TTIP und Ceta polarisieren Deutschland. BDI-Präsident Ulrich Grillo ist überzeugt von den Freihandelsabkommen. Konkrete Forderungen stellt der scheidende Präsident auf, um China am Jahresende den Marktwirtschaftsstatus zu erteilen.

Stuttgart - TTIP und Ceta polarisieren Deutschland. BDI-Präsident Ulrich Grillo ist überzeugt von den Freihandelsabkommen. Konkrete Forderungen stellt der scheidende Präsident auf, um China am Jahresende den Marktwirtschaftsstatus zu erteilen.

 
Herr Grillo, die Kritik am BDI verstummt nicht, viele zweifeln an der Schlagkraft des Industrieverbandes. Fühlen Sie sich wie ein einsamer Rufer in der Wüste?
Ganz und gar nicht! Der BDI kämpft für die Interessen von gut 100 000 Unternehmen mit acht Millionen Beschäftigten im Inland und drei Millionen Beschäftigten im Ausland. Auf unsere Stimme will und kann die Politik nicht verzichten. Das heißt aber nicht, dass die Politik immer macht, was die Industrie für richtig hält. Sie schnürt manchmal lieber Sozialpakete, anstatt sich um die Stärkung des Standorts zu kümmern. Die Wirtschaft zu vernachlässigen ist gefährlich.
Wo fühlen Sie sich aktuell vernachlässigt?
Die Haushaltslage ist beeindruckend gut, jetzt müssten Bund und Länder den Investitionsturbo einschalten. Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen in Infrastrukturen, unsere Daten- und Energienetze. Die Konjunktur läuft gerade ordentlich. Das liegt an niedrigen Zinsen und Ölpreisen sowie den Wechselkursen. Ich fürchte: Sobald sich diese Bedingungen ändern, wird sich zeigen, wie wenig wetterfest wir sind.
Würde die Schlagkraft steigen, wenn Sie mit dem Arbeitgeberverband BDA fusionieren?
Nein. Inhaltlich überschneiden sich unsere Themen zu wenig. Die BDA konzentriert sich auf nationale Fragestellungen wie Tarif-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Der BDI kümmert sich um Industrie- und Wirtschaftspolitik. Und zwar weltweit – überall dort, wo unsere Unternehmen aktiv sind.
Ceta und TTIP treiben den BDI um. Man hat aber nicht den Eindruck, dass es viele Fürsprecher für die Freihandelsabkommen gibt.
Ich weiß nicht, ob es mehr Befürworter oder mehr Gegner der Freihandelsabkommen gibt. Die Gegner sind jedenfalls sehr laut. Wir wissen, dass wir sachlich bleiben müssen – denn es gibt gute Argumente. Der BDI hat sich von Anfang an für TTIP ausgesprochen. Unsere Mitglieder unterstützen geschlossen ein ehrgeiziges Handelsabkommen mit den USA. Wir erklären die großen Chancen von Freihandel, setzen auch auf direkte Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern. Die Mehrheit der Europäer ist für Freihandelsabkommen wie TTIP und Ceta.
Einige halten TTIP bereits für tot.
Ich halte das für Quatsch. Die kritischen Diskussionen in den vergangenen Jahren haben zu Fortschritten in den Verhandlungen geführt. Viele haben den Prozess zwischen EU-Kommission und US-Regierung als zu intransparent kritisiert. Dabei war das Informationsbedürfnis riesig. Die Kritik daran hat Handelskommissarin Cecilia Malmström ernst genommen. Das finde ich gut. Sie hat viele Bedenken aus Deutschland und Österreich aufgenommen. Die demokratische Kontrolle ist gewährleistet. Wenn der Vertragstext einmal vorliegt, wird es auf die Zustimmung aller nationalen Parlamente ankommen.
Die USA lassen bei TTIP doch keine Nachverhandlungen zu.
Das ist falsch. Bei Ceta gibt es nach mehr als fünf Jahren Verhandlungen ein gutes Ergebnis. Bei TTIP steckt man nach drei Jahren noch mitten in den Verhandlungen. Aber die US-Amerikaner streben genauso wie die Europäer ein umfangreiches Abkommen an. Es ist wie bei Koalitionsverhandlungen: Niemand gibt vorschnell seine Position auf. Die Knackpunkte kommen zum Schluss dran. Ich bin zuversichtlich, dass wir unter Obama zumindest ein politisches Rahmenabkommen hinkriegen, also bis Ende Januar.
Die US-Amerikaner beharren aber auf die massiv kritisierten privaten Schiedsgerichte.
Darüber wird verhandelt. Über das Ergebnis lässt sich derzeit nur spekulieren. Nach der US-Wahl wird es jedenfalls erst mal nicht einfacher.
Der SPD-Konvent hat sich für einen ausführlichen Anhörungsprozess ausgesprochen.
Einerseits sollte sich die Bundesregierung mit Blick auf Ceta nun für eine schnelle Ratifizierung und das vorläufige Inkrafttreten des Abkommens einsetzen. Andererseits ist es klug, im weiteren Prozess offene Fragen klarzustellen und möglichst viele Menschen mitzunehmen.
Wenn Ceta kommt und TTIP nicht – macht das Sinn?
Nein. Wir Europäer sollten bei der Gestaltung der Globalisierung ganz vorne mitspielen. Wir dürfen es nicht anderen überlassen, die Spielregeln festzulegen. Nicht nur Ceta ist sinnvoll für eine bessere und faire Globalisierung, von der die Menschen in Deutschland mit am meisten profitieren.
Aber wir müssen dann auch niedrigere Standards der Amerikaner akzeptieren.
Falsch. Der klare Auftrag der Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten und des Europäischen Parlaments an die Verhandler der EU ist, soziale Standards nicht zu senken.
Aber die Amerikaner lassen sich doch nicht auf deutsche Arbeitsschutzstandards ein.
Müssen sie auch nicht. Und wir müssen unsere Standards ja nicht aufgeben. Wir haben ja nicht einmal im EU-Binnenmarkt dieselben Arbeitsschutzstandards.
Schauen wir nach China. Noch 2016 fällt die Entscheidung, ob China den Marktwirtschaftsstatus erhält. Hat China das verdient?
Dafür gibt es WTO-Regeln. Wenn China den Marktwirtschaftsstatus bekommt, muss es klare Regeln geben, damit europäische Märkte nicht von chinesischen Produkten zu Dumpingpreisen überschwemmt werden. China hat große Überkapazitäten – nicht nur bei Stahl, Aluminium, Zement. Wir brauchen wirksame Instrumente, um uns dagegen zu wehren – unabhängig vom Marktwirtschaftsstatus.
Experten sagen: Wenn die EU China den Marktwirtschaftsstatus erteilt, sind Anti-Dumping-Zölle unmöglich.
Diesen Automatismus gibt es nicht. Auch die WTO kennt Maßnahmen, um sich gegen Dumping zu wehren. Den Chinesen ist ausgesprochen wichtig, das Gesicht zu wahren – und den Marktwirtschaftsstatus zu erhalten. Sie wissen aber auch, wie wichtig den Europäern der Schutz vor Dumpingpreisen ist.
Europäische Firmen unterliegen strengen Regularien, wenn sie in China aktiv werden. Chinesen kaufen hiesige Technologieunternehmen einfach auf.
Die Chinesen brauchen uns Europäer, wie wir sie brauchen. China investiert erheblich in Westeuropa, deutsche Investitionen in China sind aber noch weit höher. Ich begrüße es, wenn sich die Chinesen mit Investitionen stärker an Europa binden. Da entstehen Abhängigkeiten – jedoch im positiven Sinne von Partnerschaften. Aber – und darauf werden wir dringen – deutsche Investoren brauchen die gleichen Rechte in China. Es gibt in Deutschland keinen Joint-Venture-Zwang wie in China. Deswegen wollen wir ihn nicht. Ähnlich verhält es sich mit dem Zwang zum Technologietransfer, den wir ablehnen. Aber da wird Peking nicht so schnell nachgeben.
Weil China derzeit schwächelt?
Die chinesische Wirtschaft wächst langfristig um etwa vier bis fünf Prozent im Jahr. Der Zuwachs wird derzeit vor allem vom Konsum getrieben. Der Bedarf der Menschen ist riesig – deshalb engagieren sich deutsche Unternehmen. Gleichzeitig versucht China, mehr Wertschöpfung im Land anzusiedeln. Der Plan Pekings sieht bis 2025 einen Anteil der Eigenfertigung von 70 Prozent in Schlüsselindustrien vor. Das ist ein Riesenpotenzial für deutsche Unternehmen. China braucht unsere Technologie-Partnerschaft.
Werden uns die Chinesen demnächst technologisch den Rang ablaufen?
Deutschland hat als Produktions- und Innovationsstandort viel zu bieten. Doch es gibt Gefahren: Die chinesischen Unternehmen werden stärker, deshalb müssen wir Deutschen Innovationen vorantreiben. Zwei Drittel der OECD-Staaten haben eine steuerliche Forschungsförderung – Deutschland hat sie nicht. Bei uns liegt der Anteil von Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt bei knapp drei Prozent. Das ist nicht genug, um dauerhaft stark zu bleiben. Unsere Gesellschaft muss innovationsfreundlicher werden. Wir müssen in die technische Ausbildung investieren. Und für die Akzeptanz neuer Technik kämpfen.
Die Akzeptanz ist das eine, viele Unternehmen versuchen erst sich eine Start-up-Kultur anzutrainieren.
Der Wettbewerb wird härter, Unternehmen müssen schneller werden. Es geht auch um die Kultur von Start-ups. Wenn in den USA ein Unternehmer Pleite geht, bekommt er beim nächsten Mal mehr Geld von der Bank – weil er wertvolle Erfahrungen gemacht hat. In Deutschland darf er – überspitzt formuliert – fünf Jahre lang keinen Fuß in die Bankfiliale setzen. Die Politik muss Käufern ermöglichen, Verlustvorträge von Unternehmen zu nutzen. Das ist in den USA üblich. Darüber verhandeln derzeit das Wirtschafts- und das Finanzministerium – das ist gut so.
Herr Grillo, in wenigen Monaten geben Sie das Amt des BDI-Präsidenten ab. Was machen Sie mit Ihrer vielen Freizeit?
Meine Familie freut sich. Ich werde wieder mehr Zeit mit den Kollegen und Mitarbeitern in den Grillo-Werken verbringen. Und wenn dann noch Zeit bleibt, würde ich gerne mal wieder golfen. Das habe ich in den vergangenen vier Jahren ganze zwei Mal geschafft.