Bauernhaus von 1435 Was passiert mit dem ältesten Gebäude Böblingens?

Die Poststraße 18 hat fast 600 Jahre Böblingen erlebt. Foto: Stefanie Schlecht

Das Haus in der Böblinger Poststraße 18 wurde 1435 erbaut und steht unter Denkmalschutz. Dennoch wird demnächst ein Teil abgebrochen.

Großzügiges landwirtschaftliches Anwesen mit Scheune und Seezugang, zentrale Lage und doch am Rande der Stadt: So ähnlich hätte die Beschreibung dieses Gebäudes sich anhören können, wenn es vor 600 Jahren bereits Immobilienmakler gegeben hätte. Als Jakob Kreyß im Jahr 1435 seinen Hof errichten ließ, zählte der nicht nur zu den größeren Bauernhäusern in Böblingen. Zu dieser Zeit gab es auch nur wenige Grundstücke in der Stadt, die das Privileg einer Uferlage vorweisen konnten. Das Haus grenzte direkt an den Unteren See und befand sich der Stadt vorgelagert außerhalb der damalige Stadtmauern.

 

Die Decken sind marode

Heute hat Böblingen sein ältestes Wohngebäude längst gefressen. Das Haus liegt mittlerweile an der lärmigen Poststraße, auf der einen Seite ist eine Diskothek angeklebt, die mächtige Scheune auf der anderen Seite ist längst abgerissen. Der Zugang zum See ist durch die Uferstraße getrennt, der freie Blick aufs Wasser wird von der Kongresshalle getrübt, die dort vor über 50 Jahren wie ein mächtiges Schiff festgemacht hat.

Trotz all der Angriffe der Moderne, die über das Gebäude niedergeprasselt sind, hat das Gemäuer bis heute den Widrigkeiten Stand gehalten. Trotzig steht es mit seinem leicht geknickten Vordergiebel an der Straße, vor einigen Monaten hat es noch einer vierköpfigen Familie als Wohnraum gedient – bis sich herausstellte, dass das keine gute Idee ist. Eine Untersuchung hat ergeben: Der Senior unter den Häusern der Stadt leidet unter erheblichen Schwächen. Die Gefahr, dass die Decken der Traglast nicht mehr standhalten, wird als groß eingestuft. Betreten ist mittlerweile verboten.

Wer die Atmosphäre von 600 Jahren Böblingen atmen möchte, muss sich daher mit dem Besuch des Erdgeschosses begnügen – oder den Erzählungen von Thomas Kirschner: Der Mann vom Rathaus bekommt leuchtende Augen, wenn er von dieser Immobile berichtet, die er im Amt für Gebäudemanagement mitverantwortet. Denn das Haus bietet Einblick in eine Zeit, als Böblingen sich zu einer Stadt entwickelte und ist eines der wenigen erhaltenen Bauernhäuser vor Ort. „So ein Gebäude hat man nicht jeden Tag“, sagt Thomas Kirschner und berichtet, dass der Gang durch die Geschosse einer Reise durch die Epochen gleiche – von der frühen Neuzeit bis in die jüngste Vergangenheit: „Im Obergeschoss“, erzählt er, „gibt es noch eine Tür aus der Jugendstilzeit“.

Der Stall zeigt viele hundert Jahre Hufkontakte

Zwei Etagen tiefer trifft man eher auf die Relikte von Ackerbau- und Viehzucht. Im Stall ist es dunkel und niedrig, die Deckenbalken weisen eine beträchtliche Biegung auf, die Steine des Pflasterbelags deuten auf viele hundert Jahre Hufkontakt. Krumme Wände und Türstürze, die sich Richtung See neigen, beweisen, dass dieses Gemäuer ein Sanierungsfall ist. Vor gut zehn Jahren wollte man bereits kurzen Prozess mit dem steinernen Zeitzeugen machen: Der Abriss stand auf dem Programm.

Mittlerweile hat sich jedoch das Denkmalamt eingeschaltet. Die Behörde hat das Haus schon vor längerer Zeit unter ihren Schutz gestellt. Kürzlich waren Experten vom zuständigen Landesamt zu Besuch und haben das Gemäuer inspiziert. Vor allem den Wänden hat die Aufmerksamkeit der Fachleute gegolten. Welche müssen erhalten werden, welche können weichen? Für eine künftige Nutzung und die Zukunft des Gebäudes ist dies wesentlich.

Was passiert mit dem Gebäude?

„Wenn klar ist, was wie saniert werden muss, können wir uns darüber unterhalten, was wir mit dem Gebäude machen“, erläutert Baubürgermeisterin Christine Kraayvanger. Sie verdeutlicht, dass es in der Stadtverwaltung eine klare Haltung zum Umgang mit diesem historischen Gemäuer gibt. „Wenn wir den Denkmalschutz ernst nehmen“, sagt sie, „dann bedeutet dies, dass wir das Haus erhalten.“ Dieses Kulturdenkmal für wirtschaftlich nicht sanierungsfähig zu erklären und damit den Denkmalschutz von einem Abriss zu überzeugen, davon hält sie nichts. Christine Kraayvanger ist überzeugt davon, dass dieser historische Zeitzeuge mit seiner Lage am Rande der Altstadt eine wichtige Rolle spielen wird bei den Überlegungen zur Weiterentwicklung des Areals rund um den Schlossberg. Schon seit Jahren wird gehirnt, wie dieses Quartier um den historischen Stadtkern attraktiver werden kann.

Ob die Stadt dann die Rolle der Denkmalretterin übernehmen wird oder sie diese Rolle einem privaten Investor überlässt, ist derzeit noch nicht klar. „Das ist Sache des Gemeinderates“, erläutert Kraayvanger – und Sache des Marktes. Ob sich jemand finden wird, der Böblingens älteste Wohnstube wieder nutzbar macht, wird auch vom Umfeld und den Nutzungsmöglichkeiten abhängen.

Zunächst einmal müssen jedoch die Abbrucharbeiter anrücken. Die Denkmalschützer haben grünes Licht für den Abriss eines einsturzgefährdeten Anbaus gegeben, der in späteren Jahren Richtung See an das Haus angefügt worden ist. Im Herbst wird das Gebäude nun von diesem unhistorischen Ballast befreit – Stück für Stück von Hand. So behutsam wie es sich für einen Gebäude-Oldie eben gehört.

Die ältesten Häuser Böblingens

Rare Zeitzeugen
 Gebäude, die an die frühe Zeit Böblingens erinnern, sind selten. Der Bombennacht 1943, dem Bauboom und den Modernisierungsaktivitäten in der Nachkriegszeit sind die meisten historischen Gebäude zum Opfer gefallen. Neben dem ältesten Wohngebäude in der Poststraße 18 zählen die Untere Gasse 7/9 und der Marktplatz 31 zu den ältesten steinernen Zeitzeugen. Im Wohnhaus in der Unteren Gasse aus dem Jahr 1495 ist noch ein Teil der Stadtmauer erhalten. Das Baujahr des Gebäudes am Marktplatz wird ebenfalls auf Ende des 15. Jahrhunderts geschätzt. Es beherbergte einmal das Oberamt, später das Landratsamt und die Polizei. Alle drei Gebäude befinden sich mittlerweile im Besitz der Stadt.

Poststraße 18
 Diese Gebäude zählte zu den großen Bauernhäusern der Stadt und zeugt von einem gewissen Wohlhaben seines Erbauers Jakob Kreyß. Genutzt wurde es bis nach dem Krieg als landwirtschaftliches Anwesen und teilweise als Kohlenhandlung. Seit 1889 war es im Besitz der Familie Erbele. Deren Nachfahren erbauten nach einem Grundstückstausch mit der Stadt das Gebäude am Elbenplatz, in dem sich das Café Frechdax befindet. 

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