Bayern und Berlin streiten ums Familiengeld für Sozialhilfeempfänger. Trotz Warnungen aus dem Bundessozialministerium will der Freistaat seine frisch beschlossenen Mittel auszahlen.

München - Eigentlich hatte Markus Söder (CSU) ja vor, seinen Wahlkampf in Bayern „nicht gegen Berlin“ zu betreiben. Seit diesem Freitag gibt es aber plötzlich wieder Stunk zwischen Landes- und Bundesregierung. Und es sieht so aus, als wollte man diesen Streit nicht nur bei der Bierzelt-Mobilisierung der Wähler, sondern auch vor Gericht austragen.

 

Ausnahmsweise geht es nicht um die Ausländer- und Flüchtlingspolitik, sondern um eine jener viele hundert Millionen Euro schweren Wohltaten, die Markus Söder im Wahlkampf übers Volk regnen lässt: um das neue Bayerische Familiengeld, das der Landtag erst vor vier Wochen beschlossen hat. Vom 1. September an soll es ausgezahlt werden; Wahltag ist der 14. Oktober.

Das Bayerische Familiengeld geht laut Gesetz an Eltern ein- und zweijähriger Kinder und beträgt 250 Euro pro Kind und Monat; für das dritte Kind sind 300 Euro vorgesehen. Nur: Es besteht nun die Gefahr, dass gerade Familien, die das Geld am notwendigsten brauchen, nichts davon haben.

In Berlin nämlich vertritt das Bundesarbeits- und Sozialministerium die Rechtsauffassung, dass das neue Familiengeld auf „Hartz IV“ angerechnet werden muss. Mit anderen Worten: nur Bezieher mittlerer und hoher Einkommen profitieren davon.

Die bayerischen Familien würden ignoriert werden

So hat es am Freitag die bayerische Sozialministerin Kerstin Schreyer mitgeteilt und recht überstürzt eine Pressekonferenz einberufen. Nein, sagt die CSU-Frau da,, die Berliner Haltung sei „absolut nicht nachvollziehbar und rechtlich schlichtweg falsch“. Eine Anrechnung auf Sozialleistungen nach Hartz IV komme „überhaupt nicht in Frage“; Bayern werde sein Familiengeld „auf jeden Fall“ auszahlen – und diesen Streit mit dem Bund „zur Not“ auch vor Gericht austragen.

Und natürlich: Wahlkampf treiben immer die anderen. Der Chef des Bundesarbeits- und –Sozialministeriums, Hubertus Heil, gehört bekanntlich zur SPD, und die CSU-Ministerin Schreyer merkt an: Sie frage sich, „ob hier Wahlkampfinteressen die Triebfeder waren, der Bayerischen Staatsregierung den politischen Erfolg zu missgönnen.“ Die Interessen „unserer bayerischen Familien“ würden in Berlin „einfach komplett ignoriert.“

Von wegen, gab das Bundesministerium noch am umgehend zurück. Man wolle nur den „nicht erträglichen“ Zustand verhindern, dass Familien auf mehr Geld vertrauten und es danach wieder zurückzahlen müssten, sagte eine Sprecherin von Minister Heil.

Gewarnt vor diesem GAU beim Familiengeld hatte die bayerische Opposition schon lange. Aber auch das waren vielfach SPDler, also Parteifreunde von Hubertus Heil. Und die Staatsregierung tat alle Rechtsbedenken ab.

Auch heute bleibt Ministerin Schreyer bei der Auffassung der bayerischen Regierung: Das weißblaue Familiengeld verfolge ja „andere Zwecke als die bloße Existenzsicherung“. Der einleitende Artikel des Gesetzes widme das Geld ganz konkreten Zwecken, etwa der „frühen Erziehung und Bildung der Kinder einschließlich gesundheitsförderlicher Maßnahmen.“ Deshalb falle es unter die Ausnahmen des Sozialrechts, und deshalb dürfe es nicht einmal in Teilen auf Leistungen nach Hartz IV angerechnet werden.

Die Leistungen kommen vor allem Besserverdienenden zugute

Auch die Regionaldirektion der Bundesanstalt für Arbeit, so Kerstin Schreyer, habe bisher diese bayerische Rechtsauslegung unterstützt. Allerdings sei die Bundesanstalt jenem schon erwähnten Berliner Ministerium nachgeordnet: Willkommen aufs Neue in der Wahlkampf-Arena.

Im neuen Familiengeld hat Bayern sein bisheriges Kinderbetreuungsgeld und das Landeserziehungsgeld zusammengeführt und den gesamten Topf um 450 Millionen Euro angereichert. Bekommen sollen die neue Leistung alle Familien in Bayern, unabhängig davon, ob sie ihre Kinder zu Hause betreuuen oder in eine Kita schicken wollen. Interessanterweise hatte vor einigen Jahren ausgerechnet CSU-Chef Horst Seehofer verlangt, was die CSU heute am SPD-Minister Heil kritisiert: die Anrechnung des Betreuungsgelds auf Sozialleistungen nach Hartz IV. Andernfalls, so Seehofer 2011, bestehe die Gefahr, dass „falsche Anreize“ gesetzt würden und sich Arbeiten nicht mehr lohne. Auch sonst übrigens kommt das Bayerische Familiengeld hauptsächlich Familien mit normalem Einkommen zugute. Nur zehn Prozent der Empfänger, 12.000 Personen beziehen Sozialhilfe.