Hoch verzinste Altverträge kosten das Institut einen zweistelligen Millionenbetrag. Das Unternehmen sieht durch die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank die Preispolitik ausgehebelt.

Schwäbisch Hall - Die Bausparkasse Schwäbisch Hall kämpft weiter gegen hoch verzinste Altverträge und rechtfertigt ihr Vorgehen mit einer Art Notstand. „Der Zins ist nicht mehr das Ergebnis von Angebot und Nachfrage, sondern ist faktisch ein von der Europäischen Zentralbank (EZB) festgelegter Preis , der die Marktmechanismen aushebelt“, sagte Vorstandschef Reinhard Klein. Die Bausparkasse meint, sich hoch verzinste Altverträge, bei denen Kunden seit mehr als zehn Jahren auf das ihnen zustehende Bauspardarlehen verzichten, nicht mehr leisten zu können. Das betrifft bei Schwäbisch Hall nach dem gegenwärtigen Stand etwa 50 000 Verträge, die per Ende 2015 gekündigt wurden.

 

Klein rechnet so: Bei einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent und einer erwarteten Inflationsrate von 0,4 Prozent würde ein nach seinen Worten fairer Marktpreis für eine zehnjährige Bundesanleihe bei mindestens zwei Prozent liegen. Ein Niveau, so sagt Klein, mit dem Schwäbisch Hall gut leben könnte. Aufgrund der EZB-Politik liegt der Zins gegenwärtig aber bei 0,5 Prozent – nach einem Rekordtief von 0,07 Prozent. Darunter leidet die gesamte Branche, die deshalb geschlossen gegen Altsparer vorgeht.

Klein hat für das eigene Haus recherchieren lassen: Der Durchschnittszins bei den Einlagen beträgt 1,6 Prozent. 1,5 Prozent der insgesamt 8,5 Millionen Verträge bei der Bausparkasse des Genossenschaftssektors sind jedoch mit 3,5 Prozent oder mehr verzinst; das sind etwa 125 000 Verträge. „In der Gewinn- und Verlustrechnung macht das einen zweistelligen Millionenbetrag aus“, verdeutlicht Klein das Problem. Deshalb mag er nicht ausschließen, dass die Bausparkasse nach der Kündigungswelle zum Ende des Jahres 2015 weitere Maßnahmen ergreift. Darüber soll im zweiten Quartal entschieden werden.

Für strittige Fälle gibt es keine Rückstellungen

Rechtlich fühlt sich der Branchenprimus auf der sicheren Seite. Die große Mehrheit der Gerichte, die über die Zulässigkeit einer Kündigung zu entscheiden hatten, haben nach Kleins Worten den Bausparkassen ein Kündigungsrecht zugebilligt. „Branchenweit gab es bislang rund 140 Gerichtsurteile, 90 Prozent davon sind zu Gunsten der Bausparkassen ausgegangen.“ Das Genossenschaftsinstitut hat für strittige Fälle keine Rückstellungen gebildet.

Die ungewöhnliche Zinskonstellation führt dazu, dass gegenwärtig die meisten Bausparer auf ihr Darlehen verzichten – weil es zu teuer ist. Nach Angaben von Vorstandsmitglied Jürgen Gießler, zuständig für die Finanzen, nehmen nur 30 Prozent der Kunden mit einem zuteilungsreifen Vertrag das Darlehen in Anspruch.

Die Schwierigkeiten mit den Altverträgen sind kein Spiegelbild der Lage auf dem Bausparmarkt. Die niedrigen Zinsen – Schwäbisch Hall bietet Verträge mit einem Darlehenszins von 1,4 Prozent an – ziehen vielmehr neue Kunden an, die sich dieses historisch niedrige Niveau der Zinsen auch dauerhaft sichern wollen. Die 900 000 neuen Verträge, die im vorigen Jahr mit einem Volumen von brutto 35,0 Milliarden Euro geschlossen wurden, sind das zweitbeste Ergebnis in der Geschichte der Bausparkasse; eingelöst (das heißt, die Abschlussgebühr ist bereits bezahlt) wurden Verträge mit einer Bausparsumme von 31,6 Milliarden Euro. Auch im laufenden Jahr will die Bausparkasse – zum sechsten Mal in Folge – die Marke von 30 Milliarden Euro im Neugeschäft übertreffen. Mit einem Marktanteil von mehr als 30 Prozent ist das Institut mit deutlichem Abstand die Nummer eins in der Branche.

70 bis 80 Mitarbeiter müssen noch gehen

Trotz des zweistelligen Wachstums im Neugeschäft hat Schwäbisch Hall einen Gewinn vor Steuern von lediglich 341 (Vorjahr: 379) Millionen Euro verbucht. Zur Begründung verweist das Unternehmen auf die niedrigen Zinsen. Das Ergebnis wäre noch schlechter ausgefallen, wenn der Vorstand nicht gegengesteuert hätte. So wurde ein mehrjähriges Programm zur Senkung der Verwaltungskosten umgesetzt.

Hierdurch hat die Bausparkasse 45 Millionen Euro eingespart. Ziel ist ein Volumen von bis zu 80 Millionen Euro pro Jahr, das Klein bis Ende 2016 erreichen will. Zudem, so hieß es vor einem Jahr, sollen 200 bis 250 Stellen gestrichen werden. Nach Kleins Rechnung ist diese Marke noch nicht ganz erreicht; 70 bis 80 Arbeitsplätze müssten noch abgebaut werden, sagt der Chef.

Kommentar: Zweifel am Geschäftsmodell

Von Michael Heller

Das gute Neugeschäft der Institute hat eine Kehrseite. Irgendwann wollen die Kunden ihr Darlehen. Und dann werden Sparer fehlen.

Wirtschaftlich sind die Argumente der Bausparkassen ja ohne Weiteres nachzuvollziehen. Wer wollte bestreiten, dass Probleme auftauchen, wenn Geld teurer beschafft werden muss, als es verliehen werden kann? Die Bausparkassen, die nun Tausenden Kunden kündigen, müssen sich freilich vorwerfen lassen, dass sie das Problem, das eigentlich in ihrem Geschäftsmodell liegt, auf dem Rücken der Kunden lösen wollen. Und das geht einfach nicht.

Die vorliegenden Fälle der Kündigung eines Vertrags durch die Bausparkasse sind im Prinzip nicht vorgesehen, stehen also auch nicht in den Vertragsbedingungen. Findige Juristen in den Unternehmen suchen nun nach Hilfskonstruktionen, werden fündig und bekommen leider vor vielen Gerichten auch noch recht. Dass die Verbraucherrechte dabei mit Füßen getreten werden, stört offenbar niemand.

Es wäre ein Leichtes gewesen, die Kündigungsoption ganz ausdrücklich zu vereinbaren; dann hätte jeder Kunde gewusst, worauf er sich einlässt. Und es kann auch gar nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass es einst die Bausparkassen selbst waren, die Kunden gesucht haben, die nur sparen wollen und kein Interesse an einem Darlehen haben. Aber wie heißt es doch? Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.

Der Mohr wird aber mit ziemlicher Sicherheit wieder gerufen werden, denn schon jetzt zeichnet sich ab, dass es wieder Zeiten geben wird, in denen die Bausparkassen händeringend Sparer suchen werden. Die vielen neuen Kunden, die jetzt günstige Darlehenszinsen vereinbaren, werden dieses Geld haben wollen, wenn denn eines Tages die Zinswende gekommen sein sollte. Und dann? Dann werden die Kunden wieder die Dummen sein, und so, wie schon einmal in den achtziger Jahren, jahrelang auf die Zuteilung ihres Bausparvertrags warten. Und die Bausparkassen werden sich über Kunden freuen, die gar nicht ans Bauen denken.

Mit dem so beschriebenen zyklischen Verlauf des Geschäfts können Bausparkassen nur schlecht zurechtkommen. Es ist deshalb vernünftig, die Sonderstellung der Bausparkassen aufzuheben und sie stärker ganz normalen Banken anzugleichen.