Die Klagen von Mietern über den Bau- und Wohnungsverein (BWV) in Stuttgart mehren sich. Ein Vorwurf ist, dass ein Gebäudeabriss bekannt geben worden sei und gleichzeitig die Mieten erhöhen wurden. Der BWV widerspricht dem, es gebe keine Abrisspläne.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Der Bau- und Wohnungsverein (BWV) Stuttgart gerät erneut in die Kritik seiner Mieter. Der Verein, der vor allem im Stuttgarter Osten aktiv ist und alleine dort mehr als 2200 Wohnungen verwaltet, hat an der Achalmstraße die Mieten erhöht, nachdem zuvor verkündet worden sein soll, dass das Gebäude demnächst abgerissen werden könnte. So hätten es Mitarbeiter des BWV mündlich kommuniziert – der Verein widerspricht. Bei manchen Mietern stößt das Verhalten des Vereins dennoch auf großes Unverständnis – manche fragen sich, ob das noch etwas mit sozialem Wohnungsbau zu tun hat. Andere Mieter, zum Beispiel in Ostheim, schildern Mieterhöhungen bei gleichzeitigem Leerstand. Was ist los beim BWV?

 

„Die Angst, etwas zu sagen, überwiegt bei uns“, sagt eine Mieterin. Als sie die Zustände kritisierte, habe es geheißen: Wenn es ihr nicht passt, könne sie ausziehen. Eine andere berichtet einerseits von Baustellen und andererseits von keiner Kulanz bei der Hausordnung. Kurzweilige Unordnung im Treppenhaus habe unmittelbar zu einer Abmahnung geführt. Das Haus, das sie bewohnt, sei sehr sanierungsbedürftig. „Ich habe das Gefühl, dass nur nach einem Anlass gesucht wird, dass wir ausziehen müssen“, sagt die Mieterin. Keiner der Mieter, die sich unserer Zeitung gegenüber geäußert haben, will mit Namen genannt werden.

Der BWV-Vorstand Jürgen Oelschläger äußert sich zu der Kritik wie folgt: Die Wohnungsmieten in der Achalmstraße ist zum 1. Februar 2020 im Rahmen einer allgemeinen Mietanpassung in Teilen unseres Bestands von insgesamt rund 4700 Wohnungen angehoben.“ Und betont: „Es gibt aktuell beim Bau- und Wohnungsverein keine Gebäudeabrisse in Planung oder Umsetzung, das gilt auch für die Achalmstraße.“ In der Vergangenheit habe es im Zuge einzelner Projektmaßnahmen auch Abrisse von alten Gebäuden gegeben, „aber diese standen nie in Zusammenhang mit Mieterhöhungen.“

BWV will auf Versöhnungskurs gehen

Beim Thema Wohnungsleerstand argumentiert Ölschläger so: „In Stuttgart Ost haben wir einen sehr heterogenen Wohnungsbestand.“ Das mache es oft schwierig, zu entscheiden, ob Einzelsanierungen oder ganze Haussanierungen die bessere Lösung seien. „Außerdem ist es leider so, dass Handwerker nicht immer zur Verfügung stehen und sich dadurch auch mal was verzögert.“

Es ist nicht das erste Mal, dass der BWV in der Kritik steht. Vor wenigen Wochen hatte sich eine Mieterinitiative gegründet. Gut 30 Mieter, die die aktuellen Mieterhöhungen für unangemessen halten, kamen zum Gründungstreffen. Auch hier wurde der Kommunikationsstil des BWV kritisiert, manche Mieter fühlten sich gar erpresst, die Mieterhöhungen unwidersprochen runterzuschlucken. Falls das nicht passiere, sei gedroht worden, andere Saiten aufzuziehen.

Geschichten wie diese kennt Filippo Capezzone zuhauf. Es war der linke Kommunalpolitiker, der die Mieterinitiative ins Leben gerufen hat. „Die Argumentation des Bau- und Wohnungsvereins, warum die Mieten an den Mietspiegel angepasst werden müssten, geht für mich an der Realität vorbei“, sagt er. Es würde insgesamt einfach nicht genug investiert und modernisiert, um das rechtzufertigen. „Es ist verständlich, dass die Mieter kein Verständnis für die Mieterhöhungen haben“, sagt Capezzone.

Jürgen Oelschläger vom BWV will mit den unzufriedenen Mietern auf Versöhnungskurs gehen. „Ich will betonen, dass wir alle unter dem Druck des Wohnungsmarkts leiden“, sagt er. Mieter gegen Vermieter sei hier nicht die Lösung. Klar sei: Ohne gelegentliche Mieterhöhungen könne der BWV das Versprechen, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, in zehn Jahren nicht mehr garantieren. Es ist ein komplexes Spannungsfeld zwischen aktuellen und zukünftigen Mieterinteressen.

Die letzte Bastion bezahlbaren Wohnens

Entwicklungen wie die Gründung einer Mieterinitiative versteht Ölschläger als Ansporn, die Kommunikation mit den Mietern zu verbessern. „Wenn es irgendwelche Bedenken oder Gerüchte gibt, wie es mit einem Objekt weitergeht, sollen sich die Mieter gerne an uns wenden und wir bemühen uns um Transparenz“, sagt er. Unabhängig davon hätten viele Mieter, die vor der Veranstaltung der Mieterinitiative vielleicht noch unsicher waren, ob sie Widerspruch gegen aktuelle Mieterhöhungen einlegen wollten, diesen letztlich zugestimmt.

Die Wohnungsentwicklung im Stuttgarter Osten sorgt auch jenseits des Wohnungsvereins für Unmut. Das beobachtet auch der Mieterverein Stuttgart. Rolf Gaßmann, der Vorsitzende des Mietervereins, nannte den Stuttgarter Osten neulich den „neuen Westen“. Stuttgart-West ist der Stadtbezirk mit der höchsten Akademikerdichte und dementsprechend teuer.

Die Gentrifizierung schreitet nun auch in dem traditionell günstigeren Stadtbezirk voran. Falls der Osten als Bastion des bezahlbaren Wohnens fällt, wäre der Norden unterhalb des Killesbergs wohl der letzte Fleck in den Innenstadtbezirken für geringe Einkommen. Und so schön wie in Stuttgart-Ost, da sind sich zumindest viele Mieter des BWV einig, ist es dort bei weitem nicht.