Die Schüsse, die rivalisierende Banden im September 2022 in Esslingen-Mettingen abgefeuert haben, hallen weiter nach. Der Prozess gegen einen der Beteiligten muss am Landgericht Stuttgart neu aufgerollt werden.

Der erste Prozesstag endete mit Umarmungen und Tränen. In Saal 4 des Landgerichts Stuttgart gab es unverhoffte Wiedersehensfreuden. Anderthalb Jahre habe er seine Mutter auch wegen der Haft im Ausland nicht gesehen, hatte der Angeklagte zuvor angegeben. Die lange Zeit der Trennung rührte auch den Vorsitzenden Richter Norbert Winkelmann. Die Mutter durfte aus dem Zuschauerbereich nach vorne zum Gericht kommen und ihren 34 Jahre alten Sohn in die Arme schließen.

 

Neben Gefühlstiefen gab es knallharte Fakten: Die erste Schwurkammer des Landgerichts Stuttgart hatte den Angeklagten im November 2023 wegen versuchten Totschlags während seiner Beteiligung an den Schüssen von Mettingen zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der in Esslingen lebende Mann hatte Revision eingelegt, der Bundesgerichtshof gab ihm Recht und kassierte den Schuldspruch aufgrund eines Verfahrensfehlers. Der Prozess beginnt nun am Landgericht von neuem – dieses Mal vor einer anderen, nämlich der 19. Strafkammer.

Einer der traurigen Höhepunkte des Bandenkriegs war der Handgranatenwurf während einer Beerdigung von Altbach im Juni 2023 gewesen, bei dem mehrere Menschen verletzt wurden. Die Granate hatte sich in einem Baum verfangen – so war noch Schlimmeres verhindert worden. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Er träume davon, später einmal auszuwandern. Und zwar „irgendwohin, wo die Sonne scheint“, verriet der Angeklagte über seine Zukunftspläne. Über die Vergangenheit machte er ebenfalls Angaben. Am Tag vor dem Schusswechsel im September 2022 sei er mit einem Angehörigen einer gegnerischen Gruppierung in Streit geraten. Sie seien beide früher Mitglieder der rockerähnlichen, 2013 verbotenen Gang „Red Legion“ gewesen. Damals sei er jung und unerfahren gewesen. Er habe an die Gemeinschaft, die Zusammengehörigkeit, die Ideen dieser Gruppe geglaubt.

Distanz zu ehemaligen Kumpeln der „Red Legion“

Doch auch wegen ihr habe er einen Großteil seiner Jugend im Gefängnis verbracht, und von Zusammengehörigkeit habe er nicht viel gespürt. Auch nach der Geburt seines Sohnes, so der Angeklagte weiter, habe er sich immer mehr von Bekannten aus dem Umfeld der früheren „Red Legion“ zurückgezogen. Das hätten ihm ehemalige Kameraden übel genommen. Sein Kontrahent habe ihn diffamiert, behauptet, dass er Drogen an Jugendliche verkaufe und sich als Zuhälter betätige. Auch wegen „solcher Lügen“ sei er auf einem Parkplatz in Esslingen-Mettingen am Tag vor der Schießerei mit ihm aneinandergeraten. Es sei zu Beleidigungen und Handgreiflichkeiten gekommen. Der Andere habe gesagt: „Dafür wirst du sterben.“

Aus Angst vor der Rache der Gang seines Gegners habe er sich über nicht näher bestimmte Kanäle eine Schreckschusspistole besorgt, gab der Angeklagte an. Mit der Schreckschusspistole sei er am Tattag nach Mettingen gefahren, weil er seinen Bruder in einem Café treffen wollte. Auf dem Weg dorthin sei er von seinem Kontrahenten vom Vortag und bis zu fünf seiner Kumpel umzingelt worden. Sie hätten auf ihn geschossen.

Er sei hinter einen blauen Mittelklassewagen geflüchtet, habe im Laufen die Schreckschusspistole gezogen und vier Mal geschossen. Nach Rekonstruktion des Gerichts hat der Angeklagte aber nicht auf die Gegner, sondern in die entgegengesetzte Richtung gefeuert. Er sei verwirrt und voller Adrenalin gewesen, sagte der Beschuldigte. Als er keine Schüsse mehr gehört habe, sei er hinter dem Auto hervorgekommen und habe noch zwei Mal in Richtung seiner Gegner geschossen. Laut Staatsanwaltschaft fielen an diesem Abend insgesamt 19 Schüsse.

Auch auf ein Lokal in der Nähe des Plochinger Bahnhofs waren im April 2023 Schüsse aus einem fahrenden Auto heraus abgegeben worden. Der Wirt wurde angeschossen. Foto: SDMG//Woelfl

Nach dem Vorfall, so der Angeklagte, sei er zunächst nach Stuttgart-Zuffenhausen und dann zu Bekannten in die Schweiz gefahren, um sich in Sicherheit zu bringen. Dort habe er auch die Schreckschusspistole auf den Müll geworfen. Sie sei nicht mehr auffindbar. Sein Weg führte ihn weiter nach Liechtenstein, wo er festgenommen und von wo er später ausgeliefert wurde. Die Haftbedingungen dort seien besser als in Deutschland: „Die Betten sind weicher.“