Das Stuttgarter Gestaltungsbüro Ranger Design inszeniert in der neuen FC Bayern Erlebniswelt den Münchner Erfolgsverein sehr gelungen als Mythos und Marke zugleich.
München - Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Fußball schaut lieber nach vorn, anstatt zurückzublicken. Diesen Gedanken scheint jedenfalls die erstaunlich geringe Zahl an Fußballvereinsmuseen nahezulegen, die es in Deutschland gibt. Erstaunlich, weil dieser Sport wie kein anderer Bestandteil der Alltagskultur geworden ist, erstaunlich, weil doch sonst hierzulande nahezu alles musealisiert wird, Autos genauso wie Knöpfe und Nähmaschinen.
Dortmund, Schalke, Frankfurt, Hamburg, Bremen – das waren bis vor Kurzem sämtliche Vereine der aktuellen ersten Bundesliga, die sich die Mühe gemacht haben, ihre Geschichte in einem Museum nachzuzeichnen. Ausgerechnet aber der deutsche Club, der als eine Art Synonym für Führungsanspruch gilt, fehlte in dieser kurzen Liste: der Rekordmeister FC Bayern München. Jetzt ist die Lücke geschlossen worden: Anfang August hat der Erfolgsverein die FC Bayern Erlebniswelt in der Münchner Allianz-Arena offiziell eröffnet.
Eine halbe Million Besucher
Dass diese Bayern nun aber, wo es dieses Museum gibt, das jährlich eine halbe Million Besucher anlocken soll, sogleich mit Superlativen hantieren, verwundert nicht wirklich. Es sei das „größte“, „modernste“ und „beste“ Fußballmuseum Europas, sagt der Stuttgarter Gestalter Kurt Ranger vom Büro Ranger Design, das die Konzeption und Gestaltung der Erlebniswelt übernommen hat. 3050 Quadratmeter Ausstellungsfläche umfasst das in der Stadion-Nordkurve untergebrachte Museum. 424 Exponate – darunter so herausragende wie Ottmar Hitzfelds Taktikzettel beim Endspiel der Champions League gegen Valencia 2001 – illustrieren die 112-jährige Vereinsgeschichte; 320 Minuten exklusiv fürs Museum produziertes Filmmaterial flimmert über 110 Monitore. Zum Vergleich: das Borusseum, das Museum des BVB Dortmund, ist 900 Quadratmeter groß.
Aber nicht wegen solcher Zahlen stellt diese bewusst nicht „Museum“, sondern neudeutsch Erlebniswelt genannte und damit den atmosphärischen und interaktiven Ansatz betonende Ausstellung einen Quantensprung dar. Denn im Gegensatz zu den anderen Bundesligavereinen, deren Museen aus der Fan- und Sammlerszene heraus entstanden sind, hat der FC Bayern das Projekt selbst initiiert, unter der Leitung von Sabine Hoeneß, der Tochter des Vereinspräsidenten Uli Hoeneß, umgesetzt und finanziert – über die Kosten schweigt man allerdings. Die Bayern haben damit einen lange geäußerten Wunsch seiner Fans erfüllt. Vor allem aber hat er den unschätzbaren Marketingwert einer solchen Vereinspilgerstätte erkannt – und genau als solche entpuppt sich das Museum auch.
Enthusiasmus wird schnell stimuliert
Dem Club und seinem per Wettbewerb auserkorenen Gestaltungsbüro ist eine stimmige Inszenierung des Mythos und der Marke FC Bayern München gelungen. Der mit den Vereinsfarben Weiß und Rot sowie einem dominierenden Hintergrundschwarz durchchoreografierte Parcours kombiniert die faktenorientierte und extrem datenreiche Geschichtspräsentation mit einer hochemotionalen Heldenverehrung sowie einer Abteilung zur Fankultur zu einem ausgewogenen Ganzen.
Dunkler Zeittunnel
Diese drei Schwerpunkte gliedern klar und für den Besucher leicht nachvollziehbar die Ausstellung. Zum Auftakt führt diese ihn aber erst mal durch einen dunklen Zeittunnel. Rechts leuchtet ein Monitorband auf, das, chronologisch rückwärts von heute bis in die Dreißiger, strahlende Sportler und geniale Tore zeigt. Stadionjubel brandet dazu auf, und schon ist der Fußballenthusiasmus gehörig stimuliert. Derart eingestimmt, folgt eine Zeitreise durch die Vereinsgeschichte, angefangen bei der Gründung 1900, über den ersten Meistertitel 1932, die unübertroffenen Sechziger und Siebziger bis in die Jetztzeit.
Vitrinen mit Exponaten, großformatige Screens, über die ohne Unterlass Fotos und Filmsequenzen geschickt werden, mit präzisen, kurzen Texten bestückte Infotafeln, interaktive Multimedia-Stationen – aus diesen Elementen setzt sich jeder der sieben Zeitabschnitte zusammen. Das Rückgrat dieser Kabinen bildet das, was die Macher der Erlebniswelt mit unverhohlen herrschaftlicher Attitüde „Via Triumphalis“ getauft haben: 22 hintereinander gestaffelte Meisterschaftsvitrinen, welche die glänzenden Meisterschalen- und DFB-Pokal-Repliken enthalten. Darüber schweben 101 Fußbälle, weil es der Club tatsächlich mal geschafft hat, in einer Saison 101 Treffer zu erzielen. Die Reliquien des Erfolgs, zum Säulengang arrangiert, darüber der Fußballhimmel – die Gestalter spielen sehr offensichtlich mit den nahezu sakralen Dimensionen, welche die heutige Fußballkultur durchaus aufweist.
Bayern-Pokale im Wald vergraben
Löblich ist der Ansatz von Ranger Design, den Besucher anhand von einzelnen, oft mit Personen verwobenen Geschichten durch die Vereinsgeschichte zu lotsen und dort, wo es sich lohnt, in die Tiefe zu gehen. Eine Installation etwa erzählt, wie Konny Heidkamp, der Kapitän der 32er-Mannschaft, die Bayern-Pokale im Wald vergrub, damit sie nicht einer 1940 von Göring erwünschten Metallspende geopfert werden mussten. „Unser Ziel war, das Thema Fußball in einen kulturhistorischen Kontext zu stellen und die Geschichte des FC Bayern so präzise wie möglich zu erzählen“, so Ranger. So wird nicht versäumt, das Fußballgeschehen mit Highlights des jeweiligen Zeitabschnitts zu verzahnen.
Das Herz des Museums bildet die sogenannte kreisrunde „Hall of Fame“: Nach der geballten Ladung an Geschichtsinformationen sind auf dieser Emotionsinsel die Gefühle dran. In ihrem Innern kann der Fan seinen Superstars auf Augenhöhe begegnen und dabei sein, wenn etwa Paul Breitner und Gerd Müller von lebensgroßen Videowänden herab miteinander witzeln. Es gibt aber auch ein Pendant zu diesem Starkult: eine Wand listet jeden Spieler auf, der seit 1900 mindestens in einem Pflichtspiel des FCB gespielt hat, mehr als 700. Von etwa zwanzig Prozent der Spieler fehlt jedoch noch ein Bild, der Verein erhofft sich hier Hinweise von den Besuchern, wie Fabian Raabe sagt.
Die Fans stiften viele Exponate
Erst mit Hilfe der Fans konnte die Erlebniswelt überhaupt bestückt werden: Weil der Club über keine systematisch aufgebaute Sammlung verfügte, rief man Vereinsmitglieder und Fans zu Leihgaben und Geschenken auf – mehr als 2600 Exponate sind so zusammengekommen.
Einfamilienhausfassaden in den Bayern-Farben
Das neue Geschichtsbewusstsein, von dem die Erlebniswelt zeugt, dürfte die Bayern-Fans in Zukunft noch enger an ihren Herzensclub binden. Deren Leidenschaft und kreativen Output illustriert zu guter Letzt die Abteilung „FC Bayern aktuell“, die zur Schau stellt, welche Kuriositäten Schlachtenbummler so hervorbringen: ganze Einfamilienhausfassaden in den Bayern-Farben Rot-Weiß-Blau etwa.
Dass sich ein Verein wie der FC Bayern in seinem neuen Museum so konsequent als Marke inszeniert, daran ist in Zeiten des durchkommerzialisierten Profifußballs nichts Anrüchiges. Doch eines stimmt dann doch noch nachdenklich: Nach der Ausgangsschleuse landet der Besucher direkt, ohne räumlichen Puffer, im riesigen Fanartikelsortiment des FCB-Shops.