Vor 500 Jahren begann mit dem Gottesurteil des Gaispeters der Aufstand des Armen Konrads. Aber die Bauern wurden betrogen, die Anführer schließlich hingerichtet. Ganz vergebens war die erste Revolution Württembergs dennoch nicht.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Beutelsbach - Er ist ein Held, und doch kennt ihn fast keiner mehr. Peter Gais, den alle nur den Gaispeter nannten, ist am 2. Mai 1514 aus dem Schatten der Geschichte getreten und entfachte über Nacht einen revolutionären Flächenbrand in Württemberg. Man weiß zu wenig über Gais, um beurteilen zu können, ob ihn pure Not und Verzweiflung trieben, ob die Wut auf die Großkopferten zu groß geworden war oder ob er schon immer zu aufrührerischen Reden neigte. Mutig war er jedenfalls: Peter Gais, ein Tagelöhner aus Beutelsbach im Remstal, der in einer einfachen Hütte gelebt haben soll, machte sich auf, dem Herzog die Stirn zu bieten.

 

So kann es gewesen sein: der Gaispeter stürmt an jenem Tag in die „Metzge“ von Beutelsbach und greift sich die neuen Gewichte, die Herzog Ulrich eingeführt hat. Tumult entsteht, der Metzger schreit, aber Gais rennt mit den Gewichten hinaus zur Rems. Immer mehr Volk schließt sich ihm an. Denn alle sind wütend auf den Herzog, der im nahen Stuttgart in obszönem Luxus lebt und nun eine neue Steuer eingeführt hat, um seine gigantischen Schulden zu verringern: Die Gewichte werden um 30 Prozent leichter gemacht – für dasselbe Geld erhält der arme Bauer nur noch 700 Gramm Fleisch statt bisher ein Kilo.

„Dabei stehen die Bauern, Handwerker, Ackerbürger und Tagelöhner nach mehreren Missernten sowieso mit dem Rücken zur Wand“, sagt der Historiker Andreas Schmauder, vermutlich der beste Kenner des Armen Konrads. Peter Gais wirft die Gewichte unter dem Johlen der Menge in die Rems und ruft: „Wenn der Herzog recht hat, schwimmen die Gewichte oben. Wenn sie aber untergehen, haben wir recht.“

Ob es dieses Gottesurteil mit vorhersehbarem Ausgang wirklich gegeben hat, weiß niemand – erst 60 Jahre später taucht die Geschichte erstmals in einem Bericht auf. Auf jeden Fall geht der Gaispeter noch in dieser Nacht hinauf auf den nahen Kappelberg und läutet dort, gegen den heftigen Widerstand des Mesners, Sturm in der Nikolauskapelle der Burgruine. Alle im Remstal hören es. Der Aufstand beginnt. „Ohne Gais wäre der Arme Konrad nicht ins Rollen gekommen“, sagt Bernd Breyvogel, der Stadtarchivar von Weinstadt, während er auf eine Mauer der Ruine steigt und weit ins Remstal schaut.

Gais wird zum großen Agitator

Peter Gais muss ein begnadeter Redner sein, der die aufgewühlten Herzen der Bauern erreicht. In den folgenden Wochen wird er nicht zu einem der Anführer, sondern zum großen Agitator und Kommunikator, der von Ort zu Ort geht, auf den Marktplätzen die Menschen gewinnt und die Bande zwischen den einzelnen Haufen im Ermstal und auf dem Engelberg aufrechterhält. Was geht vor im Gais-peter? Sicher hat er Angst um seine Frau und seine Kinder, denn mit dem jähzornigen Herzog ist nicht zu spaßen. Der spätere Chronist Gabelkofer beurteilt Peter Gais mit den Augen seines Herrschers: Gais sei „ein unnüzer, verdorbner, übelhausender Tropf, der nichts weder 4 kleine ohnerzogne Kinder, aber darneben ein übelredende, böse, ufrürische Zungen im Maul ghabt“. Gais weiß, wie gefährlich es werden kann. Dennoch bleibt er der Sache treu.

Am 4. Mai zieht eine aufgebrachte Menge von 400 Menschen nach Schorndorf. Wie schon so oft, aber bislang immer vergebens, bringen sie ihre Forderungen vor, jetzt aber mit dem Nachdruck erhobener Speere und Mistgabeln. Sie sind wütend, dass sie immer neue Frondienste übernehmen sollen. Sie dürfen kein Bauholz mehr aus dem Wald holen und ihre Schweine nicht mehr zur Eichelmast in den Wald treiben. Und besonders bringen die Wildschäden die Bauern in Rage – in manchen Orten verbietet der Vogt sogar, dass man Wildschweine oder Hirsche aus den Feldern vertreiben darf. Manche Ernte fällt deshalb komplett aus. Die Bauern hungern.

In den Beschwerdebriefen sprechen Menschen mit Selbstbewusstsein. Die Bauern verlassen erstmals in der Geschichte Württembergs ihre Rolle des schweigenden Untertans. Sie fügen sich nicht mehr in die angeblich gottgewollte Weltordnung. Selbst am Ende des Aufstandes, als man die Anführer unter Folter zu Geständnissen zwingt, blitzt dieses Selbstbewusstsein auf: „Wir wollten der Obrigkeit nit mehr haben“, gibt einer der Bauern dem Schreiber zu Protokoll, der direkt neben der Streckbank sitzt.

Vielleicht fasziniert uns das so an diesem Aufstand: dass der unterdrückte und chancenlose Untertan sich dennoch erhebt und es einen Sommer lang schafft, Württemberg in den Grundfesten zu erschüttern. Deshalb vielleicht wird jetzt das Jubiläum des Armen Konrads so ausgiebig gefeiert, mit Ausstellungen, Festen, Vorträgen. Auch Andreas Schmauder hält die große Klaviatur für angebracht: „In Württemberg waren es die Bürger von da an gewohnt mitzusprechen.“ Vom Armen Konrad zum Widerstand gegen Stuttgart 21 führt für manche eine direkte Linie.

Ein Geheimbund der Bauern

Überall im Land erheben sich nun im Mai 1514 die Bauern. Schmauder, der heute das Museum im Humpis-Quartier in Ravensburg leitet, hat für seine Dissertation alle Akten durchgeackert. In 32 von 43 Ämtern Württembergs lassen sich Proteste nachweisen, zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung sind im Armen Konrad organisiert, der überwiegende Rest – mit Ausnahme der Ehrbarkeit natürlich – sympathisiert mit den Aufständlern.

Der Konrad, das ist ein Geheimbund. Bei den Treffen zieht ein Anführer einen Kreis auf dem Tisch oder im Straßenstaub, und wer mit seinem Messer oder seiner Gabel hineinsticht, schwört dem Bund Treue. Konspirativ sind die Versammlungen, die in bestimmten Häusern stattfinden, etwa beim Anführer Caspar Pregatzer in Schorndorf. Dort richtet man, nach herzoglichem Vorbild, eine Kanzlei ein, in der Briefe an die anderen Haufen oder an die Obrigkeit verfasst werden.

Herzog Ulrich ist ein Bauchmensch, emotional und nachtragend, aber er ist nicht dumm. Er spürt die Bedrohung und reitet immer wieder persönlich hinaus in die Orte und Städte und versucht, die dortigen Bauern zu beschwichtigen. Doch das nutzt nur wenig. Also entscheidet er eine gute Woche nach der Wasserprobe des Gaispeters, die neuen Gewichte wieder zurückzunehmen: Die Bauern haben einen Sieg errungen.

Aber das genügt ihnen nicht mehr. Überall im Land läuft die Kunde herum: Kommt zur Kirchweih nach Untertürkheim, am 28. Mai, da wollen wir den Oberen kräftig Bescheid stoßen. Ulrich sieht sich so genötigt, ein zweites Mal Zugeständnisse zu machen. Er verspricht, einen Landtag anzusetzen, auf dem der Herzog, die Ehrbarkeit, die Bürger und Bauern über die Forderungen beraten.

Die Rebellen werden betrogen

Doch dann geschieht das Unfassbare. Die Bauern werden schlichtweg betrogen: Denn die städtische Oberschicht lehnt es rundheraus ab, sich mit dem Gesindel an einen Tisch zu setzen. So findet in Tübingen nur der Landtag der Ehrbarkeit statt. Anschließend, so verspricht es Herzog Ulrich, komme er zum Bauernlandtag nach Stuttgart. Dort warten die Rebellen in den Tavernen mit wachsendem Unmut auf den Herrscher – und sie warten vergebens, wie sich am 13. Juli herausstellt: Herzog Ulrich sagt den Stuttgarter Landtag ab. Man werde die Beschwerden der Bauern in den Ämtern verhandeln, lässt er mitteilen. Am 8. Juni 1514 verkünden Herzog Ulrich und die Ehrbarkeit den Tübinger Vertrag. Ein eindeutiger Verrat an den Bauern.

Man wundert sich eigentlich, wieso der Württemberger Friedrich Schiller nie ein Drama über den Aufstand des Armen Konrads geschrieben hat, steckt doch in der Geschichte alles, was er für seine Theaterstoffe liebte: ein tyrannischer Herrscher, stolze Rebellen, Freiheitsliebe, Tragik und Verrat – immerhin hat der Hechinger Autor Friedrich Wolf dies 1924 übernommen, das Theater Lindenhof zeigt das Stück vom 16. Mai an in Fellbach.

Der Tübinger Vertrag vom Juni 1514 besitzt ein Janusgesicht. Auf der einen Seite billigt der Herzog der Ehrbarkeit zwar weit gehende Mitspracherechte zu. Insofern ist der Vertrag, der bis zu Napoleons Zeiten, also 300 Jahre lang, Gültigkeit besaß, durchaus von epochemachender Bedeutung. Auf der anderen Seite bleiben die Bauern nicht nur ausgesperrt, sondern sollen mit einer Abgabe den Preis bezahlen. Die reichen Bürger profitieren letztlich noch vom Aufruhr der Bauern.

Eine Welle der Empörung brandet nun durch Württemberg. Und der Gaispeter ist wieder mittendrin. Er versucht in vielen Städten und Orten, die Bewohner davon zu überzeugen, dass sie dem Tübinger Vertrag „nit schwören noch das uffgelegt gelt geben“ – Herzog Ulrich reist bereits durch die Ämter und nimmt die Huldigung entgegen.

Und tatsächlich, draußen im Land bröckelt die Front. Etwa tausend Männer noch aus vielen verschiedenen Orten ziehen aber erneut auf den Kappelberg, wo knapp drei Monate zuvor alles seinen Anfang genommen hat. Es herrscht eine drangvolle Enge dort oben. Aber die Städte aus der Umgebung liefern Lebensmittel, ein gewisser Wagenhans versucht, in Straßburg und Nördlingen Spieße und Büchsen zu kaufen, und Reinhard Gaisslin, der wortgewaltige Pfarrer von Markgröningen und ideologische Kopf des Armen Konrads, bringt geistige Nahrung. Das Bauernheer sei unbesiegbar, verkündet er: „Wan das gantz Rych dafur käme, sie schlügen sie nit.“

Das tragische Ende der Aufständischen

Wirklich? Bei den Anführern und dem Fußvolk ist die Zuversicht nicht mehr so groß. Als Herzog Ulrich die militärische Entscheidung sucht, löst sich die Gemeinschaft binnen weniger Stunden auf, ohne dass es zu einem einzigen Schwerthieb gekommen ist. „Der letzte Willen, direkt gegen den Landesherren vorzugehen, fehlte“, sagt Bernd Breyvogel: „Und die Bauern haben erkannt, dass sie keine Chance gehabt hätten.“ Wie ein Spuk löst sich der Arme Konrad auf. Die Niederlage ist perfekt.

Ist sie das? Andreas Schmauder beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein. Denn im Tübinger Vertrag sei festgeschrieben worden, dass jeder Bürger seinen Wohnort frei wählen könne und jeder Anspruch auf ein ordentliches Gerichtsverfahren habe – davon hätten auch die Bauern profitiert. Zudem habe der Herzog Wort gehalten und nach der Absage des Bauernlandtages Vertreter in alle Ämter geschickt. So sind viele „Entscheidbriefe“ ausgestellt worden: Die Bauern dürfen in manchen Orten künftig die Wildschweine auf den Feldern sogar schießen, manche besonders korrupte Beamte werden abgesetzt. „Das haben die Bauern dem Herzog abgerungen“, sagt Schmauder.

Dies alles erleben die Anführer des Armen Konrads nicht mehr. Vom 7. bis zum 9. August setzt Herzog Ulrich den blutigen Schlussakkord unter den Aufstand: In Schorndorf lässt er zehn, in Stuttgart sechs Männer hinrichten. Sie werden enthauptet, mancher Kopf wird zur Abschreckung auf einen Spieß gesteckt und ausgestellt. In Schorndorf auf dem Wasen müssen 1700 Beteiligte des Aufstands Abbitte tun. Manchen werden die württembergischen Hirschstangen mit glühendem Eisen auf die Stirn gebrannt, das Haus des Caspar Pregatzer in Schorndorf wird zur Strafe bis auf die Grundmauern abgebrochen.

Peter Gais kann ins Ausland fliehen. Ein Jahr später wird er aber in der Herrschaft Limpurg bei Schwäbisch Hall gefasst und ausgeliefert. Auch er bezahlt seinen Einsatz für mehr Gerechtigkeit mit dem Leben. In seinem Heimatort Beutelsbach haben sie dem weithin unbekannten Helden, dem Tagelöhner Peter Gais, ein Denkmal gesetzt. Mitten im Ort, direkt am Rathaus.