Nachdem die Außenstelle in Bremen wegen der Asylaffäre keine Anträge mehr bearbeiten darf, wird die Zahl der offenen Verfahren wohl weiter ansteigen. Dadurch kommt es bundesweit zu Verzögerungen.

Berlin - Der Berg der unbearbeiteten Asylanträge dürfte durch die Affäre um manipulierte Entscheidungen in Bremen wieder deutlich wachsen. In einer am Dienstag veröffentlichten Antwort des Bundesinnenministeriums auf einen Fragenkatalog der Grünen-Fraktion heißt es: „Mit der Prüfung der rund 18 000 Fälle der Außenstelle Bremen werden rund 70 Mitarbeiter für ca. drei Monate betraut sein.“ Bedingt durch diesen zusätzlichen Personalaufwand bestehe das Risiko, dass der Bestand an offenen Asylverfahren von aktuell rund 50 000 auf etwa 80 000 steigen könne. Das Ziel einer Bearbeitungsdauer von drei Monaten bei neuen Verfahren sei dann nicht mehr zu halten.

 

Kommentar zur Bamf-Affäre: „Grenzen der Aufklärung“

In der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Bremen sollen zwischen 2013 und 2016 mehr als 1200 Menschen ohne rechtliche Grundlage Asyl erhalten haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb gegen die frühere Leiterin, weitere Mitarbeiter, einen Dolmetscher und Anwälte. Der Dolmetscher steht im Verdacht, von Asylbewerbern Geld genommen zu haben. In dem Verfahren interessieren sich die Ermittler außerdem für mehrere Anwälte, die Asylverfahren an das Bremer Amt herangetragen haben sollen.

Innenausschuss mit Sondersitzung

Der Innenausschuss des Bundestages kam wegen der Affäre am Dienstagnachmittag in Berlin zu einer Sondersitzung zusammen. Die Abgeordneten erwarteten dort von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dringend Aufklärung, wie es zu den Fehlentscheidungen kommen konnte. Auch die Bamf-Leiterin Jutta Cordt kam, um Rede und Antwort zu stehen. Die Grünen hatten verlangt, dass dies öffentlich und nicht hinter verschlossenen Türen passiert. Die Vorsitzende des Innenausschusses, Andrea Lindholz (CSU), wies das aber zurück. Sie verwies unter anderem auf eine Vielzahl personenbezogener Daten, die nicht offengelegt werden dürften.

Seehofer hatte angeordnet, dass die 54 Mitarbeiter der Bremer Bamf-Außenstelle vorübergehend keine Asylanträge mehr bearbeiten sollen. Das heißt, auch sie fallen nun erst mal aus. Dies bremst also ebenfalls das allgemeine Tempo bei der Bearbeitung von Asylgesuchen.

Das Innenministerium teilte mit, es werde aktuell auch geprüft, ob im Bamf-Datenbestand im Zusammenhang mit der Bremer Affäre Daten unrechtmäßig gelöscht worden seien. Löschrechte besitze nur ein relativ kleiner Kreis von Mitarbeitern.

Motivlage weiterhin unklar

Bei der Suche nach den Motiven für die Manipulationen in Bremen tappt das Bamf noch im Dunkeln. Die Behörde stellte zwar in einem internen Prüfbericht vom 11. Mai fest, es habe sich der Verdacht erhärtet, dass fünf Beschäftigte gemeinsam mit der im Juli 2016 abgesetzten Leiterin der Außenstelle in einer unbestimmten Anzahl von Verfahren massiv gegen geltendes Recht, sicherheitsrechtliche Vorgaben und innerbetriebliche Anweisungen verstoßen hätten. Ob sie dies aus eigener Überzeugung oder auf Weisung der damaligen Leiterin getan hätten, könne aber noch nicht abschließend beantwortet werden.

In dem Bericht heißt es außerdem: „Insbesondere bei syrischen und irakischen Antragstellenden wurde die Identität nicht geprüft, obwohl es Hinweise aus zuständigen Ausländerbehörden gab, dass es sich hierbei um türkische Staatsangehörige bzw. um auffällig gewordene Clan-Mitglieder handelte.“

Die Vorfälle in Bremen haben die Aufmerksamkeit auch auf andere Außenstellen des Bamf gerichtet, in denen die Schutzquoten für Asylbewerber stark vom bundesweiten Durchschnitt abweichen.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka, beklagte, es habe schon lange Hinweise auf Versäumnisse gegeben, die Verantwortlichen hätten aber zu lange weggeschaut. Er prangerte eine „Mischung aus Schlamperei und Gleichgültigkeit“ in dem Fall an.

Die FDP erneuerte ihre Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu der Affäre. Die vielen offenen Fragen seien nicht in einer einzelnen Innenausschuss-Sitzung zu klären, mahnte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae. Die AfD verlangt ebenfalls ein solches Aufklärungsgremium. Inzwischen wollen auch Grüne und SPD einen solchen Schritt nicht mehr generell ausschließen.