Ulf Küch, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamten (BDK), sieht für die Polizei keine Möglichkeiten, um Anschläge wie in Nizza zu verhindern – außer einen besseren Vernetzung, um dem Übel schon in seiner Entstehung zu begegnen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Stuttgart – - Seit Jahren rufen der Islamische Staat, aber auch Al-Qaida ihre Sympathisanten in Europa zu Terrorakten mit Fahrzeugen auf: Ohne Sprengstoff und damit möglichst einfach sollen so viele Menschen wie möglich getötet werden. Die Polizei scheint von dieser neuen Form der Bedrohung dennoch überrascht zu sein – in Frankreich, aber auch in Deutschland. Auch so konnte es zum Blutbad in Nizza kommen.
Herr Küch, im Nahen Osten oder in Afrika sind Bombenattentate mit Sprengstoff-gefüllten Lkw seit Jahren üblich – hat die Polizei ein Fahrzeug als Waffe bisher unterschätzt?
Die Beschaffung von zwei, drei Tonnen Sprengstoff ist in Europa ja sehr schwierig. Gegen die Ansammlung großer Mengen sind unsere Sicherheitsorgane – wie wir damals bei der sogenannten Sauerland-Gruppe gesehen haben – über ein Monitoring der chemischen Industrie ganz gut gewappnet. Was wir aber überhaupt noch nicht auf dem Schirm hatten: dass ein Attentäter mit dem Lkw in eine Menschenmenge hineinfährt. Im Nahen Osten sind die Menschen auf der Hut – sie versuchen große Plätze und Anschlagsszenarien zu meiden. In Nizza haben die Franzosen den 14. Juli gefeiert – die Menschen waren vollkommen ahnungslos, was die Voraussetzung für eine enorme Katastrophe war.
Es gab große Sorgen vor Anschlägen bei der Europameisterschaft. Ist es leichter für einen Terroristen, dann zuzuschlagen, wenn im Grunde niemand damit rechnet?
Mit einem Lkw in eine Menschenmenge hineinzufahren, wäre auch während der EM möglich gewesen. Hier ging es um etwas Anderes: Das Ganze fand am Nationalfeiertag statt. Tiefer konnte man in das französische Herz nicht stechen, als an genau diesem Abend mit einer solch perfiden Inszenierung so viele Menschen zu töten. Das ist das Ziel gewesen.
Eine Tat von hohem Symbolgehalt mit weltweiter Ausstrahlung?
So ist es. Das wirkt so, als wenn man bei uns am 3. Oktober ein Attentat am Brandenburger Tor verüben würde.
Wie kann die Polizei die Risiken eines solchen Attentats bei Großveranstaltungen begrenzen?
Eine Erkenntnis wird sein, dass man auch solche Veranstaltungen mehr schützen muss. Aber wie soll das aussehen? Wollen wir um unsere Stadien, Jahrmärkte oder Oktoberfeste Panzersperren aufbauen? Das wird nicht funktionieren – und das wollen wir auch gar nicht. Nach jedem Anschlag wissen wir als Polizei mehr, auf was wir zu achten haben. Dennoch müssen wir die Risiken wahrscheinlich aushalten, weil ansonsten unsere freiheitlichen Demokratie auf dem Spiel steht. Wenn wir uns nicht mehr aus der Tür heraus trauen, haben die Terroristen gewonnen. Vielmehr müssen wir mehr an die Wurzeln des Terrorismus‘ herangehen, da liegt der Schlüssel.
Was lässt sich gegen Einzeltäter tun, die höchstens als Kleinkriminelle auffallen und als radikalisierte Extremisten nie in Erscheinung treten?
In dem Lkw sollen sich Waffen befunden haben – insofern muss es da eine Vorbereitung gegeben haben. Die Ermittlungen werden zeigen, ob es Unterstützung aus der Szene gegeben hat. Dennoch können uns genau diese Fälle in Zukunft große Probleme bereiten. Gegen einen Einzeltäter, der sich – wie offenbar auch in Dallas – im stillen Kämmerlein radikalisiert, haben wir keine Chance. Mit einem Überwachungsstaat wie im Reich George Orwells wird das nicht funktionieren. Da können wir allenfalls aufmerksamer auf diejenigen schauen, die andere zu radikalisieren versuchen.