Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Nach naturgemäß schwieriger Ersatzdirigentensuche ist Bayreuth ausgerechnet in Dresden fündig geworden, wo Thielemann chefamtiert. Hartmut Haenchen, Jahrgang 1943, sträflicherweise vorher niemals richtig in Erwägung gezogen, übernimmt, und man möchte von einem Glücksfall sprechen. Vertrauer mit der „Parsifal“-Partitur ist mutmaßlich noch nicht mal Christian Thielemann, denn Haenchen, lange, tolle Jahre Chefdirigent der Amsterdamer Oper, hat für die erwähnte Pariser Produktion alle heutzutage bekannten Quellen neu gelesen und die Uraufführung von 1882 analysiert und frisch bewertet.

 

Heraus kam, dass ein „Parsifal“, wie immer er im Einzelnen angelegt sei, als Viereinhalbstundenschinken und Langsamkeitsexerzitium ein Ding der Unmöglichkeit ist. Wagner selber, legte Haenchen damals nahe, wollte es im Grunde noch fließender und pointierter haben als Pierre Boulez, der schon eine glatte Stunde schneller war als Dirigenten wie Arturo Toscanini oder James Levine. Ohne zu hetzen, versteht sich. Man darf also gespannt sein, wie Haenchen jetzt in kürzester Zeit das Orchester auf seine Lesart einschwören wird. Andererseits lässt sich an Boulez (und die überragende Schlingensief-Produktion) in Bayreuth anknüpfen. Nicht die schlechteste Notlösung.

Haenchen muss dafür Arbeitsbedingungen annehmen, die selbst Thielemann abenteuerlich nennt. Aus einem nicht gelungenen Kommunikationsprozess mit der Stadt Bayreuth hat die Festspielleitung nämlich gefolgert, dass sie sich wegen der angespannten Weltlage und möglichen Gefährdungen eines Events wie Bayreuth rechtzeitig um ein neues Sicherheitskonzept am Grünen Hügel bemühen müsse. Jetzt schaut es leider so aus, dass schon vor den Sperrgittern die alte Gemütlichkeit und Sorglosigkeit dahin ist, weil im Garten ein privater Sicherheitsdienst herumpilgert, der selbst von Herrn Thielemann fünfmal am Tag den Hausausweis sehen will. Das irritiert nicht nur jene Beteiligten, die noch gewohnt waren, dass man, einmal drin am Hügel, wirklich fast überall hin kam. Bayreuth war wegen dieser stinknormalen Verhältnisse halt auch immer besonders geschätzt.

Hartmut Haenchen wird das alles wenig stören: vermutlich steckt er mit beiden Ohren im Stück und merkt nicht, was sonst so vorgeht. Noch sechzehn Tage.