Ein halbes Jahr nach Baubeginn in den Wagenhallen gab es erstmals Gelegenheit, den Stand der Arbeiten zu besichtigen. Dabei berichtete der Bauleiter auch von einem kuriosen Kommunikationsproblem.

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Muss das bleiben oder kann das weg? Vor diese Frage sieht sich Michel Casertano immer wieder gestellt: „Die Bauarbeiter aus Rumänien, die zuhause in erbärmlichen Verhältnissen leben, verstehen nicht, was wir hier machen. Da muss man gut aufpassen, damit bleibt, was bleiben soll“, erklärt der Bauleiter vom Cannstatter Atelier Brückner, das den Zuschlag zur Grundsanierung der Wagenhallen erhalten hatte. Gut ein halbes Jahr nach deren Beginn gab es nun erstmals Gelegenheit, vor Ort den Stand der Arbeiten zu besichtigen. Wobei Peter Holzer, der Leiter des Hochbauamtes, eingangs feststellte: „Neu bauen ist einfacher!“ Holzer unterstrich den doppelten Zweck des Unterfangens, in das die Stadt 27 Millionen Euro investiert: „Wir wollen dem regen kulturellen Leben, das sich hier entwickelt hat, einen dauerhaft sicheren Platz bieten. Zugleich haben wir damit auch den Identität stiftenden kulturellen Nukleus für das neue Rosenstein-Quartier. Sonst geht das ja eher anders herum, was nicht einfacher ist.“

Architekt zitiert Goethe

Um für die folgende Begehung verstehbar zu machen, was aktuell auf der Großbaustelle geschieht, gab Casertano eine umfassende Einführung, der die gut 50 Teilnehmer eine volle Stunde lang gebannt lauschten – getreu dem vom Architekten zitierten Goethe-Satz: „Man sieht nur, was man weiß.“ Leitidee der „kritischen Rekonstruktion“ ist demnach „form follows content“. Und die Inhalte, denen die Form der Gestaltung folgt, sind zum einen die Künstler, die hier bereits gearbeitet haben und wieder zurückkommen wollen. Zum anderen das Gebäude und seine mit dem Bau von 1895 beginnende Geschichte als historischer Lokomotivschuppen, samt An-, Umbauten und sonstigen Eingriffen im Laufe eines Jahrhunderts.

Zentral sind dabei zum einen der Erhalt der in schlechtem Zustand befindlichen Originalfassen, zum anderen „das Innere der Hallen erfahrbar zu machen“. Letzteres sorgte dann auch gleich zu Beginn der Führung für Verblüffung. Denn unterm offenen Gerippe der Dachkonstruktion zeigte sich das enorme Volumen der vier Hallen besonders deutlich. In die Firste bis zu zehn Metern hoch, soll unterm Oberlicht der Dachhaut der Charakter der Lokremise erhalten bleiben. Deshalb wird es im großen Mittelteil auch keine Einbauten geben. Stattdessen wird dieser Trakt mit variablen kubischen Ateliers ausgestattet, „die im Bedarfsfall bei Aktionen auch nach draußen gefahren werden können“, wie Casertano erläuterte. Weitgehend freigehalten wird die ehemalige Schiebebahn in der zentralen Längsachse: „Eine weitere Reminiszenz an das Motiv Bahn.“

Heizungsrohre verteidigt

Doch auch im Bau gelte es, „im Umgang mit der Substanz flexibel zu sein“, betonte Casertano – mit der Gruppe am Zugang hinten rechts auf der Bauplatte für ein kleines Café stehend, das zunächst nicht vorgesehen war: „Wir wollten ein zugemauertes, mit zwei Fenstern versehenes Tor wieder aufreißen. Jetzt lassen wir das, denn auch so können wir Teile der Geschichte mitspielen lassen. Außerdem gibt das ein Café wie in Stuttgart-West.“ Und er verteidigte auch massive Bündel von funktionslosen Heizungsrohren gegen den Einwand einer Teilnehmerin, das könnte „rein dekorativ wirken“: „Auch das ist Teil der Geschichte und des historischen Charakters der Hallen,“ befand Casertano und ergänzte: „Wir wollen nicht kaputtsanieren, sondern die Spuren der Geschichte herausarbeiten. So zeigt das Gebäude Wunden und Narben, analog dem Leben eines Menschen.“

Als „einzigen Wermutstropfen“ bezeichnete er die vorgeschriebenen neuen Brandschutzmauern. Die eine, die den Atelierbereich von der Veranstaltungshalle trennt, ist bereits fertig. Von der anderen, die den Multifunktionsraum abtrennen wird, ist just am Vortag die Schalung des ersten Teilstückes gefallen: „Das Neue wird als Sichtbeton kenntlich.“ Die Integration von Altem in neuer Nutzung zeigte ihren besonderen Charme bei der Kranbahn, die für die Technik der Bühne genutzt wird. Besonders prägnant wird dieses Zusammenspiel auf der Nordseite mit der Aufstockung des von Tango Ocho genutzten Altgebäudes, wo zudem ein Platz als „Künstleradresse“ entsteht: als Pendant zum Westplatz gegenüber der Schule. Insgesamt zeigte sich Casertano überzeugt: „Die Wagenhallen bleiben ein spannender, dynamischer Ort voller Potenzial für die Stadt.“