Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Wie wollen Sie künftig noch guten Nachwuchs bekommen – der geht doch lieber woanders hin, wo er mehr verdient?

 

An gutem Nachwuchs haben wir ein ureigenes Interesse, und wir haben bis jetzt keinen Grund, grundsätzlich daran zu zweifeln, dass wir ihn bekommen.

In den vergangenen 15 Jahren hat es diverse Kürzungen am Gehaltsgefüge gegeben. Nun zieht man es für junge Redakteure auf Facharbeiterniveau herunter.

Im Moment verdient ein Redakteur im ersten Redakteursjahr inklusive Altersversorgung ein Bruttogehalt von 43.000 Euro. Da wäre es diffamierend, von Facharbeiterniveau zu sprechen. Das trifft nicht zu. Hier wird aus unserer Sicht etwas überzogen über dringend notwendige Abstriche gejammert.

Das niedrigere Tarifwerk soll letztendlich alle Redakteure treffen – sofern sie wechseln oder neue Verträge erhalten.

Jawohl.

Wie wichtig ist Ihnen dann publizistische Vielfalt angesichts des fortschreitenden Fusionsprozesses?

Ich würde da gerne deutlich zwischen den Ebenen unterscheiden. Wir haben nach wie vor mehr als hundert publizistische Einheiten allein bei den Zeitungen. Und wir haben eine Fülle anderer Medien, die wertvolle Beiträge zur Tagespolitik leisten. Diese Vielfalt ist keineswegs gefährdet. Auf der nationalen Ebene halte ich Fusionen von publizistischen Einheiten keinesfalls für eine Gefahr. Ganz wenige Deutsche – weniger als sechs Prozent – lesen eine überregionale Zeitung.

Was aber, wenn die Verlagsgruppe DuMont Schauberg so angesehene Zeitungen wie die „Frankfurter Rundschau“ und die „Berliner Zeitung“ praktisch vereinigt?

Es ist sicher bedauerlich, dass so eine profilierte Stimme wie die „Frankfurter Rundschau“ nicht mehr in allen Belangen eigenständig und unterschiedlich von der „Berliner Zeitung“ ist. Faktisch hat sich bisher fast niemand parallel mit beiden Zeitungen auseinandergesetzt. Auf nationaler Ebene bewegen sich Politiker und Profis der Kommunikationsbranche. Aber hier kann keineswegs ein Verfall der Qualität festgestellt werden, auch wenn das eine oder andere Objekt fusioniert wird.

Weniger Wettbewerb bedeutet doch einen Qualitätsverlust?

Ich glaube nicht, dass diese beiden Titel im Wettbewerb miteinander stehen. „Frankfurter Rundschau“ und „Berliner Zeitung“ haben nur wenige – möglicherweise auch prominente – Doppelleser. Jeder Leser eines der beiden Blätter bekommt künftig das Angebot einer größeren Zahl von Schreibern als vorher. Da kann man nicht mit abstrakten medienpolitischen Analysen der Zeitungslandschaft operieren. Das hat mit dem Bedürfnis des einzelnen Lesers nichts zu tun. Diese Diskussionen haben für mich auf der überregionalen Ebene einen großen Schuss an Künstlichkeit.

Hohe Einstiegsgehälter sind nicht mehr zu halten

Und auf der lokalen Ebene?

Die Zahl der Kreise mit nur einer Zeitung hat zugenommen, was sicherlich bedauerlich ist. Ich werde nicht müde darin, zu unterstreichen, wie wichtig es ist, dass unsere Verlage ihre Kompetenz und personelle Kapazität gerade im Lokalen erhalten und ausbauen. Da liegt das Bedürfnis der Leser und unsere Hauptverantwortung, denn dort kann es in der Tat zu einer dominierenden Rolle einzelner publizistischer Stimmen kommen. Ich bin bei den Kritikern, die sagen: Wehret den Anfängen und sorgt dafür, dass mehrere Stimmen sich im Wettstreit um die bessere Zeitung bemühen. In ersten Problemregionen sind selbst Verlage mit einer Alleinstellung nicht mehr imstande, eine flächendeckende Berichterstattung zu machen.

Wo weniger Qualität geboten wird, bestellen die Leser ab. Und Auflagenverluste lösen wieder Personaleinsparungen aus. Ein Teufelskreis. Wird ausreichend beachtet, dass eine Tageszeitung eine Marke ist, die schnell kaputt gemacht werden kann?

Ich kann unterschreiben, dass jeder Verleger schlecht beraten wäre, wenn er sich in eine solche negative Qualitätsspirale hineinbringt. Das kann nicht zum guten Ende führen. Also kann man das nicht als eine notwendige betriebswirtschaftliche Reaktion darstellen. Wenn wir dem Leser gerade im Lokalen nicht einen echten Mehrwert bieten, sägen wir uns den Ast ab, auf dem wir sitzen.

Warum setzen nicht mehr Verleger auf Qualitätssteigerung?

Ich bin nicht der Zuchtmeister des einzelnen Verlegers. Aber ich bin in der Tendenz ganz bei der von Ihnen zitierten Kritik – die Lösung infolge des scharfen Wettbewerbs, der gerade auch von der Elektronik kommt, kann sicher nicht darin liegen, unser Produkt schlechter zu machen. Man sollte eher darüber nachdenken, wie man es besser statt billiger macht.

Auch im "WAZ"-Konzern bedient eine Zentralredaktion mehrere Zeitungstitel. Hunderte Stellen abbauen, aber mehr Qualität erwarten, passt doch nicht zusammen. Ist das ein Modell für die Zukunft?

Es ist sicher ein richtiges Element, Kräfte zu bündeln und keine sinnlose Parallelarbeit um einer vermeintlichen Vielfalt wegen anzustreben.

In allen wichtigen Branchen lassen sich die Arbeitgeber bei Tarifverhandlungen auf deutliche Lohnerhöhungen ein. Nur in der Zeitungsbranche geht es selbst im Aufschwung um einen massiven Verzicht der Arbeitnehmer. Wo ist da die Logik?

Das ist ja kein Verzicht, der jetzt im Aufschwung plötzlich auf die Tagesordnung gesetzt würde. Wir rufen gerne in Erinnerung, dass die Anzeigenumsätze der deutschen Zeitungen heute um 43 Prozent niedriger sind als im Jahr 2000 – die Tarifgehälter unserer Redakteure liegen nominal um 15 Prozent höher. Da können wir nicht die Hände in den Schoß legen. Die Diskussion über einen neu zu schaffenden Tarifvertrag für nachwachsende Redakteure führen wir seit fünf Jahren. Dass wir diese Option nicht einfach von der Tagesordnung nehmen, ist angesichts der Situation nachvollziehbar.

Die jungen Journalisten sollen eine Hochschulausbildung sowie mehrere Praktika absolviert haben und künftig auch noch medienübergreifend hochwertige Arbeit leisten – wie passt das zur finanziellen Abstufung um bis zu 25 Prozent gegenüber dem bisherigen Niveau?

Schon die Einstiegsgehälter, aber auch die Dienstjahresstaffeln der Redakteursverträge haben sich angesichts der jahrzehntelang guten Situation der Branche auf einem hohen Niveau eingependelt. Das ist aus unserer Sicht nicht mehr zu halten.

Interesse an guten Nachwuchs

Wie wollen Sie künftig noch guten Nachwuchs bekommen – der geht doch lieber woanders hin, wo er mehr verdient?

An gutem Nachwuchs haben wir ein ureigenes Interesse, und wir haben bis jetzt keinen Grund, grundsätzlich daran zu zweifeln, dass wir ihn bekommen.

In den vergangenen 15 Jahren hat es diverse Kürzungen am Gehaltsgefüge gegeben. Nun zieht man es für junge Redakteure auf Facharbeiterniveau herunter.

Im Moment verdient ein Redakteur im ersten Redakteursjahr inklusive Altersversorgung ein Bruttogehalt von 43.000 Euro. Da wäre es diffamierend, von Facharbeiterniveau zu sprechen. Das trifft nicht zu. Hier wird aus unserer Sicht etwas überzogen über dringend notwendige Abstriche gejammert.

Das niedrigere Tarifwerk soll letztendlich alle Redakteure treffen – sofern sie wechseln oder neue Verträge erhalten.

Das bestehende Tarifniveau soll nur bei Berufseinsteigern abgesenkt werden. Es gilt nicht für Wechsler. Weil sich die Gewerkschaften seit Jahren ernsthaften Einschnitten verweigert, sind wir nach wie vor bereit, die Besitzstände der Redakteure weitestgehend zu erhalten und ein spürbar abgesenktes Tarifwerk II darunter zu legen.

Ist es gut für die Qualität einer Zeitung, wenn es zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft von alten und neuen Mitarbeitern kommt?

Wir wollen eine Begrenzung der Personalkosten ohne Ausdünnung der Redaktionen erzielen. Wir könnten auch darüber sprechen, das Tarifniveau generell spürbar abzusenken. Das wird auf Gewerkschaftsseite aber nicht besonders favorisiert.

Bereitet es Ihnen Sorge, dass immer mehr Verlage den Flächentarifvertrag verlassen und bei den Arbeits- und Einkommensbedingungen Alleingänge starten?

Ihre Sorge um hinreichend qualifizierte Mitarbeiter scheint zumindest auf den ersten Blick widerlegt zu werden durch eine Reihe von Verlagen, die sagen: Wir bekommen qualifizierte Leute auch zu ganz anderen Bedingungen auf niedrigerem Niveau. Ich will damit nicht sagen, dass die Leistungen umso besser werden, je niedriger die Gehälter sind. Aber wenn die Tarifbedingungen nicht mehr zeitgemäß sind, muss man sie reformieren. Nur dann gibt es eine Chance, eine hinreichende Akzeptanz für den Flächentarif zu erhalten.

Mit dieser Argumentation kann man die Lohnspirale immer weiter nach unten treiben. Wann ist das Ende erreicht?

Ich kann ja auch fragen: Wie lange wollen die Gewerkschaften noch ihre Gehaltsforderungen stellen – bis der letzte Verlag aus der Tarifbindung heraus ist? Das ist genauso wenig hilfreich.

Ist die Branche innovativ genug, auf die technologischen Möglichkeiten zu reagieren – oder hat sie bisher zu mutlos agiert und große Trends teilweise verschlafen?

Die elektronischen Verbreitungswege bilden unglaubliche Chancen gerade für Journalismus, weil sie die Bindung an Raum und Erscheinungszeit weitgehend auflösen zu teilweise sehr günstigen Übertragungskosten. Ich sehe eine absolute Notwendigkeit, die Dinge offensiv anzugehen und sich nicht in die Beharrungsrolle zu begeben. Ich glaube auch, dass man den deutschen Journalisten ein hohes Maß an Innovationsfähigkeit zusprechen kann.

Zuviel Geld versenkt worden

Auch den Verlagsmanagern?

Da darf man die Frage stellen, wann sie endlich weiterkommen bei der Frage nach den Einnahmen. Da die meisten davon überzeugt sind, dass ein qualifizierter und gut recherchierter Journalismus weiterhin nötig ist, muss auch ein Weg gefunden werden, diesen Bedarf in Refinanzierungsmöglichkeiten umzusetzen. Auf der anderen Seite ist ein Verlag nicht gut beraten, Geld in sinnlose Experimente zu stecken. Es sind insgesamt vielleicht 100 Millionen Euro in der Branche versenkt worden für Projekte, die letztlich keinen Ertrag gebracht haben.

Bisher ist die Qualität des Online-Journalismus großteils noch dürftig. Muss da mehr investiert werden?

Großteils wird das aus den klassischen Redaktionen bestritten, die seit mindestens drei Jahren überwiegend im Umstrukturierungsprozess stecken und künftig mehrere Kanäle bedienen. Die klassische Printredaktion, die als Abfallprodukt eine kleine Onlinetruppe beliefert, ist eher im Aussterben begriffen. Eine komplette Abtrennung gegenüber den neuen Medien kann es nicht mehr geben.

Ist es realistisch, dass sich die Verleger auf ein Bezahlmodell für ihre Online-Angebote einigen?

Aktuell ist es auch wegen der rückläufigen Anzeigenerlöse so, dass die allermeisten Verlage Bezahlmodelle einführen wollen. Die große Mehrheit ist der Meinung, dass man sich dabei auf die mobilen Anwendungen – die Apps – konzentrieren sollte. Wir wissen, dass die iPad-Nutzung stärker einen Freizeitcharakter hat mit einer längeren Nutzung am Stück als die stationäre PC-Nutzung, sodass wir da eher mit pressespezifischen Qualitätsfaktoren argumentieren und Geld dafür nehmen können. Da gibt es eine Chance, finanzielle Beiträge zu fordern. Ich würde empfehlen, nicht allzu weit unter den Preis für das Druckerzeugnis zu gehen, wenn man eine qualitativ hochwertige App anbietet. Mit Werbung allein wird es nicht funktionieren, wenn man Inhalte selbst herstellt.

Glauben Sie noch an das geforderte Leistungsschutzrecht für Presseverleger?

Ich gehe davon aus, dass wir sehr bald einen Gesetzentwurf aus dem Justizministerium bekommen. In der Sache besteht darüber auch Einigkeit mit Ausnahme einiger Wirtschaftsverbände...

...deren Gegendruck erheblich ist. Der BDI sieht darin unkalkulierbare Nachteile...

...leider mit völlig unzureichenden Argumenten, die man so zusammenfassen kann: Wir wollen einfach nichts zahlen, egal wie wir argumentieren müssen. Da werden wilde Theorien von Zwangsabgabe und Einschränkungen des Zitatrechts in die Welt gesetzt. Es geht darum, die gewerbliche Nutzung da zu bepreisen, wo sie den bisherigen Bezug von Zeitungsabonnements in Unternehmen annähernd ersetzt. Und wir wollen Geschäftsmodellen im Internet einen Riegel vorschieben, bei denen unsere Inhalte elektronisch ausgewertet werden. Gegen diese Position kann ein Wirtschaftsverband, der auch das geistige Eigentum für seine Patente hochhält, nicht sinnvoll argumentieren. Es scheint sich dabei um sehr bedauerliche, von vordergründigen Interessen geleitete Missverständnisse zu handeln.

Wo sehen Sie die Tageszeitung in 10 bis 20 Jahren – ist dieses Geschäftsmodell gar schon gestorben, wie einige sagen?

Auf einer einen Seite bin ich überzeugt davon, dass wir auch in 20 Jahren noch sehr ordentliche gedruckte Auflagen haben werden. Der Rückgang mag noch anhalten. Vielleicht gibt es aber mal einen eingeschwungenen Zustand mit stabilisierten Auflagen, wenn allen Beteiligten noch klarer ist, was die Vorteile des Papierprodukts sind und wie die Anforderungen an deren Macher aussehen. Im Durchschnitt werden die Zeitungen eine noch bessere Qualität haben als heute. Auf der anderen Seite werden wir aus den Zeitungen heraus elektronische Produkte auf Displays bekommen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Und wie die finanziert werden – das wüsste ich auch gerne.

Massive Tarifauseinandersetzungen

Warnstreiks: Am kommenden Mittwoch setzen der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und die Gewerkschaften die Tarifverhandlungen für die Journalisten fort. Im diesem Kontext ist bundesweit mit Warnstreiks und Produktionsbehinderungen zu rechnen.

Gewerkschaftsposition:
Verdi und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) fordern, die Gehälter der 14.000 Redakteure sowie die Honorare der freien Mitarbeiter um vier Prozent anzuheben. Die wirtschaftliche Erholung der Branche rechtfertige eine leistungsgerechte Vergütung der Journalisten, argumentieren sie.

Arbeitgeberforderung: Die Verleger gehen in die Gegenoffensive. Von allen Zeitungsredakteuren verlangt der BDZV, auf einen Teil ihres Weihnachts- und Urlaubsgelds zu verzichten. Bisher erhalten sie noch 13,75 Monatsgehälter.

Jungredakteure: Besonders umstritten ist der Verlegerwunsch nach einem Tarifwerk II für Berufseinsteiger, das laut Gewerkschaft Einbußen von 25 bis 30 Prozent gegenüber dem bisherigen Niveau bringt. Die Verleger reden von 15 Prozent. So sollen Redakteure in nicht herausgehobener Stellung künftig maximal 3800 Euro statt bis zu 4400 Euro verdienen. Zudem sollen sie 40 statt 36,5 Stunden pro Woche arbeiten sowie generell nur noch 30 Urlaubstage bekommen. Die Verlegerbeiträge zur Altersversorgung sollen auf 2,5 (bisher fünf) Prozent eines Monatsgehalts begrenzt werden.

Verleger in dritter Generation

Verbandspräsident: Helmut Heinen steht seit dem Jahr 2000 an der Spitze des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Der 55-Jährige ist Herausgeber der „Kölnischen Rundschau“ und geschäftsführender Gesellschafter der Heinen Verlag GmbH.

Verlagserbe: Der gebürtige Kölner stammt aus einer Verlegerfamilie. Nach dem Abitur studierte er Mathematik, entschied sich danach aber, die Zeitungsgeschäfte in der dritten Generation weiterzuführen. Großvater Reinhold Heinen (1894-1969) wurde als Anhänger der katholischen Zentrumspartei von den Nazis vier Jahre lang im KZ Sachsenhausen inhaftiert.