Die SPD hat ihr schlechtestes Landtagswahlergebnis aller Zeiten in Baden-Württemberg eingefahren. Aus Sicht vieler Genossen muss sich die Partei nicht nur inhaltlich sondern auch personell neu aufstellen.

Stuttgart - Wenige Wochen nach der Landtagswahl schreiben die Genossen eifrig Briefe: Der Landeschef und gescheiterte Spitzenkandidat der SPD, Nils Schmid, appelliert in einem offenen Brief an die rund 35 000 Mitglieder, sich am Erneuerungsprozess für die am 13. März abgestürzte Partei zu beteiligen. Man müsse über die strukturelle und inhaltliche Ausrichtung diskutieren. Dass an der Basis mehr als das verlangt wird, zeigen wiederum Briefe von Kommunalpolitikern der Partei. Für einen auch personellen Neuanfang plädieren die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) sowie mehrere SPD-Bürgermeister in Schreiben.

 

Keine neue Spitzenkandidatur Schmids

Aus Sicht der SGK unter Leitung von Hermann-Josef Pelgrim, dem Oberbürgermeister von Schwäbisch Hall, und seinem Vize, dem scheidenden Innenminister Reinhold Gall, ist das Ergebnis von 12,7 Prozent eine herbe Niederlage, nach der man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Es müsse eine personelle und organisatorische Erneuerung an der Spitze der Partei geben. Die Bürgermeister verlangen von Schmid, sein Amt als Landeschef niederzulegen sowie „alle Gedanken auf eine neuerliche Spitzenkandidatur aufzugeben - und das öffentlich kundzutun“.

Warum kommen die Rücktrittsforderungen aus den Reihen der Kommunalpolitiker? „Wir kriegen mit, wie es an der Basis brodelt„, erklärt Walter Heiler, Oberbürgermeister von Waghäusel und Unterzeichner der Rücktrittsforderung der fünf SPD-Kommunalpolitiker. Die ohnehin schon katastrophale Stimmung nach dem Wahldesaster werde ohne einen Neubeginn nur noch schlechter.

Schmid wird persönlich verantwortlich gemacht

Heiler hält Schmid für einen „blitzgescheiten Kerl“ mit hoher Fachkompetenz. Aber er sei „kein Frontmann, der die Menschen in seinen Bann zieht und begeistert“, heißt es in dem Brief. „Diese Eigenschaft fehlt Dir - und das kann man auch nicht lernen“, konstatiert unter anderem der Esslinger Finanzbürgermeister und Schmids ehemaliger Finanzstaatssekretär Ingo Rust im Brief an den „lieben Nils“.

Deshalb hänge das „unglaublich schlechte Abschneiden bei den letzten beiden Landtagswahlen auch mit Dir als Spitzenkandidat zusammen“, schreiben die Kommunalen Schmid ins Stammbuch. Trete er nicht zurück, wie es am Tag nach der Wahl auch schon aus der Landtagsfraktion heraus gefordert worden war, gebe es keinen Neubeginn. Das Schreiben der Bürgermeister wurde erst vergangene Woche abgeschickt, um dem Landeschef nach der Wahl genug Zeit für einen selbstbestimmten Rückzug zu geben. Heiler: „Wir haben gedacht, da käme noch was.“

Politologe: Schmid fehlt es an Charisma

Der Mannheimer Politologe Marc Debus teilt die Einschätzung Heilers. Schmid sei wenig charismatisch und habe - anders als Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) - keine sympathiegeleiteten Wähler für seine Partei gewinnen können. Nach Überzeugung von Debus wäre die personelle Erneuerung ein Signal des Aufbruchs an die potenzielle Wählerschaft. „Sonst kommt die Botschaft nicht an, dass die SPD aus der Wahlniederlage gelernt hat und Konsequenzen zieht - das ist wie beim Trainerwechsel.“

Der Versuch, Schmid öffentlich zu demontieren, stößt manchem in der Partei sauer auf. Landes-Vize Leni Breymeier sagt: „Das gehört intern debattiert.“ Jetzt würden sich andere Genossen reflexartig zu Treuebekenntnissen für Schmid aufgerufen fühlen. An diesem Ping-Pong-Spiel beteilige sie sich nicht. Für den Erneuerungsprozess sei schließlich ein Weg vereinbart.

Nichts mehr von oben bestimmen

Diesen beschreibt Nils in seinem Brief an die Mitglieder. Nach einer Präsidiumssitzung an diesem Freitag ist eine Telefonkonferenz am 12. April, am 16. April eine Sitzung des erweiterten Landesvorstandes und am 30. April eine Basiskonferenz zumindest aller Funktionsträger der SPD im Land geplant. Am 23. Juli ist der nächste Landesparteitag anberaumt. Überdies bieten Schmid und die gleichfalls umstrittene Generalsekretärin Katja Mast an, in den Kreisverbänden das Wahlergebnis auszuwerten.

Für die SPD-Linke Hilde Mattheis ist das die „richtige Schrittfolge“. Von nun an müsse die Mitgliedschaft verstärkt einbezogen werden. „Nichts darf mehr von oben nach unten bestimmt werden“, sagt die Ulmer Bundestagsabgeordnete. Sie sei gegen schnelle personelle Veränderungen, weil dann inhaltliche Fragen zu kurz kämen. Aber auch die Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21 ist sicher: Der Aufbruch der Partei müsse sich am Ende auch personell dokumentieren.