Mit dem Gerber wird das Quartier zwischen Königstraße und Paulinenbrücke neu ausgerichtet. Dabei sollte die Innenstadt doch in die andere Richtung wachsen.

Stuttgart - Als in den ersten Planungsjahren des Bahnprojektes Stuttgart 21 über die frei werdenden Flächen hinter dem Hauptbahnhof diskutiert wurde, da gerieten nicht wenige ob der neuen Baumöglichkeiten ins Schwärmen. Geradezu euphorisch wurde eine Erweiterung der Innenstadt nach Norden bis zur Wolframstraße skizziert. Heute, einige Jahre später, wirken allein schon die überdimensionierten Bauten der Landesbank eher wie eine Barriere für die Innenstadt. Das Europaviertel dahinter entwickelt zunehmend eine Eigenständigkeit abseits der traditionellen Einkaufsachse, was sich durch das Einkaufszentrum Milaneo noch verstärken dürfte. Die eigentliche Innenstadt aber erweitert sich, mehr zugfällig als von langer Hand geplant, genau in die andere Richtung.

 

Mit dem Einkaufszentrum Gerber wird das Quartier zwischen Königstraße und Paulinenbrücke neu ausgerichtet. Und der gerade beschlossene Umbau der Marienstraße wie auch der Neubau des Geschäftshauses an der Eberhardstraße 65 (ehemals Teppich-Galerie) tun ein Übriges dazu, dass sich die Haupteinkaufszone in den nächsten Jahren nach Süden ausdehnt. Das Gerberviertel, das im Schatten des Tagblattturms seit Jahren um Aufmerksamkeit kämpft, wird nach Überzeugung der Stadtplaner insgesamt von neuen Passantenströmen profitieren. Und es wird im Bereich der Paulinenbrücke nicht mehr wiederzuerkennen sein – ob das einem gefällt oder auch nicht.

Kritik an der Architektur

„In integrierter Lage ein dichtes Angebot, das ist gut für die Stadt“, hat der Citymanager Hans H. Pfeifer dieser Tage betont. Das im Bau befindliche Einkaufszentrum Gerber als solches stößt denn auch kaum auf Kritik, seine massige Kommerzarchitektur und das zusätzliche Verkehrsaufkommen dagegen schon. Auch die bange Frage, wie viele Läden die City überhaupt noch verträgt, steht auf einem anderen Blatt. Den Investoren freilich stellt sich diese Frage so nicht, im Gegenteil.

Mit insgesamt 24.000 Quadratmetern Handelsfläche zwischen Marien-/Sophien-/und Tübinger Straße wird Platz für 70 bis 80 neue Geschäfte und für Gastronomie geschaffen. Zudem entstehen über den Einkaufsetagen rund 80 größere Stadtwohnungen und 10.000 Quadratmeter Büros. Mit großen Supermärkten und einem Drogeriemarkt wird das Gerber auch als Nahversorgungszentrum für die bevölkerungsstarken Stadtbezirke Mitte, Süd und West fungieren. Stadtplaner weisen dem Einkaufszentrum mit seinen 700 Stellplätzen deshalb eine wichtige Brückenfunktion zu. Bis zum Frühjahr/Sommer 2014 soll das Gerber fertig gestellt sein – mit einem halben Jahr Vorsprung vor dem Einkaufszentrum Milaneo an der Wolframstraße. Von beiden Centern wird der Innenstadthandel dann in die Zange genommen.

Großes Interesse an der Baustelle

Nach dem Abriss einiger Häuser und des großen Komplexes mit Bürobauten und der Marienpassage der Württembergischen Lebensversicherung, die rund 250 Millionen Euro investiert, gähnt an der Paulinenbrücke zurzeit eine riesige Baugrube. „Wir sind gut im Zeitplan, im Frühjahr wird mit dem Rohbau begonnen“, sagt Thomas Schmid vom Projektentwickler Phönix Real Estate. Die Vorvermietung laufe bereits gut und das Interesse an der Baustelle sei groß. „Viele wollen zugucken“, so Schmid. Im Frühjahr werde deshalb eine Info- und Aussichtsplattform errichtet, auch Baustellenführungen seien geplant.

Einiges es zu gucken wird es auch in der Eberhardstraße 65 geben. Diese Baustelle wird zwar weit kleiner sein, ist aber sehr beengt und an prominenter Stelle. Die Investoren sind zudem dazu verdonnert worden, die denkmalgeschützte Fassade wieder originalgetreu aufzubauen.

Eigentlich sollte der Abriss längst erfolgt sein, doch die vom Investor verlangte Vorvermietung von 50 Prozent ließ sich nicht erreichen. „Wir stehen jetzt aber mit einem neuen Projektentwickler kurz vor dem Abschluss“, sagt Alexander Veiel vom Maklerbüro Jones Lang LaSalle. Wenn alles klappt, soll im Juni das Baugesuch eingereicht und im dritten Quartal mit dem Abriss begonnen werden. Mit 5000 Quadratmetern entstehen etwa doppelt so viele Handelsflächen wie heute und darüber Büros und drei Wohnungen.

Spätestens wenn der Neubau steht, wird der Druck auf Stadt und Gemeinderat wachsen, die sogenannte Querspange zwischen Kronprinzstraße und Wilhelmsplatz auch in diesem Bereich neu zu gestalten. „Das hat für uns oberste Priorität“, sagt der Citymanager. Für die nächsten zwei Jahre reicht das Geld aber zunächst nur für die Marien- und die Tübinger Straße.