In Stuttgart gibt es nur einen Ort, der Cocktailkunst im richtigen Rahmen bietet: „Die Bar“ im Westen. Die ist angenehm unaufgeregt und konzentriert sich aufs Wesentliche.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Einer der größten Irrtümer der Menschheit besteht darin, in einem Pina Colada einen Beleg für Cocktailkultur zu sehen. „Das Thema ist in Deutschland nach wie vor schwierig“, sagt Ralf Groher. „Viele verwechseln Cocktails mit fancy Drinks, wissen aber nicht, was einen guten Martini ausmacht.“ Groher zündet sich eine Zigarette an – Camel ohne Filter – und erzählt, wie ihm 1990 ein perfekt gemixter Whiskey Sour die Welt des erwachsenen Alkoholkonsums eröffnete.

 

Ralf Groher ist Gastronom und Musiker. Seit 2001 betreibt er „Die Bar“ im Stuttgarter Westen, seit Sommer 2011 zeichnet er für den Jazzclub Bix gastronomisch verantwortlich. Wenn er mal nicht gekonnt über hochwertigen Alkohol philosophiert, setzt er sich im Ralf Groher Quintett als Sänger mit Jazz, Blues und Soul auseinander.

Grohers „Bar“ ist die beste Bar der Stadt. Sie besticht durch eine herrliche zurückgenommene Unaufgeregtheit. Keine Plattform des Hyperventilierens an der Theo-Heuss-Straße. Keine 1-a-Premium-Hipster-Innenstadtlage. Und auch kein Sehen- und-gesehen-Werden im Nukleus des Nachtlebens. Stattdessen: eine von außen völlig unscheinbare Bar im Wohngebiet.

Die Bar verleiht eine Dosis Großstadt

Die vielleicht größte Leistung des gastronomischen Kleinods: Die Bar funktioniert völlig losgelöst von der Stadt, in der sie sich befindet, und liefert die nötige Dosis Großstadt, die Stuttgart an anderer Stelle vermissen lässt, ohne dabei austauschbar zu wirken. „Die Bar besticht durch grundsolide Arbeit ohne Fehl und Tadel und ohne Tand und Glitter in der gemäßigten Zone der gestandenen Barkultur“, meint Markus Orschiedt, Chefredakteur von „Mixology“, Deutschlands bester Zeitschrift über ambitioniertes Trinken.

Sicherlich werden auch an anderen Orten in Stuttgart mittlerweile Cocktails auf gehobenem Niveau serviert. In Mitte gibt es inzwischen ein Bermudadreieck der ambitionierten Cocktailkultur: Hier sei zuerst die Schwarz-Weiß-Bar in der Wilhelmstraße genannt, die in den Räumen der ehemaligen Pinte „iDipfele“ seit Kurzem einen soliden Job verrichtet. Das Ciba Mato am Wilhelmsplatz verfügt ebenfalls über versiertes Barpersonal, leider verursacht die Inneneinrichtung Kopfschmerz. Komplettiert wird die Cocktailtriangel durch das Fou Fou in der Leonhardstraße. Für das dortige Publikum findet Cocktailhohepriester Orschiedt das hübsche Bild von „Menschen im sich selbst vor Verzückung verzehrenden Oberklassefieber“.

Bei der Bestellung geht’s auch ohne Expertenwissen

Ralf Groher beobachtet sehr genau, was die Konkurrenz so macht. „Bei uns muss sich der Gast nicht verkleiden, als ginge er in die Bar eines teuren Hotels.“ Sein eigenes Kleinod fällt mit großem Rumangebot und exquisiter, über 100 verschiedene Single-Malt-Posten umfassender Whiskeyauswahl auf. Die Hausspezialität ist ein stets wechselndes Herrengedeck, bestehend aus einem Flaschenbier und einem zwölfjährigen Single Malt. „So kann man sich auch mit einem schmaleren Budget dem Thema Whiskey annähern“, erklärt Groher. Angenehm: in der Bar muss man nicht mit Expertenwissen bei der Bestellung um sich werfen, sondern wird vom Barkeeper an der Hand genommen, wenn man nach einem schwäbisch-üppigen Dreigangmenü kurz vor dem Implodieren nach einem Digestif verlangt. „Wir wollen, dass der Gast bei uns seinen Lieblingsdrink für einen Abend findet, ohne vorher ein ganz bestimmtes Getränk im Kopf haben zu müssen.“ Klar ist Groher Geschäftsmann und muss seine kleine Gastro wirtschaftlich führen, man glaubt es ihm aber, wenn er Begriffe wie Wissens- und Geschmacksvermittlung bemüht und behauptet, dass der größte Erfolg darin besteht, dass der Gast einem Barkeeper vertraut.

Milchkaffee steht auf dem Index

Zum Schluss des Gesprächs noch ein paar Tipps für angemessenes Verhalten auf dem Barhocker: Welche Bestellung treibt Groher unter Garantie in den Wahnsinn? „Alles mit Red Bull, Prosecco oder Maracuja-Nektar.“ Was darf man außerdem nicht ordern? „Milchkaffee. In einer Bar gibt es guten Kaffee, und damit fertig.“ Was hält Groher vom schönen neuen Gin-Hype? „Ich habe nicht so viel Freude an aromatisiertem Getreide-neutral-Sprit.“ Eine gute Nachricht für Weihnachtsgestresste zum Schluss: Die Bar hat auch an Heilig Abend geöffnet. Eine gut gemixte Bloody Mary hat so manchen schon erfolgreich durch die Feiertage getragen.