Die Bereitschaft der Deutschen, ihre Bank zu wechseln, ist so hoch wie noch nie, sagt Commerzbank-Bereichsvorstand Werner Braun. Wie die Bank davon profitieren will und der Bankkunde der Zukunft aussieht, verrät er im Interview.

Stuttgart - Die Bankbranche ist in einem radikalen Umbruch. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden 30 Millionen Deutsche ihre Bankfiliale verlieren, sagt Werner Braun, Bereichsvorstand der Commerzbank Private Kunden in der Marktregion Süd im Gespräch.

 
Herr Braun, junge Menschen machen heute die Erfahrung, dass ein Ratenkredit billig ist, und dass es nichts bringt, etwas zu sparen. Beunruhigt Sie das?
Ja, das beunruhigt mich. Ich finde die Situation dramatisch. Wir verlieren eine Generation. Wie wollen Sie heute Kindern erklären, dass Sparen ohne Zinsen einen Mehrwert bringt? Wir müssen einen Weg finden, von der in Deutschland vorhandenen Sparkultur zu einer Anlagekultur zu kommen. Wir müssen vor allem jungen Menschen erklären, dass eine Rendite bei der Geldanlage extrem wichtig ist.
Sie sprechen von einer verlorenen Generation. Was meinen Sie konkret?
Das größte Risiko ist nicht das Risiko einer schwankenden Geldanlage, sondern das Langlebigkeitsrisiko. Es ist wunderbar, dass wir alle älter werden. Nur, wenn am Ende vom Geld noch Leben da ist, haben wir ein Problem. Wir befinden uns seit sieben Jahren in einer Niedrigzinsphase und diese wird noch einige Jahre andauern. Das heißt: wir verlieren eine, unter Umständen sogar zwei Dekaden, um Geldvermögen zu bilden, wenn ich wie früher aufs Sparbuch setze. Die Generation, die in 20 bis 30 Jahren in den Ruhestand geht und immer älter wird, braucht aber Vermögen und Werte, um die Altersvorsorge sicherzustellen.
Ist das nicht übertrieben? Viele Leute sind 30 und älter bis sie sich wirklich für Geldanlage und Altersvorsorge interessieren.
Es stimmt, 20-Jährige interessieren sich noch nicht für Geldanlage. Das liegt auch daran, dass es möglich ist, das Abitur zu machen ohne Kenntnisse der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Wir müssen mit Finanzbildung viel früher anfangen, wir müssen Dinge wie Aktien, Einnahmen-/Ausgabenrechnung und die Grundlagen von Zins und Zinseszins erklären. Ein 15-jähriger Schüler sollte wissen, dass es mehr als nur das Sparbuch gibt. Das ist essenziell, um Vermögen zu bilden und den Lebensstandard von morgen zu sichern.
Niedrigzinsen, digitale Produkte, neue Wettbewerber: Die Bankbranche verändert sich radikal. Überfordert das die Kunden?
Das glaube ich nicht. Nicht jeder Bankkunde muss ein Computerfreak werden, er hat die Wahlmöglichkeit. Er entscheidet, wie er mit uns in Kontakt treten möchte: in der Filiale, übers Telefon, mit dem Smartphone oder über einen Videochat am PC. Wir halten an persönlicher Beratung und unseren rund 1000 Filialen fest. Aber wir sehen auch, dass immer mehr Kunden ihre Bankgeschäfte mobil übers Smartphone erledigen. Eine Überweisung per App lässt sich heute innerhalb von vier, fünf Sekunden sicher, schnell und bequem abschließen. Das Smartphone wird immer mehr die Geldbörse ersetzen.
Künftig schieben sich auch digitale Plattformen zwischen Bank und Kunde. Wird das Angebot noch undurchschaubarer?
Es wird definitiv vielfältiger. Das kann man als Bedrohung oder als Chance sehen. Die Branche ist unglaublich in Bewegung. In den nächsten fünf bis zehn Jahren verlieren 30 Millionen Deutsche ihre Bankfiliale. Wie die Kunden eine neue Bank finden, ob über eine Internetplattform oder direkt, wird man sehen. Die Bereitschaft der Deutschen ihre Bank zu wechseln ist so hoch wie noch nie.
Wie sieht denn der Bankkunde der Zukunft aus, auf den sich die Commerzbank einstellt?
70 Prozent der Deutschen wollen beides, ein gutes digitales Angebot und einen persönlichen Ansprechpartner. Gleichzeitig werden mobile Anwendungen immer gefragter. Für Neukunden haben wir eine digitale Anwendung entwickelt, bei der Kunden einen Ratenkredit komfortabel und mobil beantragen können. Wenn Sie bei Ikea stehen und eine Küche kaufen wollen, erfahren Sie innerhalb von fünf bis zehn Minuten, ob der Kredit bewilligt wird. In dieser kurzen Zeit können wir über die Umsatzdaten des Kunden, also Einnahmen und Ausgaben, die Kreditwürdigkeit berechnen. Vorausgesetzt der Kunde stimmt zu, dass wir auf die Daten zugreifen dürfen. Das geht auch, wenn der Kunde sein Konto bei der Sparkasse hat und den Ratenkredit von uns möchte. Der Markt für Konsumentenkredite hat in Deutschland ein Volumen von 100 Milliarden Euro im Jahr. Unseren Anteil an diesem Markt wollen wir bis 2020 deutlich ausbauen.
Sie haben gerade eine Aktion beendet, bei der Sie für ein kostenloses Girokonto mit einem 100-Euro-Einkaufsgutschein bei Rewe geworben haben. Zieht das?
Ja. Wir wollen bis zum Jahr 2020 unter dem Strich netto zwei Millionen neue Kunden gewinnen. Wir sind derzeit die am schnellsten wachsende Filialbank in Europa und wir merken, dass ein Großteil dieses Wachstums über das kostenlose Girokonto kommt. Wenn wir da einen Anreiz bieten, verstärkt das die grundsätzliche Wechselbereitschaft bei den Kunden.
Lohnt sich das?
Für uns ist das eine Investition, die sich lohnt: Nach durchschnittlich rund 18 Monaten wird ein neuer Kunde für uns profitabel. Denn das Girokonto ist meistens der Türöffner für den Ausbau der Bankverbindung. Wer dieses Konto hat, hat den Kunden.
Nichts ist umsonst, die Kunden bezahlen entweder mit ihren Daten oder sie werden mit Werbung überschwemmt.
Wir wollen und müssen mit unserem Geschäftsmodell natürlich auch Geld verdienen. Aber wir wollen keinen Euro verdienen mit etwas, was dem Kunden nicht nutzt. Das ist unsere Überzeugung nach zehn Jahren Finanzmarktkrise.
Was macht die Commerzbank künftig noch mit den Kundendaten?
Ohne Zustimmung des Kunden gar nichts. Wenn Kunden zustimmen, können wir die Kontodaten viel besser für eine gezielte Ansprache nutzen. Das Gießkannenprinzip hat ausgedient. Wir schneiden dann das Angebot auf die persönliche Situation zu. Unsere ersten Tests zeigen, dass wir damit zehn Prozent mehr Abschlüsse erzielen. Wir können zum Beispiel auf eine günstigere Umschuldung hinweisen, wenn ein Dispokredit häufig ausgenutzt wird. Oder wir zeigen anhand der Miethöhe, dass eine Baufinanzierung günstiger wäre.
Wie wird das die Arbeitsweise Ihrer Mitarbeiter verändern?
Die Mitarbeiter im Service werden künftig die Kunden viel stärker dabei unterstützen, digitale Anwendungen zu verstehen und zu nutzen. Und die Spezialisten in der Vermögens- und der Finanzierungsberatung werden viel stärker datenbasierte Informationen einbeziehen müssen. Der Banker wird in fünf Jahren anders arbeiten als heute. Auf diesem Weg müssen wir die Mitarbeiter mitnehmen.
Was wird wegfallen?
Wegfallen wird, dass wir zum Beispiel die Ausbildung vollpacken mit Wissen, was schnell veraltet. Wichtiger wird: wie beschaffe ich mir schnell und kurzfristig Informationen? Wegfallen werden Papierdokumente. Unser Ziel ist die papierlose Filiale. Statt Unmengen an Kontoauszügen und Unterlagen zu verschicken, werden Kunden die digitale Postbox nutzen, wo jede Unterlage zehn Jahre griffbereit vorgehalten wird. Wir müssen unsere Angebote immer vom Kunden her denken und schnell auf veränderte Bedürfnisse reagieren. Das unterscheidet, ob Sie in Zukunft Amazon oder Quelle sind.