Schreibt hier einer, der die rasch wechselnden künstlerischen Avantgarde-Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts mehr als infrage stellt? Schreibt hier jener Architekt, der mit dem Fagus-Werk 1911 in Alfeld die Industriearchitektur neu definiert und die Enge der Ausbildungswege attackiert? Eher traditionell denn revolutionär klingen die Sätze. Gropius aber sieht in der angestrebten neuen Einheit der Künste ein Versprechen. Sind nicht gerade die Ideen der Avantgarde im Grauen des Ersten Weltkriegs zerrissen und vernichtet worden? Braucht es nicht neue Ideale für eine nun zu erhoffende neue Zeit?
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Als er 1919 zum Direktor der „Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für Bildende Künste“ in Weimar berufen wird, sieht Gropius seine Chance. In der Wortwahl abgeleitet von den mittelalterlichen Bauhütten, verwandelt er die Kunsthochschule in das „Staatliche Bauhaus“. Ein Künstler liefert Gropius von 1920 an die buchstäblichen Sinnbilder seines Bauhaus-Ideals: Aus Stuttgart kommt Oskar Schlemmer nach Weimar – tief überzeugt, mit dem Thema „Figur im Raum“ zugleich das Menschenbild einer neuen Dekade prägen zu können.
Frauen werden im Bauhaus benachteiligt
So ist das Bauhaus von Beginn an eine Bühne der Widersprüche. Mehr junge Frauen als junge Männer nehmen 1919 und 1920 das Studium auf, doch die Hoffnung, in der Gleichrangigkeit von Kunst und Handwerk zugleich die Gleichrangigkeit von Männern und Frauen im Studienbetrieb zu erreichen, zerplatzt schnell. Einzig über die Weberei führt für weibliche Studierende offiziell bald der Bauhaus-Weg, und allein Gunta Stölzl reiht sich 1927 in die Phalanx der Bauhaus-„Meister“ ein.
Da jedoch ist Weimar schon Geschichte. Geldsorgen und nationalistische Attacken provozieren einen Standortwechsel. Gropius etabliert das Bauhaus 1925 in Dessau – und sieht seine Ideen im Zeitstrom vielfach gespiegelt. Vor allem der Deutsche Werkbund forciert die Frage nach Arbeits- und Wohnkonzepten.
Nationalsozialisten schließen das Bauhaus
„Neues Bauen“ heißt das Schlagwort der 1920er Jahre. Gesucht werden vor allem schnelle und kostengünstige Antworten auf die Wohnungsnot. Für die Werkbundausstellung „Die Wohnung“ 1927 in Stuttgart entsteht, koordiniert von Ludwig Mies van der Rohe, in 21 Wochen eine Mustersiedlung mit 21 Häusern – darunter Gebäude von Gropius, Scharoun und Le Corbusier. Das international einmalige Ensemble der Weißenhofsiedlung rückt durch die Le-Corbusier-Häuser 2017 auf die Liste des Unesco-Weltkulturerbes. Doch die höchste Dichte an Gebäuden, die den Bauhaus-Ideen verpflichtet sind, findet sich als Folge von Flucht und Vertreibung aus Hitlerdeutschland in Tel Aviv. Den radikalsten Formfindungen begegnet man in Frankreich, in Nigeria oder in Brasilien.
Mit der Schließung des 1932 von Dessau nach Berlin umgezogenen Bauhauses durch die Nationalsozialisten endet das Kapitel Bauhaus in Deutschland. Es beginnt – verbunden vor allem mit ehemaligen Schülerinnen und Schülern – das Kapitel Bauhaus international.
Die Wohnmaschine wird schick
Die kleinen Maßstäbe der 1930er Jahre lässt man in den 1950er Jahren bald hinter sich. Der „Béton brut“, der „rohe“ Sichtbeton wird stilbildend, die Idee der Wohnmaschine bekommt Konjunktur – und provoziert doch nicht etwa die Lösung sozialer Probleme, sondern verschärft sie. Aus dem „beton brut“ wird bald das Wort Brutalismus – verbunden mit einer anhaltend unscharfen Debatte.
Die Erinnerung an die Jahre in Weimar und Dessau aber verblasst nicht. Und noch einmal verknüpfen sich die Bauhaus-Fäden in Stuttgart zu einem Ganzen. Am 4. Mai 1968 wird im Württembergischen Kunstverein die Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ eröffnet.
Die Schau, bis 1971 weltweit an acht weiteren Stationen gezeigt, „gilt“, sagen die Kunstvereinsdirektoren Iris Dressler und Hans D. Christ, „bis heute als Schlüsselausstellung, die den Mythos Bauhaus und die Etablierung der berühmten Schule als Marke entscheidend geprägt hat: bis hin zu ihren vermeintlichen Insignien aus Dreieck, Kreis und Quadrat“.
Ein Heimwerkermarkt schützt den Namen Bauhaus
Von welchem Bauhaus und von welcher Erinnerung ist also die Rede, wenn nun am 16. Januar in Berlin die internationalen Feierlichkeiten zu 100 Jahre Bauhaus eröffnet werden?
Dressler und Christ machen aus dieser Frage 2018 für den Württembergischen Kunstverein eine viel beachtete Themenausstellung – „50 Jahre nach ,50 Jahre Bauhaus‘“ – und hoffen nun, „dass das Bauhaus jenseits der Fetischisierung von Breuer-Stühlen und Wagenfeld-Lampen kritisch und aus verschiedenen, auch gegenläufigen Perspektiven verhandelt wird“.
Dazu gehört auch dies: „Ironischerweise“, sagt Dirk Boll, Präsident des Londoner Auktionshauses Christie’s, „wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als das Bauhaus und seine Leistungen in Vergessenheit geraten waren, der Name für eine europaweite Kette von Heimwerker- und Baumärkten geschützt.“
Und „diese“, so Boll weiter, „wurden sogar gegen das Künstlerkollektiv ,My Bauhaus is better than yours‘ verteidigt, das mit publikumswirksamen Auftritten auf die Frage nach dem Schutz geistigen Eigentums und besonders der kulturellen ,Marke‘ Bauhaus und deren kommerzielle Ausbeutung hinwies.“