Endlich soll den Zockern in den Banken der Kampf angesagt werden. Was lange versäumt wurde, soll nun plötzlich ganz schnell gehen – mit Hilfe der Europäischen Zentralbank.

Brüssel - Die Sommerferien fallen in diesem Jahr aus. „Die können ihren Familien dieses Jahr nur hinterherwinken“, sagt ein Brüsseler Kommissionsbeamter über die Kollegen mit Urlaubssperre. Grund ist der Beschluss des EU-Gipfels von Ende Juni, der die europäische Regierungsbehörde aufforderte, „in Kürze“ einen Gesetzesvorschlag für eine neue Bankenaufsicht in der angeschlagenen Eurozone vorzulegen. Für Anfang September ist er jetzt versprochen. Nur sechs oder sieben Wochen bleiben also, um Ideen zu entwickeln, sie mit allen europäischen Beteiligten vorzubesprechen und in Paragrafen zu gießen. „Wir wollen hier schneller arbeiten als üblich“, sagte der federführende EU-Kommissar Michel Barnier in dieser Woche. Noch Ende des Jahres werde die Aufsichtsbehörde die Arbeit aufnehmen können.

 

Der große Crash soll verhindert werden

Den Zeitdruck gibt der Takt der Krise vor. Trotz Hilfszusage für Spanien bleibt das Misstrauen der Anleger groß, muss ihnen Madrid immer höhere Risikoprämien bieten – auf Dauer zu hohe, wie Premier Mariano Rajoy stets aufs Neue betont. Mit den anderen Staats- und Regierungschefs vereinbarte er daher, dass das marode Bankensystem des Landes nicht nur mit europäischen Steuermilliarden aufgepäppelt werden kann, wie das jetzt schon vereinbart wurde, um den ganz großen Crash zu verhindern. Nein, das soll auch möglich werden, ohne dass dafür der spanische Staat bei einem Zahlungsausfall haftet und dessen Schulden steigen, was den Märkten neue Munition liefern würde. Eine hohe Hürde aber setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel: Vom deutschen Steuerzahler besichertes Geld für iberische Institute soll es nur geben, wenn künftig europäische Aufseher das Nötige veranlassen und spanische Behörden nicht mehr mauern können. Das, so die Hoffnung, soll kapitale Bankenpleiten unwahrscheinlicher machen.

„Das hätten wir schon viel früher haben können“, sagt Markus Ferber. Der CSU-Europaabgeordnete sitzt im Wirtschaftsausschuss des Parlaments, wo sie seit der Lehman-Pleite 2008 an neuen Regeln arbeiten, um dem Kasinokapitalismus Einhalt zu gebieten. Den von der EU-Kommission vorgelegten Gesetzesvorschlag für eine gemeinsame Bankenaufsicht verschärften die Europaabgeordneten im Frühjahr 2010 noch: „Wir wollten alle systemrelevanten Banken unter direkte europäische Aufsicht stellen“, erinnert sich der Augsburger, „die nationalen Aufseher hatten ja eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht dazu in der Lage waren.“ Die European Banking Authority (EBA), inzwischen in London angesiedelt, hätte nach dem Willen des EU-Parlaments auch eine „Resolution Unit“ bekommen, eine Einheit mit der Aufgabe, bankrotte Banken zu schließen, ohne dass das Finanzsystem kollabiert – statt sie mit Steuergeldern zu retten. In diesem Punkt zogen Ferber & Co. den Kürzeren.

In der EU-Kommission schütteln sie die Köpfe

Es war nicht nur die britische Regierung, die notorisch fast alle Finanzmarktregeln aufzuweichen trachtete – sie hatte in diesem Fall eine mächtige Unterstützerin: die Bundesregierung. Hinter ihr wiederum steckten zwei große Interessengruppen: Die deutschen Sparkassen und Raiffeisenbanken befürchteten, eine europäische Aufsicht könne auch an ihrem Geschäftsmodell etwas ändern wollen. Und an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz Bafin genannt, wollten sie natürlich nichts von ihren Kompetenzen abgeben. In der Brüsseler EU-Kommission schütteln sie noch heute die Köpfe darüber, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble ihrem Wunsch folgte: „Die Deutschen“, sagt einer aus dem Umfeld von Kommissar Barnier, „haben das Aufsichtsversagen der Bafin mit Milliarden bezahlt.“

Jetzt ist alles anders. Beim Gipfel war es die deutsche Kanzlerin, die darauf drang, von einem der großen Zukunftsprojekte namens Bankenunion schon jetzt den aufsichtsrechtlichen Teil zu verwirklichen. Noch überraschender als die Tatsache an sich war vor allem, wie das Großprojekt nun angepackt wird – nämlich auf Basis von Artikel 127, Absatz 6. Diese Rechtsgrundlage bietet nicht nur juristischen Kennern reichlich Gesprächsstoff, sondern birgt ganz handfeste Probleme, die der Gesetzgeber nun in Rekordtempo lösen soll.

„Ein Schlag ins Gesicht“

Institutionell gewährt er dem Europaparlament beim Aufbau der neuen Aufsicht nur ein Anhörungsrecht, was die Abgeordneten fraktionsübergreifend auf die Palme bringt. Der Grüne Sven Giegold spricht von einem „Schlag ins Gesicht für alle, die an einem demokratischen Europa arbeiten“. Und sein CSU-Kollege Ferber macht gleich einmal klar, dass mit dieser Kampfansage der Zeitplan bis Jahresende „chancenlos“ ist. Anhörungen lassen sich hinauszögern.

Die inhaltlichen Probleme sind nicht kleiner. Denn es ist die Europäische Zentralbank (EZB), die mit der neuen Aufgabe betraut wird. Als ein wichtiger Grund dafür gilt die Unzufriedenheit der Regierungen mit der jetzigen Aufsicht EBA. Sie lasten ihr an, dass die zwei Stresstests mehr Lachnummern glichen, weil Banken die Prüfungen bestanden, die kurz darauf staatliche Hilfe benötigten – die belgisch-französische Gruppe Dexia beispielsweise. Im Europaparlament verweist der grüne Finanzexperte Giegold darauf, dass die Fachleute nicht das Recht hätten, vor Ort die Plausibilität der Angaben nachzuprüfen – weil die Regierungen sie 2010 nicht stark genug machten.

Sorge um die Unabhängigkeit der EZB

Die Wahl der angesehenen EZB soll Vertrauen schaffen. EZB-Chef Mario Draghi bekundete früh seine Bereitschaft, stellte zuletzt aber Bedingungen, die das politische Dilemma verdeutlichen. Auch in Deutschland gab es im Zuge der Finanzkrise Überlegungen, Kompetenzen von der Bafin auf die Bundesbank zu übertragen. Schlussendlich sagte die Bundesregierung aber Nein, weil sie eine Vermischung der Aufgaben Geldpolitik und Aufsicht befürchtete, was Berlin im Falle der EZB nun angeblich keine Probleme mehr bereitet.

„Ich kann mir diesen Schwenk nicht erklären“, sagt Bert Van Roosebeke vom Freiburger Centrum für Europäische Politik. Der Ruf der Notenbank werde leiden, da „sie als Aufsicht über kurz oder lang Fehler mache wird, da das keine exakte Wissenschaft ist“. CSU-Mann Ferber fragt sich eher, „wie sich eine weisungsgebundene Aufsichtsbehörde mit einer unabhängigen Zentralbank vereinbaren lässt“. Ihn treibt die Sorge um, „dass die EZB durch die Hintertür ihre Unabhängigkeit verliert“. Ihr Chef Draghi forderte vorige Woche von der EU-Kommission einen starken Gesetzentwurf, damit seine Leute und er „in einer wirkungsvollen, rigorosen und unabhängigen Art“ und „ohne Risiken für ihren Ruf“ arbeiten könnten. Da mag die Angst mitschwingen, dass Brüssel die Notenbank im Institutionengefüge Europas nicht zu stark werden lassen will.

Die Arbeitsteilung ist noch nicht geklärt

Die Beamten, die in Brüssel über dem Gesetzentwurf brüten, machen sich noch ganz andere Gedanken. Es geht um die „demokratische Qualität“, da getroffene oder nicht getroffene Aufsichtsentscheidungen mitunter milliardenschwere Folgen für die Steuerzahler zeitigen. Da braucht es eigentlich Kontrolle, die der Autonomie der Zentralbanker zuwiderläuft. In der EU-Kommission denken sie daher schon über die räumliche Trennung innerhalb des Frankfurter Eurotowers nach. Eine solche „interne Brandmauer“, wie ein Kommissionsbeamter das nennt, haben sie in der spanischen Nationalbank. Und auch die Bank of England vereint beide Aufgaben.

Die zweite große politische Herausforderung besteht darin, die Eurozone voranschreiten zu lassen, ohne die restlichen Mitglieder der 27er-EU abzuhängen. Soll das Gesetz also nur für die 17 Euroländer gelten und eine Mitmachoption für die anderen geboten werden? Oder soll es eine prinzipielle Pflicht für alle, aber die Möglichkeit zum Ausstieg für Einzelne geben, da Großbritannien sich nicht beteiligen will? Angeblich hat sich die Brüsseler Kommission hier noch nicht festgelegt, doch ist sie laut EU-Vertrag verpflichtet, für einheitliche Regeln im Binnenmarkt zu sorgen. Denn Bankpleiten in der Eurozone oder der Rest-EU wirken sich naturgemäß auf die jeweils anderen massiv aus. Kommissar Barnier hat daher schon angedeutet, dass ihm das 27er-Modell lieber ist. In jedem Fall wird im Rat der Regierungen bei dem Gesetz Einstimmigkeit verlangt sein.

Die gibt es wohl nur, wenn die Balance zwischen der EBA für alle 27 und der EZB für mindestens 17 per Gesetz gewahrt bleibt. In der Londoner Behörde haben sie, so Giegold, schon eine Idee, wie das laufen könnte: Da sich die EBA als Dachverband der europäischen Aufseher sieht, säße in ihrer Runde mit Briten, Schweden oder Tschechen für die Euroländer nur noch die EZB mit am Tisch. In der Währungsunion hätte sie das alleinige Sagen.

Kleine Bank, großes Problem

Auch ganz praktische Probleme gibt es genug zu lösen. Auf welche der 8300 EU-Banken sollen die Aufseher in Frankfurt Zugriff bekommen? Die Kanzlerin will, dass es nur die systemrelevanten sind. „Es gibt einige Banken, die vor Kurzem ernste Probleme bereitet haben wie Dexia und Bankia, die nicht zu den 15 größten Banken Europas mit systemischer Bedeutung gehören“, hält Kommissar Barnier dem entgegen: „Es können auch kleine Banken sein, die zu Problemen führen.“

Hinzu kommt: in Artikel 127 steht, die EZB dürfe nur „besondere Aufgaben“ bei der Aufsicht übernehmen, und das auch noch „mit Ausnahme von Versicherungsunternehmen“. Bei vielen Finanzkonglomeraten dürfte die Trennung schwerfallen.