Bald steigt der 59. Ball der Nationen in der Liederhalle: Die Tradition und die Idee der Völkerverständigung bekommt neuen Schwung.

Stuttgart - In Stuttgart wird wieder aufgetanzt. Besser gesagt: immer noch. Denn die Tradition des festlichen Balles zu pflegen, ist in diesen Tagen gar nicht mehr so einfach. Gab es früher den Ball des SWR oder den Juristenball in der Liederhalle, so tanzen die Liebhaber des Walzers oder der Samba heute nur noch beim Landespresseball, beim Frühlingsball oder beim Ball der Nationen auf.

 

Und beinahe wäre es auch um den Nationenball geschehen gewesen. Der langjährige Veranstalter Yongky Goei konnte nicht mehr weitermachen. Er musste aus beruflichen Gründen zurück nach Indonesien. Die Zukunft des Balles stand kurz auf der Kippe, ehe sich Margarete Jegel bereit erklärte, sein Amt zu übernehmen. Nun also blickt der Ball der Nationen wieder einer gesicherten Zukunft entgegen. Denn Jegel arbeitet mit Herzblut daran, den großen Ball weiterhin zu einem Fixpunkt im gesellschaftlichen Terminkalender zu machen. Und zwar im Alleingang.

Auch am vergangenen Mittwochabend wird das deutlich. Sie steht im Königsbau in der Postfiliale mit drei Kisten voller Din-A-4-großen Briefe. 500 Programm-Hefte müssen verschickt werden. Margarete Jegel hat jedes Heft selbst eingetütet und muss alle einzeln frankieren. „Was macht man nicht alles“, sagt sie, klebt eine 145er-Marke auf und lacht.

Erster Ball der Nationen fand 1956 statt

Die Mühe ist es ihr wert. Sie will nicht nur dem Ball, der 1956 zum ersten Mal im Bad Cannstatter Kursaal stattfand neues Leben geben, sie fühlt sich einem kulturellen Auftrag verpflichtet. Margarete Jegels Hobby ist quasi die Völkerverständigung. Nicht nur in ihrem weiteren Ehrenamt als erste Vorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Als sie vor einem Jahr die Leitung des Balles der Nationen für drei Jahre übernommen hatte, hat sie sich ein Ziel gesetzt: „Der Ball soll nicht nur Kulturen in der Stadt verbinden, sondern auch Generationen.“

Das Mandat für ihre Mission gaben ihr die Ballgäste durch eine Umfrage unter 2000 Bürgern. Das Votum war deutlich: Bitte, weitermachen! „Danach war für mich klar, dass ich die Herausforderung annehmen muss, die jüngere Generation als neue Ballgäste zu gewinnen, und dabei die Stammtänzer bei der Stange zu halten“, sagt Margarete Jegel. Ihre Maxime: „Das eine tun, aber das andere nicht lassen.“

Aber wie gewinnt man neue Menschen für einen Ball? Für einen gesellschaftlichen Höhepunkt, an denen die feine Robe und auch die Etikette wichtig sind. Margarete Jegel, die seit 15 Jahren im Eventmanagement tätig ist, setzt auf eine Doppelstrategie: Kultur und Kulinarik. Alle zwölf Nationen, die in diesem Jahr dabei sind, fahren die Spezialitäten ihres Landes auf. Die Geschmacksreise reicht von Polynesien, Griechenland, Lettland, Russland, Argentinien, Indien, Hawaii, Tahiti, Senegal, Mexiko, der Türkei und der Ukraine und Gastgeber Deutschland.

Es geht um Völkerverständigung

Wenn Margaret Jegel, die aus der Ukraine stammt, diese Länderliste betrachtet, bekommt sie eine Gänsehaut. In diesen Momenten kennt sie auch die Antwort auf die Fragen vieler Menschen: „Mensch, Margarete! Warum machst du das?“ Weil sie mit ihrem Anliegen gehört werden will. „Ich will einen Teil zum Frieden in dieser Welt beitragen“, sagt sie, „denn wenn es noch mehr Bälle gebe, noch mehr Menschen zusammenkommen und gemeinsam tanzen, wächst die Völkerverständigung.“

Wie gesagt: mit dem neuen Konzept ist Jegel auf einem guten Weg in eine gesicherte Zukunft. Und dennoch ist es jedes Mal eine Zitterpartie. Denn der Ball finanziert sich hauptsächlich durch den Kartenverkauf. „Das Problem ist, es dürfen nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Gäste sein.“ Sind es unter 2000 Gäste, rutscht sie in die roten Zahlen, werden es viel mehr, müsste sie aus Gründen des Brandschutzes in der Liederhalle Besucher zurückweisen.

Bei der 59. Auflage am 21. Januar scheint die Kalkulation aufzugehen. „Die Stuttgarter sind tanzbegeistert“, sagt Jegel, „wir mussten in diesem Jahr erstmals den Einlass auf 18 Uhr vorziehen, weil die Leute eine Stunde länger tanzen wollten.“