Die Blamage vom Oktober wirkt nach. Mit neuen Ausweisen für die Beschäftigten will Winnenden verhindern, dass Schwarzarbeiter etwa auf Baustellen arbeiten.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Winnenden - Welch eine Blamage für den Landkreis: Ende Oktober waren bei einer groß angelegten Razzia auf der Klinikbaustelle in Winnenden mehrere Dutzend Schwarzarbeiter entdeckt worden. Illegal Beschäftigte auf der Baustelle-das darf sich nach dem Willen der Kreisverwaltung künftig keinesfalls wiederholen. Das nicht unumstrittene Renommierprojekt verschlingt rund 266 Millionen Euro Steuergelder, das 550-Betten-Haus soll Ende dieses Jahres fertig sein. Vor gut zwei Monaten hatten fast 80 Beschäftigte des Hauptzollamts Stuttgart, Abteilung Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), und des Zollamts Ulm die rund 230 Arbeiter auf der Baustelle überprüft. Gegen 90 dieser Beschäftigten war ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Eine derart hohe Beanstandungsquote sei selbst in der "anfälligen Baubranche" ungewöhnlich hoch, hieß es.

 

Die Kreisverwaltung hat reagiert. Die Beschäftigten auf der Klinikbaustelle müssen fortan spezielle Baustellenausweise bei sich führen. Dieser Schritt werde vom Zoll "ausdrücklich begrüßt", sagt Thomas Böhme von der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit beim Hauptzollamt Stuttgart. Bis dato seien oft lediglich Klauseln in die Verträge aufgenommen worden, mit denen sich die Auftraggeber verpflichteten Schwarzarbeit zu ächteten. Dieses Vorgehen sei "in der Praxis oftmals wirkungslos". Denn speziell in der Baubranche gebe es häufig Subunternehmerketten, "die für alle Beteiligten nur schwer zu durchschauen sind". Die jetzt angekündigten Ausweise sollen unter anderem Angaben zum Arbeitgeber und zur Art der Beschäftigung enthalten. Böhme sagt, die Ausweise seien "wirkungsvoll und praxisnah", sie könnten dazu beitragen, "die Verstöße zu minimieren und die Kontrollen zu vereinfachen."

Verdachtsmomente haben sich allesamt bestätigt

Die Ermittlungen im Falle der Schwarzarbeiter auf der Klinikbaustelle in Winnenden sind mittlerweile abgeschlossen worden. Die Verdachtsmomente im Hinblick auf die 31 Fälle von Nichtanmeldens zur Sozialversicherung und die 47 Fälle von Scheinselbständigkeit hätten sich "allesamt bestätigt". Der Verdacht auf Verstöße gegen den gesetzlichen Mindestlohn bei den auf der Baustelle tätigen Elektrikern habe sich im Rahmen der weiteren Ermittlungen indes nicht erhärtet.

Wie Böhme auf Anfrage weiter ausführt, sind "öffentliche Auftraggeber von Schwarzarbeit genauso betroffen wie private". Gesetzesverstöße würden längst nicht nur auf Großbaustellen begangen, sondern beispielsweise auch im Transport- und Gebäudereinigungsgewerbe, aber auch im Privatbereich: etwa bei der häuslichen Pflege oder bei Handwerkerdienstleistungen. Schwarzarbeit schädige die Sozialkasse und mindere die Steuereinnahmen. Schwarzarbeit führe aber auch zu Wettbewerbsverzerrungen.

Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen

Legal wirtschaftende Unternehmen könnten mit illegal arbeitenden Wettbewerbern nicht mithalten. Die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen sei einer der Arbeitsschwerpunkte der FKS. Durch sogenannte verdachtslose Prüfungen versuche der Zoll einen "permanenten branchenübergreifenden Kontrolldruck" aufzubauen, erklärt Böhme.

Nach Einschätzung des Hauptzollamts Stuttgart findet Schwarzarbeit "weitgehend unabhängig von aktuellen konjunkturellen Entwicklungen statt". Aussagen wie "in der Krise wird mehr schwarz gearbeitet" gelten nicht mehr, sagt Böhme. Auffällig sei allerdings, dass Schwarzarbeiter überwiegend im Niedriglohnsektor anzutreffen seien. Oft würden die gesetzlichen Mindeslöhne nicht bezahlt.

Keinen Urlaub und keinen Mindestlohn

Am Beispiel Scheinselbständigkeit lasse sich dieses Vergehen gut erklären: Arbeiter aus Bulgarien und aus Rumänien ließen sich oftmals von Vermittlern anwerben. Die Vermittler meldeten dann in Deutschland für diese Personen, die mitunter kaum ein Wort deutsch sprechen, ein Gewerbe an. Als Selbständige sind die Bulgaren und Rumänen dann bis zu zwölf Stunden täglich auf den Baustellen im Einsatz. Sie unterliegen als angeblich selbständige Unternehmer nicht den Regelungen der Lohnfortzahlungen bei Krankheit, sie bekommen keinen Urlaub und keinen Mindestlohn. Für diese Menschen seien 200 Euro in der Woche viel Geld. Tatsächlich erhielten sie aber manchmal gar keine Bezahlung, so Böhme.

Ziel der Ermittlungen sei es nicht, die Arbeiter "zu kriminalisieren, sondern deren Auftraggeber zu ermitteln und haftbar zu machen". Keine Frage: In diesem Zusammenhang will der Landkreis künftig nicht mehr in Erscheinung treten.

Schaden in Millionenhöhe

Schwarzarbeit: Bundesweit hat der Zoll im Jahr 2010 einen Schaden durch Schwarzarbeit in Höhe von 710 Millionen Euro aufgedeckt. Aktuelle Zahlen für 2011 gibt es laut Auskunft des Hauptzollamts Stuttgart noch nicht, sie werden erst im Frühjahr bekannt gegeben. 2009 betrug der Schaden 624 Millionen.

Waiblingen: In der Stadt Waiblingen beispielsweise wurden im vergangenen Jahr rund 180 Ermittlungsverfahren wegen Schwarzarbeit eingeleitet. Aber auch in kleineren Gemeinden wurden Schwarzarbeit beziehungsweise illegale Beschäftigung aufgedeckt, in Remshalden etwa liefen 29 Ermittlungsverfahren.

Stuttgart: Das Hauptzollamt Stuttgart hat 2010 genau 10151 Personenbefragungen vorgenommen und bei 1167 Arbeitgebern ermittelt. Fast 3000 Strafverfahren sowie 1649 Bußgeldverfahren wurden abgeschlossen. Dabei wurden von den Gerichten Freiheitsstrafen von insgesamt 57 Jahren verhängt.