Unter dem neuen Trainer Robin Dutt wird unverblümt der Meistertitel als Saisonziel ausgegeben. Das erzeugt viel Druck auf das Team.  

Leverkusen - Offensichtlich ist es den Leverkusenern in der nächsten Saison so richtig ernst mit dem Plan, endlich einmal die deutsche Meisterschaft zu gewinnen und das Trauma des ewigen Zweiten zu überwinden. "Wir wollen einen Platz besser sein als letzte Saison", sagt Robin Dutt dieser Tage bei jeder Gelegenheit, und diese offensive Herangehensweise ist kein Alleingang des Trainers.

 

Von höchster Stelle wurde der sportlichen Führung verboten, die gefährlichsten Konkurrenten um den Titel zu stärken. Denn eigentlich wollte Arturo Vidal, der beste Leverkusener Spieler der Vorsaison, unbedingt zum FC Bayern und seinem ehemaligen Trainer Jupp Heynckes wechseln, doch der Gesellschafterausschuss von Bayer 04 hat den Beschluss gefasst, dass der Chilene nicht innerhalb von Deutschland transferiert werden darf. "Wir haben das schon immer gesagt, jetzt haben wir es auch schriftlich", verkündete der Sportchef Rudi Völler.

Jetzt wechselt der chilenische Mittelfeldspieler nach eigenen Angaben zu Juventus Turin. "Ich bin glücklich, das ist ein großer und wichtiger Schritt in meiner Karriere. Meine Erfahrungen in Deutschland werden mir in Italien helfen", sagte der Nationalspieler in seiner Heimat Santiago kurz vor der Rückkehr nach Europa. Die geschätzten zehn bis zwölf Millionen Euro Ablöse kann Bayer nun in andere Mannschaftsteile investieren, auch wenn die Verantwortlichen den Transfer offiziell noch nicht bestätigt haben.

Der Bayer-Kader ist längst nicht mehr unerfahren

Klar ist jedoch: es ist eine neue, eine ziemlich gewagte Herangehensweise, für die die Leverkusener sich da entschieden haben. Denn natürlich erzeugen die Verantwortlichen mit ihrer Zielsetzung einen enormen Druck auf das Team. "Eine gute Mannschaft muss damit umgehen können", erwidert Dutt auf diesen Einwand, in der Chemiestadt sind sie der Meinung, dass die Zeit reif ist. Jahrelang hatte das Team den Ruf hochveranlagt, aber eben noch etwas zu jung zu sein, um eine Saison mit einem Titel zu krönen. Nun hat Borussia Dortmund gezeigt, dass das Alter kein Problem auf dem Weg zur Meisterschaft sein muss, außerdem ist der Bayer-Kader längst nicht mehr jung und unerfahren.

Einstige Talente wie Gonzalo Castro (24), Daniel Schwaab (22), Tranquillo Barnetta (26), Lars Bender (22), Stefan Kießling (27), René Adler (26) oder Eren Derdiyok (23) haben längst mehr als 100 Profispiele bestritten, selbst André Schürrle ist mit seinen 20 Jahren schon 66-mal in der Bundesliga unterwegs gewesen. Und Simon Rolfes, Michael Ballack oder Hanno Balitsch sind mittlerweile Routiniers. "Ich sehe hier eine Mannschaft mit einer gewissen Reife, die schon lange nicht mehr grün ist, die aber auch nicht überreif ist", sagt Dutt, "da könnten jetzt ein paar gute Jahre kommen."

Zumal den Leverkusenern ein Transfer gelungen ist, der die halbe Liga mit Neid erfüllt. Noch vor der Winterpause einigte Bayer sich mit dem Mainzer André Schürrle über einen Wechsel zur Werkself, damals erschien die Ablösesumme von acht Millionen Euro noch etwas überteuert, inzwischen ist Schürrle auf dem besten Weg, Lukas Podolski aus der Stammelf der Nationalmannschaft zu verdrängen: ein Schnäppchen sozusagen.

Die Champions League ist Neuland für den Trainer

Noch größere Hoffnungen lasten nur auf den Schultern von Michael Ballack. Von dem fast 35-Jährigen erwarten die Leverkusener im zweiten Jahr nach seiner Rückkehr aus England und dem Weggang von Vidal eine kleine Leistungsexplosion. Der Sportdirektor Rudi Völler spricht von einer "Bringschuld" Ballacks, denn der Verein und sein Mutterkonzern überweisen dem Altstar viele Millionen Euro für seine Fußballdienste. Im vorigen Jahr war der von Verletzungen gebeutelte Mittelfeldspieler jedoch allenfalls ein Mitläufer.

Auch in der Hoffnung, dass Ballack sich vom Zauber der Champions League und dem Ehrgeiz, es allen noch mal zu zeigen, beflügeln lässt, ist es den Leverkusenern nicht allzu schwer gefallen, Vidal abzugeben. "Michael fordert keine Privilegien für sich ein, er hat noch in keiner einzigen Trainingseinheit gefehlt, er ist ein Musterprofi, vorbildlich", sagt Dutt, der selbst noch nie auf solch einem hohen Niveau gearbeitet hat. Die Champions League ist Neuland für den Trainer, und übrigens auch für die meisten Spieler. Außer Ballack hat nur Eren Derdiyok (fünfmal für den FC Basel) in der Königsklasse gespielt.

Aber das großes Ziel verfolgen die Leverkusener ja sowieso nicht auf der europäischen Bühne - sondern in der Bundesliga.

Trainer Robin Dutt

Ein großer Entertainer ist Robin Dutt noch nie gewesen, der in Ditzingen aufgewachsene Fußballlehrer ist ein Mann der Vernunft. Bauchentscheidungen trifft er selten, und mit diesem durch und durch rationalen Blick betrachtet er auch seine Mannschaft. „Hier spielen mit die besten Spieler Deutschlands“, sagt er zwar, große Gefühle des Glücks überkommen ihn aber nicht, wenn er mit herausragenden Spielern wie Michael Ballack, Simon Rolfes, René Adler, Stefan Kießling oder Renato Augusto auf dem Trainingsplatz steht.

Das Niveau dieser Fußballer sei „zwar höher als in Freiburg, aber auch an mich als Trainer sind die Erwartungen ja entsprechend hoch. Das, was mir an Qualität versprochen wurde, das habe ich vorgefunden“, sagt er. Vielleicht ist dieser klare Geist des 46-Jährigen genau das, was Bayer Leverkusen bei seinen vielen gescheiterten Versuchen, Titel zu gewinnen, immer gefehlt hat.