Von Mitte 2025 an fahren Gäubahn-Züge aus Singen nicht mehr bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Die Fahrgäste müssten umsteigen. Nun gibt es einen neuen Vorschlag – aber hält der dem Faktencheck Stand?

Die Tage der Gäubahn-Direktverbindung Zürich–Stuttgart bis zum Hauptbahnhof sind gezählt. Von Mitte 2025 an ist für die IC- und die Regionalzüge wohl in Stuttgart-Vaihingen Endstation, weil Gleise im Zusammenhang mit dem Projekt Stuttgart 21 in der City gekappt werden. Frühestens 2033 soll der neue Anschluss über den Landesflughafen in den Tiefbahnhof fertig sein. Die Gäubahn-Anrainerkommunen sehen sich und Tausende Pendler und Fernreisende mit dieser Planung abgehängt. Oberbürgermeister mit CDU- und Grünen-Parteibüchern entlang der Strecke wollen ihren Protest daher nun auf die Straße tragen. „Wir wollen zum Hauptbahnhof“, heißt die Initiative, der sie sich angeschlossen haben. Der Berliner Verkehrsstaatssekretär Michael Theurer (FDP) versucht, die aufgeheizte Stimmung mit einem Vorschlag zu beruhigen, in dem die S-Bahn eine Rolle spielt.

 

Theurer, zu Beginn seiner Politikkarriere OB von Horb und vehementer Verfechter des Gäubahn-Ausbaus, ist Bundesbeauftragter für den Schienenverkehr. Er hält am kommenden Freitag beim „Faktencheck“ für die Gäubahn in der Sparkassenakademie ein Grußwort. Experten erläutern die Gründe für die Kappung, Stuttgarts Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) sagt, warum die alten Gleise in der City nach 2025 tabu sein sollen – er setzt auf raschen Wohnungsbau.

Tagesordnung macht kritische Geister besorgt

Den von der Kappung Betroffenen ist bereits die Tagesordnung ein Graus. Von einem Faktencheck könne man nicht sprechen, kritisiert Matthias Lieb, Landesvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Bekanntes werde in Spielfilmlänge wiederholt, ein namhafter Experte sei nicht zugegen, juristische Fragen würden ausgeblendet. Womit Lieb auf die drohende Klage des Landesnaturschutzverbandes anspielt. Dessen Frage, ob die Kappung rechtlich überhaupt zulässig ist, beschäftigt seit Monaten das Eisenbahn-Bundesamt. Man habe dazu nun eine umfassende Stellungnahme der DB AG vorliegen, sagt die Aufsichtsbehörde, man prüfe sie.

In dieser Lage plädiert Michael Theurer nun dafür, S-Bahnen über Herrenberg hinaus wenigstens bis nach Horb fahren zu lassen. So bliebe zumindest vielen Pendlern zweimaliges Umsteigen pro Tag erspart. „In Kombination mit einem durchgehenden Fernverkehr zum Beispiel über Tübingen könnte das die Lösung sein oder zumindest die Lage entspannen, bis der Pfaffensteigtunnel für die Gäubahn zum Flughafen fertig ist“, sagt Theurer. Nach seinem Dafürhalten müsste für einige S-Bahnen auf der Strecke Horb–Stuttgart Platz sein. Er hofft, dass der Vorschlag zündet.

Genügend S-Bahn-Züge dürfte es geben

An S-Bahnen sollte es nicht mangeln. Der Verband Region Stuttgart hat 58 neue bestellt, 43 wurden bereits geliefert, damit alle Linien mit möglichst langen Zügen bedient werden können. Spätestens Ende 2025 soll im Stuttgarter S-Bahn-Tunnel dank neuer Steuerungstechnik, die dann auch in den Zügen verbaut ist, Platz für eine weitere Linie Richtung Böblingen sein.

Heiko Focken, einer der Initiatoren der Wir-wollen-zum-Hauptbahnhof-Initiative, hält die Idee für bedenkenswert, weiter Richtung Süden helfe sie aber nicht. Hauptaufgabe der Initiative, die von Dienstag an Flyer vor den Bahnhöfen verteilen will, sei Aufklärung. „Viele Fahrgäste wissen noch gar nicht, was ihnen auf dieser Strecke in drei Jahren blüht“, sagt Focken.

VCD befürchtet praktische Probleme

VCD-Chef Lieb erkennt beim erweiterten S-Bahn-Betrieb ganz praktische Probleme: „Die Bahnsteighöhen passen nicht, da fehlen 20 Zentimeter, und Toiletten gibt es in der S-Bahn auch keine.“ Die Verlängerung der S-Bahn bis Horb lasse sich schon in einer Machbarkeitsstudie aus 1995 nachlesen.

„Von der Idee habe ich schon mal gehört“, sagt der Singener OB Bernd Häusler (CDU), für Horb sei das „hoch interessant“, für Singen nicht. „Uns geht es um die Magistrale Zürich–Stuttgart, da wird ein kompletter Wirtschaftsraum abgebunden“, pocht er auf Direktverbindung. Für den Check am Freitag fehle der „unabhängige Dritte“, der Aussagen prüfe. Häusler bemängelt politische Unterstützung. In der CDU-Landtagsfraktion nehme er bei dem Thema Gäubahn vor allem Zurückhaltung wahr.

Tuttlinger OB riecht Mogelpackung

Michael Beck (CDU), OB von Tuttlingen, spricht von einer „Placebo-Veranstaltung“ mit Lücken im Ablaufplan. Da taucht beispielsweise die Frage, ob Altgleise der seitherigen Gäubahnstrecke zum Kopfbahnhof vorübergehend erhalten bleiben können, nicht ausdrücklich auf. Beck sagte unserer Zeitung, ihn beschleiche der Verdacht, dass man Fahrgäste aus der Schweiz, Singen und Tuttlingen in Stuttgart gar nicht haben wolle. Im S-21-Volksentscheid hätten sich die Menschen überdurchschnittlich zahlreich für das Milliardenprojekt entschieden, weil ihnen Hoffnung auf einen besseren Bahnverkehr im Land gemacht worden sei. Im Raum Stuttgart werde aber so agiert, als ob es ein lokales Projekt wäre.

Beck hält es nach wie vor für notwendig, dass alle Gäubahnnutzer ohne Umsteigen zum Stuttgarter Hauptbahnhof kommen, denn jeder Umstieg sei eine Erschwernis und berge die Gefahr, dass Fahrgäste aufs Auto umsteigen. Mit der S-Bahn-Variante sollten wohl Fahrgäste und Kritiker der Abhängung der Gäubahn ruhiggestellt werden. Beck: „Die Sache riecht und klingt wie eine Mogelpackung.“ Die Idee scheine zwar in die richtige Richtung zu weisen, weil ein Teil der Fahrgäste auf der Gäubahnstrecke ohne Umstieg von und zur S-Bahn-Station unter dem Hauptbahnhof komme, doch „der Tuttlinger hat davon null Komma null“. Man müsse auch genau hinschauen, wann diese Lösung zeitlich möglich werde und wie sie technisch funktioniere. Sie sei mangels Toiletten in den S-Bahn-Zügen „auch keine Alternative für uns ältere Menschen“, sagte Beck (62) scherzend, zumal in Bahnexperten-Kreisen nicht ausgeschlossen wird, dass auch Rottweil als Start- und Endpunkt von S-Bahn-Verkehr in den Fokus kommen könnte.

Tuttlingen und Singen würde auch das nicht helfen. Auch wenn die Deutsche Bahn dann im Tagesverlauf noch den einen oder anderen Fernzug aus der Schweiz bis zum Stuttgarter Nordbahnhof weiterfahren und nicht schon in Vaihingen stoppen lassen sollte, reiche das nicht aus, sagte der Tuttlinger OB.

Guido Wolf ist „ergebnisoffen“

Der CDU-Landtagsabgeordnete Guido Wolf, der dem Interessenverband Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn vorsitzt, wirkt da konzilianter als die Mitglieder. Er gehe „ergebnisoffen rein“ in die Moderation des Faktenchecks. Er ist zuversichtlich, dass man einige Probleme löst oder zumindest lindert. Ziel sei es, die Anbindung der Gäubahn an den Hauptbahnhof ab Mitte 2025 so komfortabel wie möglich zu gestalten – „je mehr, desto besser“. Ob Gleise zum Bahnhof noch liegen bleiben können oder nicht, könnte im Kontext von Pätzolds Vortrag angesprochen und belastbar geprüft werden. Die Idee einer künftigen Ergänzungsstation für den S-21-Hauptbahnhof bleibe ausgeklammert, das sei Konsens bei allen, auch im Interessenverband, dem formal übrigens auch Schweizer Akteure angehören. Umleitungen von Fernzügen via Tübingen oder Renningen zum Stuttgarter Hauptbahnhof erachtet Wolf unter anderem wegen der längeren Fahrzeiten eher nicht als aussichtsreich. Aber man werde ja sehen. Die S-Bahn-Idee verdiene auch die Prüfung.