahnhofshalle aus: mächtige, himmelstrebende Säulen aus grünem Marmor, viel Stuck, Art-déco-Lampen, Travertinreliefs. "Das ist der schönste Bahnhof der Welt!", schwärmte Papst Pius XI., als er ihn einweihte. Doch Staatsgäste bevorzugten immer schon ihre Staatskarossen, und bis ein Papst hier abfuhr, dauerte es drei Jahrzehnte: Johannes XXIII. pilgerte 1962 kurz mal per Zug nach Assisi und Loreto. Wobei: zum Testen des Bahnhofs hatte er zuvor schon einen toten Vorgänger vorbeigeschickt. 1959 reiste vom Vatikan aus der Sarg mit dem (heiligen) Pius X. zu kurzzeitiger Verehrung nach Venedig.

Heute ein Duty-free-Shop

Nach Johannes XXIII. aber war Pause bis zu jenem eintägigen Stadtausflug, zu dem sich Johannes Paul II. im November 1979 von italienischen Eisenbahnfans einladen ließ. Und dann fuhr - von einem Minimalverkehr an Güterwaggons abgesehen - wieder kein Zug bis 2002, bis zu Johannes Pauls zweitem Friedensgebet in Assisi.

Inzwischen hatte man die nutzlose Bahnhofshalle, diese Kathedrale des Reisens, in einen Kommerztempel verwandelt. Man hat eine platte Zwischendecke eingezogen, die die Wirkung der Halle zerstört - und einen Duty-free-Shop eingerichtet, in dem Vatikanbewohner und Diplomaten all das kaufen dürfen, was sonst in den Glitzershops großer Flughäfen angeboten wird: namhafte Mode, Hemden, Krawatten, Schuhe, Maßanzüge gar, Uhren teurer Weltmarken, Schmuck und Handtaschen, Zigarren und Schampus und Hochprozentiges, Computer auch und Flachbildschirme, Espressomaschinen und - in einer Spezialecke - alles aus dem Sortiment der "Kinder"-Schokolade. Ersparnis: zwanzig Prozent vielleicht gegenüber gemeinen römischen Ladenpreisen.

Papst fährt von Gleis 1

All das werden der Papst und seine Mitfahrgäste am Donnerstag bestimmt nicht zu sehen bekommen. Anderes sehr wohl: die Wunden zum Beispiel, die die Splitter einer 1944 hier mehr oder minder zufällig heruntergekommenen Fliegerbombe in die Fassade geschlagen haben.

Und eines ist sicher: Benedikt fährt in seinem Bahnhof von Gleis 1 ab. Nicht weil das so standesgemäß wäre. Nein: eine andere Möglichkeit gibt es einfach nicht.