Das Verwaltungsgericht Karlsruhe gibt Nachbarn recht. In der großen Anlage in einem kleinen Ortsteil könnten bis zu 6000 Einäscherungen pro Jahr stattfinden.

Sinsheim - Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Baugenehmigung für ein umstrittenes Krematorium in Sinsheim (Rhein-Neckar-Kreis) außer Kraft gesetzt. Die große Anlage, die ein auswärtiger Investor mit Unterstützung der Stadt im dörflich geprägten Ortsteil Reihen errichten möchte und deren Rohbau bereits fertig ist, stößt dort auf erheblichen Widerstand. Wegen des Projekts waren der bisherige Oberbürgermeister Rolf Geinert und sein Baubürgermeister Achim Keßler (beide SPD), der sich bei der Oberbürgermeisterwahl vor Kurzem vergeblich um dessen Nachfolge bemühte, massiv unter Beschuss geraten.

 

Der Streit hatte 2009 begonnen, nachdem die Stadt dem Investor eine Genehmigung für den Bau des Krematoriums in einem eingeschränkten Gewerbegebiet erteilt hatte. Das war 2002 in der Nachbarschaft eines Wohngebiets ausgewiesen und zunächst nur schleppend belegt worden. In der Anlage sollten nach der ursprünglichen Planung bis zu 8000 Leichen jährlich im Schichtbetrieb verbrannt werden. Zum Vergleich: im Krematorium der Großstadt Mannheim knapp 50 Kilometer weiter werden pro Jahr 3500 Tote eingeäschert.

Vier Mal so viel Verbrennungen wie Einwohner

Während ein Gutachter des Sinsheimer Rathauses das Vorhaben als Maßnahme einer „offensiven Wirtschaftsförderung“ lobte, kritisierten die Gegner den zu erwartenden Leichentourismus und eine „industrielle Leichenverbrennung“. Außerdem warfen sie der Stadt ein unsauberes Genehmigungsverfahren vor. Der Reihener Pfarrer warnte angesichts des Streits, es sei psychisch belastend für einen kleinen Ort, wenn dort viermal so viel Tote verbrannt werden sollten, wie es Einwohner gibt.

Im Mai 2011 gab dann das Karlsruher Verwaltungsgericht den Gegnern erstmals recht und stellte fest, das Krematorium sei mit den Bestimmungen des Gewerbegebiets unvereinbar. Die Stadt änderte noch vor dem Abschluss des Verfahrens den Bebauungsplan und wies darin ein Sondergebiet für Feuerbestattungen aus. In einer neuen Baugenehmigung im September legte sie die Zahl der Leichen, die in zwei Öfen verbrannt werden sollten, auf maximal 6000 im Jahr fest.

Ein Nachbar wehrt sich gegen die Großanlage

Dagegen wehrte sich ein Nachbar, der in seinem Betrieb Honigwein herstellt und Schnaps abfüllt – und der auf dem Gelände auch seine Wohnung hat. Er reichte beim baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof in Mannheim eine Normenkontrollklage ein und beantragte einen vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht in Karlsruhe. Während die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch aussteht, haben die Richter in Karlsruhe gestern die neue Baugenehmigung vorläufig außer Kraft gesetzt.

Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Nachbarn seien offen, stellten sie fest. Da durch die Fertigstellung des Rohbaus aber „nur schwer rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen“ würden, überwögen die Interessen des Klägers an einem Baustopp. Außerdem stellten sie fest, die Änderung des Bebauungsplans sei möglicherweise fehlerhaft gewesen. Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass der Gemeinderat bei dem Beschluss davon geleitet worden sei, einen Schadenersatzanspruch des Investors wegen der ersten fehlerhaften Baugenehmigung zu vermeiden.

Ob die Stadt Beschwerde einlegt, ist noch offen. (Az. 5 K 3000/11)