Ausgerechnet in New York, der Stadt, in der Graffiti streng verboten sind, taucht der Künstler Banksy auf – und provoziert fast jede Nacht mit neuen Wandgemälden.

New York - Terrence Sullivan zögerte keinen Augenblick, als er in seiner Wohnung in Harlem auf Instagram das Foto sah. Es war ein Bild von einem Graffito, die Ortsmarke dazu lautete vage „Westside“. Doch das reichte Sullivan aus, er stürzte zur U-Bahn. Knapp zwei Stunden später war er an der 25sten Straße in Chelsea fündig geworden. Mit Hilfe von Twitterfeeds anderer Suchender hatte er das Garagentor ausmachen können, auf das der legendäre Sprüher Banksy sein neues Werk gesetzt hatte. „This is my New York Handwriting“, hatte Banksy im Letternstil der New Yorker Graffitiszene dorthin gesprüht. „Das ist das erste Mal, dass ich einen echten Banksy sehe“, sagte Sullivan überglücklich.

 

Sullivan ist Teil einer hysterischen Schnitzeljagd, auf der sich seit einer Woche die ganze Stadt befindet. Anfang Oktober hat der mysteriöse Straßenkünstler seine „Residenz in New York“ angetreten und beglückt die Metropole praktisch jede Nacht mit einem neuen Werk. Sobald ein Bild davon im Internet auftaucht, beginnt die Suche. Meistens ist es ein Rennen gegen die Zeit, denn Graffiti haben in New York nicht lange Bestand, auch nicht, wenn sie von Banksy stammen. New York hat die wohl härtesten Graffiti-Gesetze der westlichen Welt seit der Bürgermeister Giuliani das Besprühen von Wänden auf die Liste der „Lifestyle-Verbrechen“ gesetzt hat. Sprüher riskieren in der Geburtsstadt der Kunstform harte Strafen – von sechsstelligen Geldbußen bis zu Gefängnis.

Banksy hat viele Feinde: Polizei, Hausbesitzer, sogar Kollegen

So wurde der erste Banksy in New York, ein witziges Kunstwerk, auf dem sich zwei Jungs an einem Graffiti-Verbotsschild zu schaffen machten, nach wenigen Stunden wieder übertüncht. Vermutlich hat der Hausbesitzer selbst – sicher kein Banksy-Kenner – Hand angelegt, um nicht die Aufmerksamkeit der Polizei zu erregen. Manche glauben jedoch, dass es Banksy selbst war, der sein eigenes Werk übermalt hat – als Kommentar quasi auf die New Yorker Graffiti-Feindlichkeit. Bedroht sind die Wandgemälde allerdings nicht nur von Hausbesitzern und der Polizei. Auch seine Kollegen gönnen ihm keine Dauerhaftigkeit in der Galerie der Straße. Banksy gilt unter Sprühern als Arrivist, seit seine Stücke bei Sotheby’s versteigert und von Brad Pitt für Millionenbeträge gekauft werden. Deshalb werden die Banksys in New York im Handumdrehen „getaggt“, das heißt mit dem Logo eines Rivalen versehen. Banksy wird hier nicht anders behandelt als jeder andere Revier-Eindringling.

Das alles wird Banksy bedacht haben, bevor er nach New York kam. Sowohl die Schnitzeljagd in sozialen Medien, als auch der Krieg ums Territorium mit anderen Sprayern gehören zum Gesamtkunstwerk seines New-York-Aufenthalts. All seine Aktionen spielen mit ihrem Kontext, sie wollen provozieren. So hat Banksy im British Museum echten prä-historischen Höhlenmalereien seine eigenen hinzugefügt. In New York hat er an die Wände des MoMa einfach seine Bilder gehängt. Beides war ein Kommentar auf die museale Praxis und die Institution des Museums. So will uns Banksy durch seine Aktion in New York zweifellos auch etwas über das heutige New York sagen – über die Sucht nach Spektakeln vielleicht und ihre Feindlichkeit gegenüber echter spontaner Kreativität.

Ist der große Unbekannte ertappt worden?

Davon lassen sich die Banksy-Jäger allerdings nicht abhalten. Am Dienstag kursierte im Internet gar ein verschwommenes Foto von jemandem, der Banksy bei der Arbeit gesehen haben will. Banksy hatte auf der Lower East Side auf der Ladefläche eines gewöhnlichen New Yorker Lieferwagens ein kleines Urwald-Diorama installiert. Der Fotograf ging mutig auf den Künstler zu und fragte ihn, ob er denn Banksy sei. Nein, lautete die Antwort, er sei nur ein Lastwagenfahrer.